Der Sternegastronom erzählt, wie es weitergeht im „Moissonnier“. Tipps aus seiner langjährigen Restaurant-Erfahrung hat er in einem Benimmbuch gesammelt.
Vincent Moissonnier zur Zukunft seines Restaurants„Sie werden meine Frau und mich nicht mehr abends dort antreffen“
Herr Moissonnier, in wenigen Tagen erscheint von Ihnen ein Buch über gutes Benehmen im Restaurant*. Nur kann man Ihre Tipps bei Ihnen im „Le Moissonnier“ gar nicht mehr ausprobieren, weil Sie sich vom Acker machen.
Vincent Moissonnier: Ich mache mich nicht vom Acker, ich erkenne meine Grenzen. Sehen Sie: Ich will meine Gäste nicht enttäuschen. Also höre ich auf, bevor ich die Top-Leistung nicht mehr bringen kann, die sie von uns erwarten. Es soll Politiker, Sportler, Journalisten geben, die ihren eigenen Kipppunkt nicht erkennen. Das geht dann selten gut aus.
Sie haben aber erzählt, dass der Mietvertrag für Ihr Restaurant in der Krefelder Straße noch mehrere Jahre läuft. Gab es dann einen akuten Anlass, jetzt trotzdem Schluss zu machen?
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Meine Seele sagt mir schon seit zwei Jahren, dass es jetzt gut ist. Mehr als ein Jahr haben meine Frau und ich uns die Sache dann reiflich überlegt. Man kann aber so einen Betrieb mit 20 Beschäftigten nicht von heute auf morgen dichtmachen. Deshalb habe ich vor zwei Jahren letztmalig die Option auf eine weitere fünfjährige Laufzeit des Mietvertrags gezogen.
Das heißt, es geht weiter. Aber wie?
Ich werde den Leserinnen und Lesern Ihrer Zeitung nicht sagen, was ich meinen Gästen vorenthalte. Für heute aber so viel: Mit dem Kernteam um Küchenchef Eric Menchon arbeiten wir an zwei kleinen, neuen Projekten, die „Le Moissonnier“ am Leben erhalten, aber den Moissonniers ein neues Leben bescheren werden. Und noch etwas kann ich schon verraten: Sie werden meine Frau und mich nicht mehr abends mit Fliege um den Hals und Lächeln im Gesicht antreffen.
Aber zu anderen Tageszeiten – und in der Krefelder Straße?
Wir geben uns drei Monate und schauen, was passiert.
Noch ist Ihr Restaurant geöffnet, wenn auch komplett ausgebucht. Wie ist derzeit Ihre Stimmungslage – setzt schon der Phantomschmerz ein oder überwiegt die Erleichterung, dass es Ende Juni erstmal vorbei ist?
Ich bin vollkommen schmerzfrei – und sehr glücklich, dass ich selbst über mein Schicksal entscheiden konnte. Außerdem werden wir schier überschwemmt von einer Welle der Sympathie. Unfassbar, was die Gäste mit unserem Restaurant verbinden: Hier wurden Heiratsanträge gemacht, Trennungen beschlossen, Karrieresprünge besiegelt… Was wir dazu gerade erzählt und geschrieben bekommen, ist überwältigend! Ein Tsunami der Liebe von 99 Prozent unserer Gäste.
Und das Restprozent?
Ach, das sind Leute wie so ein Vollpfosten, den ich unlängst rauswerfen musste.
Wow. Warum?
Weil er sich von Anfang bis Ende daneben benommen hat. Das fing schon damit an, dass er mittags in einem Zegna-Plantagenbesitzeranzug raumgreifend ins volle Lokal marschiert kam, seinen „Panama“-Hut selbst zur Begrüßung meiner Frau nicht abnahm, dann zwei Servicekräfte mit der Suche nach einer Vase für einen Riesenblumenstrauß beschäftigte und mit seinen Begleiterinnen minutenlang die Pendeltür zur Küche blockierte. Vier Stockfehler in der ersten Viertelstunde.
Der hat halt Ihr Benimmbuch noch nicht lesen können.
Ob das geholfen hätte? Jedenfalls ging es noch stundenlang so weiter. Natürlich beschwerten sich prompt andere Gäste über die Lautstärke am Nebentisch. Bei der Bestellung ließ der Mann es richtig krachen. Null Ahnung von Wein, Hauptsache teuer. Und obwohl ich ihm sagte, dass die gewählte Speisenfolge im Rahmen der Öffnungszeit kaum zu bewältigen sei, orderte er immer weiter – bis hin zum Käse eine Viertelstunde vor Schließung. Da sagte ich dann: „Tut mir leid, das geht nicht mehr.“ – „Warum das denn nicht?“ – „Weil wir um 15 Uhr zumachen. Ich kann Ihnen höchstens noch einen Espresso anbieten.“ Darauf er mit Dackelblick zu seiner Begleiterin: „Das ist hier wie immer – sehr, sehr enttäuschend.“
Und da ist Ihnen der Kragen geplatzt?
