Julia Höller, innenpolitische Expertin der Grünen in NRW, will Organisierte Kriminalität bekämpfen, wendet sich jedoch gegen aktuelle Praktiken der Polizei.
Grüne kritisiert Polizeistrategie gegen Clans„Kinder dürfen in der Schule nicht aufgrund ihres Namens diskriminiert werden“
Julia Höller ist die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Düsseldorfer Landtag. Im Interview zieht sie eine Bilanz der Zusammenarbeit. Sie befürchtet, dass der Rassismus auch in Teilen der Polizei verbreitet ist und fordert, Menschen mit Rassismuserfahrungen in die Polizeiausbildung einzubinden. Höller verlangt zudem eine Neujustierung im Kampf gegen die Clankriminalität. Diese führe oft zu Stigmatisierungen – Kinder würden bisweilen aufgrund ihres Nachnamens im Unterricht diskriminiert.
Seit einem Jahr gibt es die schwarz-grüne Koalition in NRW. Wie oft hat es in der Innenpolitik mit Innenminister Herbert Reul (CDU) gekracht?
Julia Höller: Wir diskutieren viel, und es ist ja klar, dass Grüne und CDU in der Innenpolitik weitere Wege gehen müssen als in anderen Bereichen, um eine gemeinsame Position zu finden. Aber das Miteinander ist gut und wir arbeiten sehr vertrauensvoll zusammen. Ich telefoniere oft mit Herbert Reul, um eine gemeinsame Position zu finden.
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Herbert Reul ist wegen seiner Null-Toleranz-Linie für viele Grüne eine Reizfigur. Wie kommen Sie persönlich mit ihm klar?
Ich schätze Herbert Reul. Ich kann mir vorstellen, dass die Diskussionsfreudigkeit der Grünen für ihn sicher oft eine Herausforderung ist. Wir sind diejenigen, die die Perspektive der Bürgerrechte in die Landespolitik einbringen. Die Opposition fällt in dem Thema ja komplett aus. Am Ende profitieren alle von den gemeinsamen Lösungen. Unsere Innenpolitik ist sachorientiert und baut auf wissenschaftlichen Fakten auf.
Zuletzt gab es unterschiedliche Auffassungen über den Umgang mit der Polizei-Dozentin Bahar Aslan, die Teilen der Beamten Rassismus vorgeworfen hat…
Der Tweet von Frau Aslan war nicht gut formuliert und ich kann gut nachvollziehen, wenn Polizistinnen und Polizisten sich pauschal angegriffen fühlen. Aber die Debatte zeigt, dass wir uns dringend mit Rassismus in der gesamten Gesellschaft beschäftigen müssen.
Hat Frau Aslan in der Sache recht?
Menschenfeindliche Einstellung gibt in allen Teilen der Gesellschaft, das macht auch vor der Polizei nicht halt. Deshalb ist es wichtig, Menschen mit Rassismuserfahrungen in die Polizeiausbildung einzubinden. Ich bin froh, dass jetzt Gespräche mit Frau Aslan geführt wurden. Twitter ist nicht der richtige Ort, um differenzierte Rassismusdebatten zu führen.
Bei der Tötung eines 16-jährigen Asylbewerbers durch die Polizei in Dortmund wurde der Polizei von Migrantenvertretern Rassismus unterstellt. Wurden aus dem Vorgang die richtigen Konsequenzen gezogen?
Es ist wichtig, dass alle Menschen der Polizei vertrauen. Das ist offenbar aus unterschiedlichen Gründen nicht bei allen der Fall. Wir begrüßen, dass im Einsatztraining für den Wachdienst ein neuer Schwerpunkt gesetzt wird. Dort wird ein Fokus auf den Umgang mit psychisch Erkrankten gesetzt. Das ist auch wichtig für den Schutz unserer Polizistinnen und Polizisten im Dienst. Wir werden zudem einen stärkeren Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit Rassismus in der Fortbildung legen. Es ist überdies gut, dass wir künftig einen Polizeibeauftragten beim Landtag haben werden, an den sich Betroffene wenden können, die sich falsch behandelt fühlen – das war ein wichtiges Anliegen der Grünen.
In Dortmund kamen auch Taser zum Einsatz – und waren wirkungslos. Haben Taser bei der NRW-Polizei eine Zukunft?
Taser können für Spezialkräfte ein sinnvolles Einsatzmittel sein. In dynamischen Situationen birgt die Verwendung nach meiner Einschätzung mehr Risiken als Nutzen. Deswegen werden wir, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, 2024 auf Basis einer Evaluierung über die Weiterverwendung entscheiden. Grundsätzlich gilt, dass Kommunikation und Deeskalation Haupteinsatzmittel der Polizei NRW sind. Für Einsätze bei Versammlungen ist dieser Grundsatz in der sogenannten NRW-Linie festgehalten, die bereits seit vielen Jahren erfolgreich angewendet wird. Es ist wichtig, dass die Beamtinnen und Beamten entsprechend geschult und fortgebildet werden. Die Polizei muss aber natürlich auch dafür ausgestattet sein, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen.
Die Grünen haben ein Problem mit dem Begriff „Clankriminalität“. Warum?
Es kann nicht sein, dass zum Beispiel der Tatbestand des Fahrens ohne gültiges Ticket zur Clankriminalität gezählt wird, weil der Täter einen Nachnamen trägt, der einem bestimmten Familienverband zugerechnet wird. Das verfälscht die Statistik und damit die Analysefähigkeit der Polizei, die ihre Ressourcen gezielt einsetzen muss. Wir erleben, dass Kinder in der Schule aufgrund ihres Namens diskriminiert werden. Das darf nicht passieren. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, wirksame Konzepte zu entwickeln und pauschale Stigmatisierung zu vermeiden. Um es klar zu sagen: Organisierte Kriminalität muss entschieden bekämpft werden. Wir müssen mehr in Prävention investieren. Darüber habe ich erst letzte Woche mit Vertretern der Polizei und der Kommunen in der SiKo, also der Sicherheitskonferenz Ruhr, gesprochen.
In Leipzig gab es Krawalle im Zusammenhang mit dem Linksextremismus-Prozess gegen Lina E. Die Polizei steht unter anderem wegen einer Einkesselung in der Kritik. Bei dem Beamten waren auch NRW-Polizisten dabei. Sehen sie den Einsatz kritisch?
Mir liegen keine Infos über den konkreten Einsatz in Sachsen vor. Nach meiner Erfahrung gehen die Einheiten aus NRW im Bundesländervergleich eher deeskalierend und ausgleichend vor.
Der Chef der Grünen Jugend bezweifelt, dass die Justiz im Fall Lina E. rechtsstaatlich gehandelt hat – und fordert „Free Lina“. Was halten Sie davon?
Die Grüne Jugend ist eigenständig und der Vorsitzende hat seine eigenen Einschätzungen. Das bedarf keiner Kommentierung von mir.
Die Ampel-Regierung im Bund will Cannabis legalisieren. Gibt es darüber Streit in der NRW-Koalition?
Im Koalitionsvertrag haben wir mit der CDU vereinbart, dass wir ein Bundesgesetz zur kontrollierten Cannabis-Abgabe in NRW selbstverständlich umsetzen werden. Noch liegt aber überhaupt kein Gesetz vor. Wir Grüne erhoffen uns von der Neuregelung eine Entlastung für die Ermittlungsbehörden und eine bessere Suchtprävention.