Wer im Fernsehstudio brät und brutzelt, genießt Starstatus – muss aber auch die Vermarktungsmaschinerie am Laufen halten.
TV-KöcheVerdammt dazu, unermüdlich den Kochlöffel zu schwingen
Marcel Reich-Ranicki platzte auf offener Bühne der Kragen: Unverhofft lehnte er 2008 den Deutschen Fernsehpreis fürs Lebenswerk ab. Ein Affront! Und warum crashte Deutschlands berühmtester Literaturkritiker die Preisgala? Seine Begründung: „Zwischendurch immer wieder Köche, nichts als Köche.“ Zu sehr war der Mann offenbar in seine Bücher vertieft gewesen, als dass er hätte bemerken können, dass Köche und Köchinnen die Bildschirme erobert hatten, auch bei der Gala.
Sie brutzeln, backen und schmoren von morgens bis abends auf allen Kanälen, liefern sich „Duelle“ und „Küchenschlachten“, ziehen in die „Küchenarena“ und rücken umso näher an den heißen Herd, je mehr Deutsche an der Tiefkühltruhe zum Fertiggericht greifen.
Nur wenige Berufsgruppen durften sich in den vergangenen Jahren ähnlicher medialer Aufmerksamkeit erfreuen, höchstens Virologen wie Christian Drosten zum Beispiel. So dauerhaft wie Fernsehköche aber hat sich kaum jemand halten können oder auch wollen. Das Vertrauen in angepriesene Kochrezepte dürfte deutlich größer sein als – sagen wir – die Versprechungen, die Politiker über die Sicherheit der Rente machen.
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Längst sind die internationalen Küchenprofis auf Youtube und Instagram unterwegs
Längst sind die internationalen Küchenprofis auf Youtube und Instagram unterwegs. Netflix widmete ihnen in der Serie „Chef’s Table“ gleich mehrere Staffeln. Auch Tim Raue gehörte zu den Porträtierten. Wenn’s richtig exotisch werden soll, lässt der Streamingdienst Alligatoren und Eichhörnchen auf den Grill legen („Barbecue Showdown“).
Manche Köchinnen oder Köche (zwangs-)pausieren zwischendurch. Sarah Wiener ging für die Grünen ins Europäische Parlament, verzweifelte aber beim Kampf um gesunde Lebensmittel an der Agrarlobby. Alfons Schuhbeck ging als Steuerbetrüger für drei Jahren und zwei Monate ins Gefängnis.
Pleiten, Pech und TV-Kochen
Überhaupt fällt auf: Wer es vor der Kamera versteht, elegant Zwiebeln zu häckseln oder mit dem Rührstab zu jonglieren, muss keinesfalls ein guter Geschäftsmann oder eine gute Geschäftsfrau sein. Auch Großverdiener Johann Lafer hatte schon Probleme mit der Steuer. Oder besser: Die Steuerbehörden hatten Schwierigkeiten mit seinen Abrechnungen. 2016 akzeptierte er eine Bewährungs- und Geldstrafe.
Pleiten, Pech und TV-Kochen: Da scheint es einen Zusammenhang zu geben. Kurz nach Schuhbeck geriet in München Hans-Jörg Bachmeier in ökonomische Bedrängnis und musste das sanierungsbedürftige Traditionswirtshaus Beim Sedlmayr aufgeben. Sarah Wiener meldete in der Folge der Corona-Pandemie Konkurs für ihre Berliner Restaurants an.
Gerade hat es Steffen Henssler erwischt. Für mehrere seiner Sushirestaurants fehlt das Geld. Zu viele Investoren hätten mitgeredet, begründete er die finanzielle Misere und zitierte die wohl bekannteste Kochweisheit: „Zu viele Köche verderben den Brei.“ Und weiter: „Wenn du viel machst, gibt es auch einen Schuss, der nicht sitzt.“ Einstweilen kocht er bei „Grill den Henssler“ fleißig weiter und arbeitet an einer Restrukturierung seiner Sushikette.
Schon Hensslers berufliche Anfänge hatten Unterhaltungswert
Schon Hensslers berufliche Anfänge hatten Unterhaltungswert: Bei einem Amerikaurlaub entdeckte der gelernte Koch (Ausbildung im Sternerestaurant Andresens Gasthof in Bargum) seinen Hang zum Sushi. Bloß fehlte ihm das Startkapital für die ersehnte Ausbildung an der California Sushi Academy. Er spielte Lotto nach System und gewann gut 40.000 Mark. Das Geld reichte für die Finanzierung des Kurses, den er als „Professional Sushi Chef“ abschloss.
In Deutschland eröffnete Henssler 2001 mit seinem Vater das Restaurant Henssler Henssler. Über die Jahre folgten immer mehr Lokale unter den Konzeptnamen Ahoi, Henssler GO oder Happi by Henssler (zusammen mit Bruder Peter). Auch eine Kochschule Hensslers Küche wurde ins Henssler-Reich eingemeindet.
Es fällt schwer, einen Überblick über Hensslers TV-Sendungen zu behalten: Er trat an als „Topfgeldjäger“ oder zum „Kochen am Limit“, betätigte sich als „Restauranttester“, kochte in „Henssler hinter Gittern“ mit Strafgefangenen und musste sich bei seinem ungewöhnlichen Resozialisierungsprojekt kritisieren lassen, dass er Schwerverbrechern eine Bühne zur Selbstdarstellung gebe. Henssler ist eine Marke. Ob er noch ohne prominente Gäste, ständigen Blick auf die Sendezeit, flotte Sprüche und extreme Showeinlagen kocht?