Ich habe einmal tief Luft geholt und dann gesagt: „Jetzt passen Sie mal auf! Ich mache das hier seit 36 Jahren, und ich lasse mir von Leuten wie Ihnen nicht sagen, wie ich mein Restaurant zu führen habe. Ihre ‚Enttäuschung‘ interessiert mich nicht die Bohne. Ich würde Ihnen raten, trinken Sie einen Espresso, zahlen Sie, und dann gehen Sie. Andernfalls sorge ich dafür, dass Sie gehen.“
Rumms.
Ich bin – glaube ich – ein netter, entspannter Mensch. Man soll mich aber bitte nicht wie einen Vollidioten behandeln. Und solche Leute verderben mir wirklich die Laune.
Stichwort „entspannt“. Diese Haltung empfehlen Sie in Ihrem Buch allen Gästen. An anderer Stelle sagen Sie aber auch: Wer sich in der sogenannten guten Gesellschaft auch nur einen Fehler leistet, ist sofort unten durch. Wie soll man denn da im Restaurant entspannen, wenn man die ganzen Regeln nicht kennt?
Indem sie nicht tun, als ob. Sprechen Sie mit Ihrer Bedienung! Sie wird Ihnen gern behilflich sein und alles dafür tun, dass Sie sich trotzdem wohlfühlen. Unsicherheit ist kein Fehler. Respektlosigkeit schon – dem Personal gegenüber, dem Essen, den anderen Gästen gegenüber. Respektlosigkeit ist der einzige Fehler, der nicht wieder gutzumachen ist.
Ihr Benimmbuch weist Sie als Kavalier der alten Schule aus…
… Halt! Stopp! Nix „alte Schule“! Ich bin lediglich – noch einmal – ein Verfechter des Respekts.
Aber wenn Sie zum Beispiel empfehlen, dass „der Herr“ beim Betreten des Restaurants „als Beschützer vor der Dame geht“, dann schütteln sich nicht nur Feministinnen.
Denen allen würde ich gern erklären, dass ich ein leidenschaftlicher Verfechter der Gleichberechtigung bin. Mein Leitsatz lautet: „Frauen sind der Eintritt zur Welt.“ Denken Sie dran! Und die Unterdrückung von Frauen weltweit ist nichts anderes als die Angst der Männer vor der eigenen Unterlegenheit. Ich hatte kürzlich eine Journalistin aus Wien für ein Interview über das neue Buch bei mir. Die war ähnlich befremdet wie Sie. Ich habe ihr erklärt: „Wenn ich Ihnen die Tür aufhalte oder Ihnen den Vortritt lasse, dann ist das meine Art, Ihnen meine Wertschätzung zu zeigen. Ich bin Ihnen in diesem Moment – wenn Sie so wollen – zu Diensten. Und danach gehen wir vollkommen von Gleich zu Gleich miteinander um: Sie sagen, was Sie denken. Ich sage, was ich denke. Ich mache meinen Job, Sie machen Ihren – und das ganz sicher hervorragend.“
Die Buchpremiere verbinden Sie mit einer Weinprobe. Was erwartet die Teilnehmerinnen und Teilnehmer?
Ich möchte zwei ausgefallene Weine aus unserem Sortiment servieren und das mit einer kleinen Einführung in die Kunst des richtigen Weingenusses versehen. Ein bisschen Praxis also zur Theorie, wie sie im Buche steht.
Buchlesung und Weinprobe mit Vincent Moissonnier
Nach über 40 Jahren als Gastronom hat Vincent Moissonnier so ziemlich alles erlebt, was man im Restaurant-Geschäft erleben kann und auf jede Frage eine charmante Antwort. Der Sterne-Gastronom verfügt über Tipps, Tricks und Weisheiten, die jede und jeder kennen sollte. Wie kommuniziere ich meine Unverträglichkeiten? Kann ich höflich klarmachen, dass das Essen nicht schmeckt? Ist es ein Fauxpas die Rechnung zu splitten und wie gebe ich eigentlich richtig Trinkgeld?
Buchvorstellung mit Vincent Moissonnier – inklusive Weinprobe! Termin: Montag, 26.06.2023 | Beginn: 19:00 Uhr | Preis: 35 Euro | Ort: studio dumont, Breite Str. 72, 50667 Köln | Moderator: Joachim Frank, Chefkorrespondent Kölner Stadt-Anzeiger | Anmeldung unter: forumblau.de/akademie/seminare
* Das Buch „Der Käse kommt vor dem Dessert“ basiert auf der Stilkolumne „Wie geht's?“, die Vincent Moissonnier gemeinsam mit KStA-Chef-Korrespondent Joachim Frank seit 2020 im Magazin des Kölner Stadt-Anzeiger und der Kölnischen Rundschau veröffentlicht.