Die TH Köln ist mit 27.000 Studierenden die größte Fachochschule Deutschland. In diesem Jahr wird sie 50 Jahre alt.
TH-Präsident Stefan Herzig spricht über die Auswirkungen der Pandemie auf den Lehrbetrieb.
Warum auch in diesem Semester nicht alle Lehrveranstaltungen in Präsenz angeboten werden können.
Köln – Herr Herzig, die TH Köln kann seit diesem Semester wieder Präsenzlehre anbieten. Wie fühlt sich das an nach drei Semestern Online-Hochschule?Stefan Herzig: Der Wortlaut, die Hochschulen sind wieder auf, ist „Politsprech“. Das ist der Wunsch der Gesellschaft und das, was das NRW-Wissenschaftsministerin verlautbart hat.
Politsprech?In den Regelungen steht, die Präsenzlehre soll der Regelfall sein. Aber diese Vorgabe ist nicht vereinbar mit anderen Regelungen, die wir auch berücksichtigen müssen. Neben der Corona-Hochschul-Epidemieverordnung und der Corona-Schutzverordnung müssen wir auch die Sars Cov 2-Arbeitsschutzverordnung beachten.
Diese besagt, dass in Räumen, in denen Beschäftigte tätig sind, Abstands-, und Lüftungsregeln eingehalten werden müssen. Das sagt sich leicht, bedeutet aber, dass man einen Hörsaal, der 200 Personen fasst, nicht voll belegen kann.
Wieviel Prozent der Lehrveranstaltungen können Sie in Präsenz anbieten?Im Schmalenbach-Institut für Wirtschaftswissenschaften werden von 250 Lehrveranstaltungen pro Woche 80 in Präsenz angeboten, davon 30 hybrid. Das liegt an der alten räumlichen Infrastruktur auf dem Campus Südstadt mit seinen hohen, aber kleinen Räumen. Auf dem Campus in Leverkusen und in Deutz dürften die Zahlen besser sein. Das Institut für Versicherungswirtschaft kann 100 Prozent Präsenz anbieten.
Im Institut für Restaurierungswissenschaften wurde seit dem Sommersemester2020 so weit wie möglich die Lehre in Präsenz angeboten. Die Studierenden müssen am Objekt zum Beispiel am Gemälde arbeiten, das kann nur vor Ort geschehen. Wir gehören aber sicher zu den Hochschulen im Land, die bezogen auf den Präsenzanteil an der 50-Prozent-Marke kratzen.
Was nehmen Sie aus den Online-Semestern mit?Ich nehme mit, dass wir viele Spielräume haben, die Lehre innovativ und flexibel zu gestalten. Viele Geister, die wir gerufen haben,haben sich als gute Geister erwiesen. Ich sehe nicht, dass wir jemals wieder zu einem 100-Prozent-Präsenz-Unterricht zurückkehren werden.
Es macht auch keinen Sinn, Vorlesungen vor 200 Studierenden zu halten, die quer durch Köln fahren, um in einem Hörsaal zu sitzen. Das geht auch digital. Ich denke, wir werden diese Formate beibehalten. In Präsenz geht es um andere Formen der Vermittlung.
Die TH Köln wurde vor 50 Jahren gegründet. Seitdem ist aus der Hochschule die größte Fachhochschule Deutschlands mit 27.000 Studierenden geworden. Wie erklären Sie sich den Erfolg?Der Erfolg der TH Köln ist eingebettet in den Erfolg des Modells Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, den HAWs. Das Aufgabenspektrum hat sich verändert: Ursprünglich waren die HAWs aus der Not geboren. Hintergrund war eine EWG-Richtlinie, mit der angedroht wurde, den Absolventen von Ingenieurschulen die Berufsbefähigung zu entziehen.
Das war der Moment, um die Fachschulen in Fachhochschulen zu transformieren. Ziel war es, hochqualifizierte Lehre anzubieten und Wissen in die Gesellschaft zu übertragen. Auch die Wiedervereinigung war von Bedeutung.
Es mussten forschungsstarke Institutionen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR in Fachhochschulen überführt werden. Der gesetzliche Auftrag, Forschung zu betreiben, fand dadurch Eingang in die Hochschulgesetzgebung für HAW der westlichen Bundesländer. Weitere Bausteine waren die Bologna-Reform, die die europaweite formale Gleichheit der Bachelor- und Masterabschlüsse zum Ziel hatte, und der doppelte Abiturjahrgang. Der wurde durch den Hochschulpakt finanziert. Erstmals wurden wir mit der gleichen Summe pro Studierende und Studierender wie die Unis gefördert.
