Deutschland fände der Alt-Bundespräsident ohne AfD schöner, sagte er in Köln – die Widerstandskraft der freiheitlichen Demokratie hält er aber für groß genug.
Alt-Bundespräsident in KölnJoachim Gauck würde gerne auf die AfD verzichten – aber ist gegen ein Verbot
Joachim Gauck hat sich am Dienstag bei einem Auftritt in der Uni Köln dagegen ausgesprochen, ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD einzuleiten, wie es verschiedentlich gefordert worden ist. Zugleich wandte er sich dagegen, AfD-Wähler pauschal als Nazis zu verurteilen. Der ehemalige Bundespräsident äußerte sich im Rahmen der „Kölner Gespräche zu Recht und Staat“, die das Institut für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre veranstaltet, über Herausforderungen der demokratischen Gesellschaft. Dabei knüpfte er an das an, was er in seinem mit Helga Hirsch verfassten Buch „Erschütterungen. Was unsere Demokratie von außen und innen bedroht“ dargelegt hat.
Keinen Zweifel ließ Gauck daran, was er von der AfD hält: „Ich fände Deutschland ohne diese Partei einfach schöner. Ich würde gerne völlig auf sie verzichten.“ Gerade als Deutscher möge er Nationalpopulisten überhaupt nicht. Parteien vom ganz rechten Rand würden „kaum Zukunftsperspektiven“ entwickeln, ihr Angebot sei „äußerst dürftig bis peinlich“. So wie die AfD zurzeit „aufgestellt“ sei, verbiete sich eine Koalition mit ihr. Trotzdem sie es der falsche Weg, sie zu untersagen.
Statt Verbot: AfD-Argumente zerlegen und auf deren Dürftigkeit verweisen
Das Bundesverfassungsgericht, das vor Jahren ein Verbot der NPD trotz „offenkundig verfassungsfeindlichen Gedankenguts“ abgelehnt habe, würde nicht mitspielen, und „eine ganz bestimmte große Gruppe in der Bevölkerung würde ihre parlamentarische Repräsentanz verlieren“. Besser sei es, mit der AfD „im parlamentarischen Wettbewerb zu streiten, ihre Argumente zu zerlegen“ und auf deren Dürftigkeit zu verweisen.
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Gauck warb dafür, „nicht darauf zu setzen, dass die Juristen die Arbeit machen, die die Gesellschaft zu tun hat“. „Aus dem Bauch heraus“ die „widerlichen Nazis und Faschisten“ zu verteufeln, greife zu kurz und verfehle die Motivation einer Mehrheit von Wählerinnen und Wählern.
Mit Blick auf die Entwicklung in westlichen Demokratien sprach der frühere Bundespräsident von einer „Flucht nach Rechtsaußen“, weil sich viele Menschen, zumal die „strukturkonservativen“, vom raschen Wandel und der Vielzahl der Krisen überfordert fühlten. Sie gäben rechtspopulistischen Parteien „nicht wegen deren zukunftsweisender Politik“ ihre Stimme, „sondern um getröstet zu sein, um verstanden und beheimatet zu werden“.
Auf der rechten Seite ist eine „Repräsentanzlücke“ entstanden
Diesen Trend sieht Gauck dadurch befördert, dass in vielen Ländern konservative Parteien in die Mitte gerückt seien, wie etwa die Union unter Angela Merkel, die deshalb früheren Wählerinnen und Wählern nicht mehr konservativ genug sei. So sei auf der rechten Seite eine „Repräsentanzlücke“ entstanden, in die die Populisten vorstoßen würden. Zur Möglichkeit, diesem Trend entgegenzuwirken, sagte Gauck, der sich als Wechselwähler bezeichnete: „Wir brauchen eine Union, die ressentimentfrei wertkonservative Positionen neu definiert“.
Auch zum Phänomen, dass die AfD in Ostdeutschland besonders stark ist, äußerte sich der Gast, der sich in der Opposition gegen das DDR-Regime engagiert hatte und froh war, als er das erste Mal an einer freien Wahl teilnehmen konnte. Dass es „statistisch fassbare Unterschiede“ zwischen den politischen Kulturen hüben und drüben gebe, sei kein Wunder, sagte er, denn im Osten hätten „ganze Generationenketten in Unmündigkeit gelebt“, anders als in der alten Bundesrepublik, die nach dem Krieg nicht nur ein Wirtschafts-, sondern auch ein „Demokratiewunder“ erlebt habe.
Die Widerstandskraft der freiheitlichen Demokratie ist groß genug
Die Sorge des Kölner FDP-Politikers Gerhart Baum, dass „wir auf Weimar zugehen“, teile er nicht, vielmehr halte er die Widerstandskraft der freiheitlichen Demokratie für groß genug. Prof. Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre, meldete im Dialog mit Gauck Zweifel an, ob dieser nicht ein „idealisiertes Bild“ vom Westen zeichne und zu optimistisch sei. Die Antwort hatte Gauck eigentlich schon gegeben: „Ich bin in diesem Lande zuständig für Zuversicht und habe gute Gründe dafür.“
Den Studierenden, die den Hörsaal füllten, gab er mit, sie sollten sich an Wahlen beteiligen und in politischen Streitgesprächen selbstbewusst, konfliktbereit und mit „kämpferischer Toleranz“ deutlich Position beziehen.