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Affenpocken in Köln„Es werden sich Frauen und auch Kinder anstecken, das ist klar“

Lesezeit 4 Minuten
Affenpocken dpa

Elektronenmikroskopische Aufnahme von Affenpocken-Viren.

Köln – Die Zahl der gemeldeten Affenpocken-Infektionen in Köln ist am Freitag auf 37 gestiegen. Einen Großteil der Fälle hat der Arzt Christoph Wyen identifiziert. In seiner infektiologischen Schwerpunktpraxis am Ebertplatz wurden bis Freitag 22 neue Infektionen gemeldet. Wyen geht von einem massiven Anstieg der Fallzahlen aus. „Es wird eine Welle geben“, so der Facharzt. „Vor drei Wochen hatten wir die ersten Fälle, nun sind es an einigen Tagen fünf oder sechs.“

Affenpocken sind eine Viruserkrankung, die laut Robert-Koch-Institut (RKI) vor allem von Nagetieren auf den Menschen übertragen wird. Übertragungen von Mensch zu Mensch sind bei engem Kontakt möglich – und wurden in den vergangenen Wochen in mehr als 50 Ländern beobachtet. Im Gegensatz zu den inzwischen ausgerotteten Menschenpocken verlaufen Affenpocken in der Regel deutlich milder. Starke Grippesymptome sind jedoch möglich, die meisten Infizierten erholen sich jedoch innerhalb von mehreren Wochen. Sehr schwere oder gar tödliche Verläufe gelten bei gesunden Menschen als unwahrscheinlich. „Die Symptome entsprechen einem grippalen Infekt, sind oft sehr unangenehm. Hinzu kommen Pocken und Eiterbläschen – vor allem im Genitalbereich, aber nicht nur“, sagt Wyen.

Gefahr der Stigmatisierung durch schnelle Affenpocken-Ausbreitung

Einen großen Teil der Fälle machen derzeit Männer aus, die Sexualkontakt mit Männern haben. Wyen, der auch an zahlreichen internationalen Studien zur HIV-Infektion mitwirkt, warnt in diesem Zusammenhang vor möglichen Stigmatisierungen. „Ich habe Angst, dass unsere Diskussionen in das Denken der 80er-Jahre zurückfallen, wenn es bald mehr Fälle gibt“, so Wyen. „Wir sollten anerkennen, dass ein Lebensstil mit wechselnden Sexualpartnern für viele Menschen schlicht normal ist.“ Dass Affenpocken in den meisten Fällen über Geschlechtsverkehr übertragen werden, gilt als wahrscheinlich. Möglich sind Übertragungen jedoch bei jeder Form von engem Körperkontakt. „Es werden sich noch deutlich mehr Männer infizieren, dann Frauen und auch Kinder – das ist aus meiner Sicht klar“, sagt Wyen.

Unabhängig davon sei festzuhalten, „dass Männer, die Sex mit unterschiedlichen Männern haben, gerade ein hohes Risiko eingehen.“. Wichtig sei nun vor allem Aufklärung über die Erkrankung. Die gute Nachricht: Es gibt bereits einen Impfstoff. Zum Einsatz kommt das Mittel „Imvanex“, das zum Schutz vor Pocken seit 2013 in Deutschland zugelassen ist – und auch vor Affenpocken schützt. Aktuell ist der Impfstoff jedoch knapp. Nur wer als Risikokontakt eingestuft wird, kann derzeit geimpft werden. Dem Land Nordrhein-Westfalen stehen derzeit 7300 Dosen zur Verfügung, sie werden in der Kölner Uniklinik gelagert.

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Für eine Immunisierung sind zwei Impfungen im Abstand von mindestens 28 Tagen möglich. „Wenn ein Großteil der Risikogruppe geimpft ist, wird das Problem erstmal gelöst sein. Und die Impfbereitschaft ist in dieser Gruppe sehr hoch“, sagt Wyen. Bis Herbst sollen erheblich mehr Dosen zur Verfügung stehen. Dann, hofft Wyen, ist die Gefahr erstmal beseitigt.

Kölner Arzt: Häufige Partnerwechsel sind derzeit ein Affenpocken-Risiko

Derzeit allerdings seien häufige Partnerwechsel zwischen Männern ein Risiko, „das muss man so festhalten“, so Wyen. Prävention sei nur schwer möglich. „Wahrscheinlich haben Kondome eine gewisse Schutzwirkung, viel weiß man dazu aber bislang nicht“, erklärt der Arzt.

Ein Problem sieht er in der teilweise fehlenden Bereitschaft, sich auf eine Affenpocken-Infektion testen zu lassen. „Die dreiwöchige Quarantäne ist für viele ein Hindernis. Viele wollen auch vermeiden, dass ihre Sexualpartner als Risikokontakte in Quarantäne müssen“, sagt Wyen. In seiner Praxis falle der Test bei den allermeisten Verdachtsfällen positiv aus. Es ist davon auszugehen, dass die erfassten Infektionen nur einen Teil der tatsächlichen Fälle ausmachen. Das Gesundheitsamt teilte auf Anfrage mit, das Phänomen sei der Verwaltung nicht bekannt, da sie nur von gemeldeten Fällen erfahre.

Affenpocken-Ausbreitung: CSD in Köln als möglicher Risikofaktor?

In Fachkreisen wird diskutiert, wie groß das Risiko einer rasanten Ausbreitung im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Christopher Street Day (CSD) am Sonntag in Köln ist. „Derzeit scheint es uns, dass die schwule Community und andere Risikogruppen sich der drohenden Gefahr noch nicht ausreichend bewusst sind“, sagt Wyen. „Die Krankheit kann sehr unangenehm sein, es können Narben nach den Pocken zurückbleiben, es gibt durchaus schwere Fälle, die im Krankenhaus behandelt werden müssen“, betont der Arzt.

Neben dem medizinischen Risiko bestehe die Gefahr der Stigmatisierung von Betroffenen – auch aufgrund der Sichtbarkeit der Erkrankung. Mit Blick auf den CSD etwa drohe der eigentliche Zweck der Parade, für die Sichtbarkeit und Rechte von queeren Gruppen einzutreten, in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund zu geraten. Das medizinische Risiko und das Risiko einer gesellschaftlichen Stigmatisierung einzelner Gruppen gelte es mit Blick auf die Ausbreitung der Affenpocken zu berücksichtigen.