Darin liegt ein Grund, warum die Fachhochschulen stärker expandieren konnten. Nach 2011 sind die Zahlen der Studierenden an den Unis um 30 Prozent, an den Fachhochschulen um 80 Prozent gestiegen. Mittlerweile studieren etwa 40 Prozent der Studierenden an einer HAW.
Fühlen sie sich denn gleich behandelt?Wir haben ein anderes Fächerspektrum und ein anderes Qualifizierungsziel. Bei uns steht die berufliche Qualifizierung im Vordergrund. Das ist an der Uni nicht so. Wir haben nicht so viele Masterstudierende und Promovierende. An der Uni Köln gibt es 7000 Promovierende, an der TH Köln knapp 200. Ungleich sind wir auch, wenn es um die Fördermittel pro Professor geht.
Da liegen Universitäten im Vergleich zu den HAWs um den Faktor acht bis zehn vorne. Um das zu korrigieren, müssten unsere Professoren und Professorinnen mehr Freiraum für die Forschung haben. Es wird zurecht kritisiert, dass unsere Professoren und Professorinnen 18 Stunden Lehrdeputat pro Woche abhalten müssen. Das ist eine Vollzeittätigkeit, wenn man es ordentlich macht. Es ist damit nicht möglich, nebenher noch Forschung zu betreiben. Wir würden uns da eine gewisse Flexibilität wünschen.
Sind Sie mit den Regelungen zum Thema Promotion zufrieden?Die Regelung zur Promotion sind in NRW nicht zufriedenstellend. Die HAWs haben immer noch keine eigene Promotionsberechtigung. Das heißt um an einer HAW zu promovieren, braucht es einen universitären Partner. Diese so genannte kooperative Promotion muss institutionalisiert werden. Derzeit hängt es im Wesentlichen an persönlichen Beziehungen von Fachkolleginnen und -kollegen, ob ein Promovierender einen Betreuer oder eine Betreuuerin an einer Universität zur Promotion findet. Ich teile daher die Unzufriedenheit vieler Kolleginnen und Kollegen.
Spatenstich in Deutz erfolgt 2024
Wie machen eigentlich die Bauarbeiten, etwa auf dem Campus Deutz? In Deutz laufen die Planungen des ersten Bauabschnitts. Der erste Spatenstich wird wohl 2024 erfolgen. Das IWZ selbst wird zwischen dem zweiten und vierten Bauabschnitt abgerissen werden. Da sind wir wohl in den 2030er Jahren. Wichtig ist, dass der erste Bauabschnitt ausfinanziert ist. In Leverkusen gehen wir von einem Bezug im Jahr 2022 aus. Ursprünglich sollte der Campus bereits jetzt bezogen werden. Das hat sich durch die Pandemie verzögert. In Erftstadt sind noch Finanzierungsfragen zu klären.
Unklar ist noch, ob direkt Mittel des Bundes aus dem Strukturstärkungsgesetz eingesetzt werden können. Aber wir sind bereits in einem intensiven Planungsprozess mit der Stadt. Der Campus ist Teil eines großen Stadtentwicklungsplanungsprozesses in Erftstadt. Dieser ist durch die Flut im Sommer noch mal komplizierter geworden.
Zur Person: Stefan Herzig
Professor Stefan Herzig studierte Medizin an den Universitäten in Marburg und Kiel. 1995 erhielt er eine Professor für Pharmakologie an der Universität Köln. Von 2006 bis 2015 war er kommissarischer Leiter des Instituts für Pharmakologie der Universität Köln. 2011 bis 2018 amtierte er dort als Prorektor für Lehre und Studium. Seit 2018 ist Präsident der TH Köln. Herzig ist verheiratet und ist Vater dreier Kinder. (ris)
Wie werden Sie das Jubiläum nachfeiern?Es waren große Festveranstaltungen geplant, die alle abgesagt werden mussten. Das werden wir im kommenden Sommer nachholen. Einige der Begleitveranstaltungen konnten aber durchgeführt werden. Es gibt bereits einen TH-Song das Muskivideo wurde mehr als 50.000-mal geklickt. Zudem gab es einen studentischen Ideenwettbewerb zum historischen Löwenbrunnen hier in der Claudiusstraße. Wir werden auch Gastgeber in diesem Monat zur Preisverleihung der Toleranzringe sein.