Im Vergleich zu anderen Outdoor-Landschaften kommt ein Wald einer Behausung ziemlich nah, näher als zum Beispiel die Wüste Gobi oder ein Fels auf Feuerland.
KolumneWo Deutschland ganz bei sich ist (V) – Im Wald
Im Wald gewesen. Es als gemütlich empfunden, wie die Ästlein knackten. Bemerkt, dass das keine Ästlein waren, sondern meine Gelenke. Trotzdem im Wald geblieben. Denn im Vergleich zu anderen Outdoor-Landschaften kommt ein Wald einer Behausung ziemlich nah, näher als zum Beispiel die Wüste Gobi oder ein Fels auf Feuerland.
Ein Drittel der Landesfläche Deutschlands ist mit Wald bedeckt. 45 Prozent hingegen sind versiegelt – also bebaut, asphaltiert, betoniert, gepflastert. Umso größer ist die Bedeutung des deutschen Restwaldes nicht nur für Flora und Fauna, sondern auch für das hiesige Gemüt. Denn in der menschlichen Seele ist eine tiefe Verbundenheit zum Wald verankert.
„Ich bin im Wald spazieren gegangen und war größer als die Bäume“, schrieb Henry David Thoreau, amerikanischer Outdoor-Pionier und Waldläufer, der heute ohne Zweifel ein naturnaher Youtuber wäre. „Wenn man so ganz alleine im Wald steht, begreift man nur sehr schwer, wozu man in Büros und Kinos geht“, schrieb auch Erich Kästner.
Und dichtete: „Die Seele wird vom Pflastertreten krumm. / Mit Bäumen kann man wie mit Brüdern reden / und tauscht bei ihnen seine Seele um. / Die Wälder schweigen. Doch sie sind nicht stumm. / Und wer auch kommen mag, sie trösten jeden.“
Das saarländische Umweltministerium formulierte denselben Umstand etwas profaner: „Der Charakter des Waldes und sein Erscheinungsbild“, schrieb die Behörde einst in schönster Amtsstubenpoesie, „werden in erster Linie durch die Bäume bestimmt“. No shit, Sherlock? Das ist in etwa so intelligent wie der Satz: Den Ozean erkennen Sie am vielen Wasser.
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Für Stubenhocker wie mich ist ein Wald ein guter Kompromiss zwischen drinnen und draußen. Wenn mich die gesellschaftlichen Konventionen und meine nimmermüde Familie schon ins Freie treiben, dann bitte in den Wald, wo es kühl und schattig ist, wo dir keine Möwe dein Fischbrötchen klaut und keine Sonnenhitze die gute Grille, wo die Baumkronen und Bäche rauschen und wo der Boden weich ist wie eine Yogamatte der Natur.
Natürlich gibt es auch Waldverächter und Waldscherzbolde („Wenn ich die Namen eines Pärchens in Baumrinde sehe, dann denke ich nicht: ‚Wie süß!‘, ich denke eher: ‚Seltsam, wer alles ein Messer mit zum Date nimmt.‘“). Ich hingegen betrete einen Wald mit Respekt und in Demut. Jedenfalls solange mir keine Bären, Wölfe, Krokodile und Orang-Utans begegnen, oder was sonst so in heimischen Mischwäldern wohnt. Ich kenne mich in der Tierwelt ebenso schlecht aus wie in der Pflanzenwelt.
Ungeklärt ist bis heute die Frage, warum die einzige namentlich bekannte Waldfee „Holla“ heißt. Im World Wald Web wird die Frage nicht befriedigend beantwortet. Der Ausdruck, heißt es da, sei schon so alt, dass man gar nicht mehr genau sagen könne, woher er stammt. Genau so fühle ich mich auch an manchen Tagen.
Nächste Woche lesen Sie: „Wo Deutschland ganz bei sich ist (VI): Auf dem Elternabend“.
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