Köln – Im vergangenen Frühjahr befindet sich der Dax mit 13.790 Punkten auf einem Rekordhoch. Dann bricht weltweit das Coronavirus aus – und die Märkte stürzen ab. Deutschlands wichtigster Aktienindex befindet sich im März 2020 im freien Fall. Doch ein Jahr später klettert er von Rekord zu Rekord. Der Börsenboom scheint kein Ende zu finden. Dennoch stellt sich die Frage: Wann ist Schluss mit dem Höhenflug?
Chris-Oliver Schickentanz, Chef-Anlagestratege der Commerzbank, sagt zumindest, dass sich ein Einstieg weiter lohne: „Denn in den kommenden Wochen und Monaten erwarten wir anhaltend positive Nachrichten“, so Schickentanz. Das mache den Weg für einen spürbaren Konjunkturaufschwung frei. „Viele Privathaushalte haben während der Pandemie Geld auf die hohe Kante gelegt, das in Kürze für Investitionen und Konsum zur Verfügung steht.“
15.000-Punkte-Marke im Sommer
Der Commerzbank-Analyst geht davon aus, dass der Aufschwung deutlicher ausfallen wird, „als es die Mehrzahl der Volkswirte aktuell erwartet“. Schickentanz schlussfolgert: „Der Dax dürfte bis zum Sommer die 15.000-Punkte-Marke knacken.“ Rückschläge von fünf bis zehn Prozent seien auf dem Weg dahin hinzunehmen, fänden in einem normalen Börsenjahr zwei- bis dreimal statt: „Sie eröffnen dem Anleger Nachkaufchancen“, sagt Schickentanz.
Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, kommentiert die aktuelle Situation an der Börse im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ zurückhaltender: Es fehle an zu erwartenden Impulsen, die weitere Rekordstände rechtfertigen könnten, sagt Tüngler. „Die optimistischen Erwartungen an Impferfolge und weitreichende Lockerungen sind in die Aktienkurse schon eingepreist“, so der Experte. Jetzt sei es erst einmal Aufgabe der Unternehmen, die hohen Aufschwungserwartungen auch zu erfüllen. Wenn ihnen das nicht gelinge, könnten die Kurse schnell die umgekehrte Richtung einschlagen – nach unten.
Außerdem sei die Stimmung zwar positiv, die Situation aber weiterhin fragil. Denkbar sei aktuell immer noch, dass die Infizierten- und Sterbezahlen im Herbst wieder ansteigen und neuerliche Restriktionen drohen. Tüngler rät daher zur Vorsicht, ist jedoch auch vorsichtig optimistisch, sagt er: „Wir werden mit Blick auf die kommenden Monate noch nicht die letzten Rekordstände gesehen haben.“ Sein Ratschlag: „Wenn man eine Sicherungsstrategie fahren will, sollte man sie im Spätsommer anwenden“.
Deutsche Post verbucht Plus von 80 Prozent
Die großen Unternehmen aus NRW und der Region haben in den vergangenen zwölf Monaten unterdessen nur teilweise einen ähnlichen Aufschwung erlebt wie der Dax. Viele Papiere erholten sich zwar, aber wohl keines so wie das der Deutschen Post. Durch einen rapiden Anstieg der Paketauslieferungen während der Lockdowns brummte das Geschäft des Bonner Logistikers wie nie. Die Aktie hat in einem Jahr ein Plus von 80 Prozent verbucht – und Post-Chef Frank Appel rechnet mit weiterem Wachstum.
Wer vor genau einem Jahr Aktien des Energieversorgers RWE kaufte, hat ein Plus von gut 17 Prozent verbucht. Die Anleger belohnten im Sommer, dass der Essener Versorger seine Dividende von 80 auf 85 Cent erhöhen möchte. Die einstige Volksaktie Telekom ist in dieser Woche sogar fast 24 Prozent mehr wert als im März 2020. Sie hat durch einen Zukauf in den USA ihren Umsatz um ein Viertel erhöht, auch der Gewinn wuchs. Das belohnten die Börsianer und kauften fleißig zu.
Stark performten die Aktien der Chemiekonzerne Lanxess und Covestro trotz erheblicher Umsatz- und Gewinneinbußen: Sie stiegen im Jahresvergleich um 52 beziehungsweise 105 Prozent. Die ehemalige Mutter der beiden Unternehmen, der Leverkusener Bayer-Konzern, krebst hingegen wie vor einem Jahr knapp über der 50-Euro-Marke herum. Pessimistische Prognosen und ein schwieriges Marktumfeld bremsen den Optimismus der Anleger.
Aktienanlagen deutlich beliebter
Tatsache ist, dass die Beliebtheit von Aktienanlagen 2020 stark angestiegen ist. Die Deutschen galten lange als konservative Anlegerinnen und Anleger, denen Aktien in der Breite zu riskant waren. Diese Zeiten scheinen der Vergangenheit anzugehören, wie Zahlen des Deutschen Aktieninstituts (DAI) zeigen: 12,4 Millionen Menschen besaßen 2020 Aktien, Aktienfonds oder aktienbasierte ETFs, 2,7 Millionen mehr als noch ein Jahr zuvor.
Das DAI führt den Aktienboom auf geplatzte Urlaube, geschlossene Restaurants und weniger Einkaufsmöglichkeiten zurück. Die Menschen hätten mehr Zeit und Geld gehabt, sich mit ihren Finanzen zu beschäftigen. Die niedrigen Kurse im März und April hätten viele als Chance für den Einstieg genutzt.
Den Trend stützen auch aktuelle Zahlen der Kreissparkasse Köln: Die Kunden der Bank hätten mit 2,3 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr „mehr als doppelt so viel neues Vermögen auf Konten und Depots der Sparkasse angesammelt“, sagt Alexander Wüerst, Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Köln. Trotz coronabedingter Schwankungen an den Börsen habe die Nachfrage der Kunden nach Wertpapieren 2020 stark angezogen. So hat sich der Nettoabsatz der Kreissparkasse Köln 2020 auf 679 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Der gesamte Wertpapierumsatz des Instituts verzeichnete eine Steigerung um 17 Prozent oder 930 Millionen Euro auf 6,29 Milliarden Euro.
Immer mehr junge Investoren
Interessant ist, wie die Bankkunden in der Zeit der Pandemie gekauft oder verkauft haben. So stieg die Anzahl der Wertpapierkäufe ausgerechnet im März exponentiell an, genau in dem Monat, als der Dax abstürzte. Trotz der Jahresbestmarke von 13.500 Punkten kauften die Sparkassenkunden auch zum Jahresende deutlich mehr Aktien als im Durchschnitt des Jahres.
Besonders die Gruppe der unter 30-jährigen Investoren hat im vergangenen Jahr einen starken Zulauf erfahren. Nach DAI-Zahlen investierten fast 600.000 junge Erwachsene erstmals in Aktien – eine Steigerung von fast 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ein Grund für das große Interesse dieser Bevölkerungsgruppe an der Börse sind wohl auch Smartphone-Apps, mit deren Hilfe unkompliziert gekauft und verkauft werden. „Die Aktienanlage hat über das Smartphone die Hosentasche erreicht“, kommentierte DAI-Vorständin Christine Bortenlänger die Entwicklung.