Das Gericht hat im Prozess gegen Mitglieder des Al-Zein-Clans einen Deal mit Anklage und Verteidigung geschlossen. Und empörte damit viele. Ein Gespräch mit dem Kölner Kriminologen Frank Neubacher.
Interview zum Al-Zein-Prozess„Deal ist ein Fleck auf der Weste des Rechtsstaats“
Herr Professor Neubacher, der Düsseldorfer Prozess gegen Mitglieder des Leverkusener Al-Zein-Clans geht dem Ende entgegen. Vor Kurzem hatte das Gericht den Clan-Chef gegen Kaution aus der U-Haft entlassen und einen Deal mit Anklage und Verteidigung geschlossen: ein geringeres Strafmaß gegen ein Teilgeständnis. Man liest so etwas schon mal, wenn es um Steuerhinterziehung oder Wirtschaftsbetrug geht. Aber bei Vorwürfen wie Geiselnahme, Menschenraub, räuberischer Erpressung und Folter?
Frank Neubacher: Für einen Deal spielen die Tatvorwürfe zunächst einmal keine Rolle, zumal bis zu einer Verurteilung auch im laufenden Prozess die Unschuldsvermutung gilt. Soweit ich den Fall aus der Berichterstattung des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und anderer Medien kenne, schien der Tatnachweis, der zu einem Schuldspruch führen würde, hier das Problem zu sein. Sonst hätte es die Interessenlage nicht gegeben, die dazu führte, dass Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung überlegen, welche Absprachen - landläufig „Deals“ genannt – sie miteinander treffen könnten.
Um welche Interessen geht es?
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Deals kommen immer dann zustande, wenn die Beweislage schwierig oder die Sorge groß ist, dass die Beweisaufnahme sich extrem lange hinziehen würde – mit ungewissem Ausgang des Verfahrens. Typischerweise hat man diese Situation in den erwähnten Wirtschaftsstrafverfahren. Aber grundsätzlich kommen Deals in jedem Prozess in Betracht.
Wir haben in den Reaktionen der Leserinnen und Lesern großes Unverständnis festgestellt, dass die Justiz mutmaßlichen Kriminellen von solchem Kaliber derart entgegenkommt.
Der Deal hat aus Sicht der Justiz immerhin den Vorteil, dass nach dem Teilgeständnis der Angeklagten Schuldsprüche gefällt werden können. Andernfalls hätte das Risiko von Freisprüchen aus Mangel an Beweisen bestanden. Trotzdem kann ich das Unbehagen nachvollziehen. Es ist keine schöne Vorstellung, dass der Staat und seine Vertreter Geschäfte mit finsteren Gesellen machen, und das auch noch hinter verschlossenen Türen. Ein Gericht akzeptiert den Angeklagten als Verhandlungspartner – das hat etwas Anrüchiges und passt nicht zum Ideal richterlichen Handelns.
Staat nimmt sich mit Aufklärungspflicht zurück
Nun ist Unbehagen kein juristisches Argument.
Man kann es aber auch rechtlich auf den Begriff bringen: Erstens verlangt das Legalitätsprinzip im Rechtsstaat, dass die Ermittlungsbehörden schon beim begründeten Verdacht auf eine Straftat alles daransetzen müssen, diese aufzuklären. Beim Deal aber nimmt sich der Staat mit seiner Aufklärungspflicht zurück und sagt, das erscheint jetzt zu aufwendig. Zweitens finden Deals hinter verschlossenen Türen statt – gegen das Öffentlichkeitsprinzip in Strafverfahren. Und drittens vertragen sich Deals nicht mit dem Gleichheitsprinzip: Angeklagte, bei denen die Beweislage kompliziert ist, kommen potenziell besser weg als andere. Der Deal ist somit ein Fleck auf der Weste des Rechtsstaats und weicht ganz sicher von dem ab, was sich die Väter und Mütter der Strafprozessordnung vorgestellt hatten.
Warum gibt es ihn dann?
Mit der Möglichkeit der Absprache im Strafprozess hat der Gesetzgeber 2009 den dringenden Wunsch der Praxis, auch bei Staatsanwaltschaften und Gerichten, nach mehr Handlungsspielraum erfüllt. Dahinter stand nicht zuletzt der Gedanke der Verfahrensökonomie – anders gesagt: eine Rechnung nach Aufwand und Ertrag. Die bessere Antwort wäre eine zuträgliche Ausstattung der Justiz und der Ermittlungsbehörden gewesen. So aber kann das Ganze einen unguten Eindruck hinterlassen: Man denkt, es gehe um Gerechtigkeit, und dann werden aus Kostengründen irgendwelche Deals gedreht.
Begriff Clankriminalität ansich problematisch
Die Politik, namentlich NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), hat die Ermittlungen gegen den Al-Zein-Clan als Erfolg eines konsequenten Kampfes gegen Clankriminalität gefeiert. Und jetzt spaziert der Clan-Chef gegen 80.000 Euro Kaution aus der U-Haft und feiert das seinerseits in seiner Leverkusener Villa. Das passt doch alles nicht zusammen.