Fernsehköche dürfen das TV-Küchenstudio niemals kalt werden lassen
Fernsehköche dürfen das TV-Küchenstudio niemals kalt werden lassen. Sie sind verdammt dazu, unermüdlich den Kochlöffel zu schwingen. Sonst kann die Karriere so schnell in sich zusammenstürzen wie ein Soufflé. Mit ihren Shows lenken sie die Aufmerksamkeit auf die diversen Produkte, die sie unter ihrem Namen verkaufen und die dem Publikum ein wenig Profiglanz in der eigenen Küche verheißen.
Zeile geht so überhaupt nicht. Auch wenn es an das Zitat angelehnt ist, klingt das wie ein Kommentar und unseriös. Gekuschel, fabulierte, raunte, Wahnsinn, Eskalationsmanager und der letzte Satz müssten raus. Ebenso die Mutmaßungen wie „dürfte im Hintergrund dafür gesorgt haben“.
Kochbücher, Römertöpfe oder Grillhandschuhe lassen sich so besser verkaufen, Catering-Events vermarkten, Feinkostläden eröffnen, Kreuzfahrtschiffe bekochen oder ungewöhnliche Geschäftsideen umsetzen: Der begeisterte Hubschrauberpilot Johann Lafer fliegt Gäste mit dem „Heli Gourmet“ schon mal zum romantischen Picknickdinner.
Jeder vergleichsweise unbekannte Sternekoch dürfte sich verwundert die Augen reiben, wenn er oder sie die Zwölfstundenschicht mal früher beendet und zuschaut, wie die TV-Konkurrenz locker-flockig loslegt. Wo nimmt jemand, der Restaurants betreibt und auf jedes Detail bis hin zur perfekten Deko achten muss, bloß die Zeit fürs Showkochen her?
Lafer – der wohl dienstälteste TV-Koch, schon 1984 bereitete er eine Himbeer-Charlotte im Südwestfunk zu – hat sein Sternerestaurant Le Val d’Or auf der Hunsrück-Burg aufgegeben. Der Aufwand sei ihm zu groß, begründete er 2019 den Schritt.
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Schönes Wochenende!
Exemplarisch lässt sich der Niedergang eines Fernsehkochs an Alfons Schuhbeck nachvollziehen: Zu seinem Imperium in der Münchner Altstadt gehörten Restaurants wie die Südtiroler Stuben, Schuhbecks Orlando, Orlando Bar und Lounge, Orlando Sportsbar oder das Restaurant Alfons. Er besaß Partyservice und Kochschule, Eisdiele, Gewürz- und Müsliladen sowie Tee- und Schokoladengeschäft. Verurteilt wurde er, weil er mehr als 2,3 Millionen Euro an Steuern hinterzogen haben soll. Seitdem zerfällt sein Reich.
War Schuhbeck nun gierig, oder waren ihm seine Unternehmen über den Kopf gewachsen? Er argumentierte mit fehlenden kaufmännischen Fertigkeiten. Die Richterin sagte in der Urteilsbegründung: „Der Griff in die Kasse hat nie etwas mit einem kaufmännischen Fehler zu tun.“ Sein Vermögen wurde damals auf 5 Millionen Euro geschätzt. Dem standen 14 Millionen Euro Schulden gegenüber.
Hinter der kochenden Zunft, nicht nur jener auf Sendung, liegen harte Zeiten: Die Corona-Pandemie entzog Restaurants die Geschäftsgrundlage, Lebensmittelpreise steigen unaufhörlich, Fachkräfte fehlen, und die Mehrwertsteuer ist wieder von 7 auf 19 Prozent angehoben worden. Sogar dem sonst so wortgewandten Fernsehkoch Tim Mälzer fehlten 2021 in einer Talkshow die Worte: Er kämpfte mit den Tränen, als er Perspektiven für seine Branche aufzeigen sollte.
Inzwischen aber scheint sich TV-Koch oder TV-Köchin beinahe zu einem eigenständigen Ausbildungsberuf entwickelt zu haben. Man muss sich nicht unbedingt erst jahrelang in der Restaurantküche beweisen, bevor man im Scheinwerferlicht steht. Böse Zungen behaupten, dass inzwischen auch der umgekehrte Weg möglich ist. Bildschirmpräsenz sei wichtiger als Fachkompetenz. Casting statt Catering.
Behaupte niemand, dass das Publikum all die in Minutenschnelle zusammengestellten Köstlichkeiten am eigenen Herd nachkocht. Dann müssten die Deutschen längst ein Volk von versierten Hobbyköchen sein. Dann würden allabendlich weniger Bringdienstkuriere durch die Innenstädte kurven. Dann würden auch Lebensmittel hierzulande mehr wertgeschätzt.
TV-Kochen ist erst Show und dann Kulinarik. Die Gladiatoren in der Kocharena sind zum Performen verdammt. Der Absturz kann schnell kommen: Noch bevor über Alfons Schuhbeck das Urteil gesprochen war, hatte der BR dessen Sendungen aus dem Programm gekegelt.
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