Die Entlassung aus der U-Haft hat nur einen Zwischenstand im Prozess markiert. Die U-Haft ist nicht dazu gedacht, jemanden zu bestrafen. Sie soll lediglich ein geordnetes Verfahren sichern. Dass es sich hier um ein Verfahren aus dem Bereich handelt, den die Politik seit ein paar Jahren als „Clankriminalität“ bezeichnet, manche würden sagen: skandalisiert, muss die Justiz im Übrigen nicht kümmern.
Warum nicht?
Schon der Begriff Clankriminalität selbst ist äußerst problematisch. Es gibt keine valide wissenschaftliche Definition, was darunter zu verstehen ist, sondern nur eine – wenn Sie so wollen – sicherheitspolitische Bestimmung, wonach es sich um Straftaten in „ethnisch abgeschotteten Subkulturen“ handelt. Unklar bleibt oft, warum Clankriminalität unter die Organisierte Kriminalität subsumiert wird.
Aber es gibt sie doch.
Das Phänomen will ich nicht leugnen. Aber nach einer aktuellen Studie, die den Forschungs- und Diskussionsstand bilanziert, liegen uns dazu jenseits der polizeilichen und politischen Einschätzungen bisher praktisch keine belastbaren empirischen Befunde der Wissenschaft vor. Man sollte nicht so tun, als machte allein die Erfindung eines griffigen Namens jede weitere Einordnung und Reflexion entbehrlich. Und schon gar nicht darf man im Strafverfahren ein Sonderrecht einführen mit dem Hinweis, es gehe hier doch schließlich um Clankriminalität. Man muss vielmehr politische Interessen und öffentliche Besorgnisse strikt trennen vom rechtsstaatlichen Verfahren. Ich habe aber noch einen anderen Vorbehalt.
Welchen?
Der Berichterstattung über den Prozess war zu entnehmen, dass es im Kern um die Erschleichung von Sozialleistungen geht und um die Frage, was die zuständigen Ämter unternommen haben, um Betrügereien zu verhindern oder zu stoppen. Etwaige Versäumnisse der Behörden entlasten die Angeklagten zwar nicht prinzipiell vom Vorwurf des Betrugs, sie gehören aber schon zum Gesamtbild und könnten die Strafzumessung beeinflussen, wenn man es den Tätern zu einfach gemacht hat. Umso problematischer fände ich es dann, wenn der Staat mit der Parole „Clankriminalität“ kritischen Fragen danach ausweichen wollte, ob er zu naiv oder zu bequem gewesen ist und Tatgelegenheiten hätte reduzieren können.
Im Prozess haben Zeugen offen erklärt, sie hätten Angst, wenn sie gegen die Al Zeins aussagten. Sie müssen sich doch bestätigt fühlen, wenn die Angeklagten schon vor Prozessende wieder auf freien Fuß kommen.
Hier geht es um die Gefahr der Verdunkelung. Sofern Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Zeugen unter Druck gesetzt oder bedroht werden, müsste das Gericht die U-Haft wieder in Kraft setzen. Offenbar hat es im konkreten Fall keine Verdunkelungsgefahr mehr gesehen. Das mag mit dem Teilgeständnis der Angeklagten im Rahmen des Deals zu tun haben: Für eingestandene Straftaten braucht es vor Gericht keinen Nachweis mehr, also auch keine Zeugen, die von den Angeklagten beeinflusst werden könnten.
Wie sehen Sie die – sagen wir – verächtliche Haltung der Angeklagten gegenüber den Organen des Rechtsstaats? Eine große Sause als Reaktion auf die Haftverschonung?
Das deutsche Strafrecht erwartet von Angeklagten oder Verurteilten keinen Diener. Der Rechtsstaat nimmt auch Respektlosigkeiten in Kauf, sofern diese unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit bleiben. Aus kriminologischer Sicht gehört es zum typischen Verhalten von Delinquenten, dass sie sich von den Staatsorganen betont unbeeindruckt zeigen und etwas zur Schau stellen, was sie für Stärke halten. Im Übrigen kann der Vorsitzende Richter ungebührliches Verhalten während der Verhandlung mit Ordnungsgeld oder Ordnungshaft ahnden.
Aber begibt sich der Staat nicht auf das Niveau solcher Leute oder zeigt sich gar als schwächlich, wenn er sich auf Deals mit ihnen einlässt?
Den Eindruck teile ich nicht. Der Staat kuscht auch nicht. Wie gesagt, wird ja nicht nur in solch einem Verfahren gedealt. Das ist vielmehr im Strafprozess gang und gäbe. Nur nimmt die Öffentlichkeit das in aller Regel kaum wahr.
Wäre es dann nicht klüger, gerade in so spektakulären Fällen wie diesem auf einen Deal zu verzichten, um in der Öffentlichkeit keinen falschen Eindruck zu erwecken?
So könnte ein Schuh daraus werden, ja. Es wäre eine Frage an Gericht und Staatsanwaltschaft, ob sie diesen Gesichtspunkt berücksichtigt haben – und wenn ja, ob sie ausreichend erklärt haben, warum ihnen der Deal trotzdem als geeignetes und angemessenes Mittel erschien. Von Fingerspitzengefühl und guter Kommunikation hängt gerade in solch einem heiklen Fall sehr viel ab. Aber das Urteil – nach der Prozessordnung: „im Namen des Volkes“ – ist ja auch noch nicht gesprochen.
Professor Frank Neubacher, geb. 1965, ist Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität zu Köln.