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Angriffe auf Retter„Ein Stau wird zur persönlichen Zumutung, die wütend macht”

Lesezeit 4 Minuten
Rettungsdienst_Polizei nachts

Symbolbild

  1. Immer öfter werden Rettungskräfte attackiert. Erst unlängst wurde auf der A3 ein Feuerwehrmann im Einsatz angegriffen, jüngst ein Rettungssanitäter auf dem Ebertplatz.
  2. Rheingold-Geschäftsführer Stephan Grünewald erklärt, warum es bei immer mehr Menschen zu Allmachtsneid kommt, wenn sie auf Polizisten, Feuerwehrleute oder Sanitäter treffen.
  3. Und er schildert, wie das Internet als scheinbar saktionsfreier Raum zur Verhaltensänderung und zum Ohnmachtserleben auf den Straßen und Plätzen Deutschlands trifft.

KölnHerr Grünewald, erst unlängst wurde auf der A 3 wieder ein Feuerwehrmann im Einsatz angegriffen. Gewalttätige Attacken auf Nothelfer – wie kommt so etwas?

Das hat mehrere Gründe, die miteinander im Zusammenhang stehen. Wir leben erstens in einer Gesellschaft ohne autoritäre Väter. Kinder und Jugendliche machen nur noch wenig Erfahrungen mit Reglementierungen und strikten Grenzziehungen. Infolgedessen sinkt die Bereitschaft, jedwede Form von Autorität zu akzeptieren. Gleichzeitig verlieren angestammte Ordnungen oder institutionelle Gefüge, die bislang wie selbstverständlich Autorität beanspruchen konnten, an Plausibilität. Und dementsprechend werden die jeweiligen Ordnungshüter als Hindernisse für die Entfaltung persönlicher Freiheit erlebt. Das fängt beim Bademeister an und geht bis zum Polizeibeamten.

Badeordnungen aben aber doch ihren Sinn, Gesetze auch. Ist das nicht mehr vermittelbar?

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Es gibt aber auch Überregulierung mit Auswüchsen, die das Gefühl bedienen, es mit nur mehr willkürlichen oder gar sinnlosen Ordnungen zu tun zu haben. Mit einem Wust von Bauvorschriften und kafkaesken Verwaltungswegen scheint der Staat seine Bürger permanent zu gängeln und zu triezen. Ein Wald von Verkehrsschildern behindert die freie Fahrt. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Ordnung muss sein, keine Frage. Aber Ordnungswut macht die Menschen ihrerseits wütend und schwächt die Bereitschaft, sich gegebenen Ordnungen zu unterwerfen. Erschwerend hinzu kommt die Digitalisierung.

Inwiefern?

Das Internet wird von den Menschen als Sphäre unbeschränkter Freiheit erlebt. Hier können sie sich scheinbar ungehindert selbst verwirklichen: Auf Knopfdruck geschieht alles, was ich will; und was ich nicht will, kann ich auf Knopfdruck auch wieder eliminieren. Daraus erwächst eine Anspruchshaltung an die analoge Welt: Alles muss sofort und sogleich so passieren, wie ich es will. Die Geduldsschwelle sinkt rapide, die Intoleranz grassiert. Ein Stau, der durch den Einsatz von Rettungskräften entsteht, wird zur persönlichen Zumutung und zu einem Ohnmachtserleben, das wütend macht. Zudem ist das Internet ein scheinbar sanktionsfreier Raum. Hier wird der Mensch wieder „dem Menschen zum Wolf“, wie der Philosoph Thomas Hobbes einen Naturzustand ohne die ordnende Hand eines Staates beschrieben hat. Tritt im Internet jemand auf, dessen Meinung einem nicht passt oder der einem Grenzen setzen will, versucht man augenblicklich, dies mit Wutausbrüchen und wüsten Beschimpfungen wieder aus der Welt zu schaffen. Dieses digitale Verhaltensmuster durchdringt nun immer stärker auch die analoge Welt.

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Aber das Verstörende ist doch, dass sich die Wut gegen Helfer richtet, die einem anderen womöglich gerade das Leben retten.

Da geschieht etwas sehr Merkwürdiges, Ambivalentes. Polizisten, Feuerwehrleute, Sanitäter erscheinen von Amts wegen allmächtig: Sie dürfen alles, was ich nicht darf: eine Waffe tragen, zu schnell fahren, rechts am Stau vorbeifahren, den Verkehr aufhalten… Man könnte auch sagen: Sie dürfen in der analogen Welt die Freiheiten ausleben, die ich mir für mich selbst erträume, die ich mir aber nur in der digitalen Welt erlauben kann. Zu diesem Allmachtneid kommt noch der Versorgungsneid hinzu: Denn die Sanitäter oder Feuerwehrleute, die mich ausbremsen und aufhalten, kümmern sich um irgendwelche anderen Leute, aber nicht um mich. Das löst ein Gefühl der Zurücksetzung aus.

Der Gesetzgeber hat 2017 die Strafen für Angriffe auf Vollstreckungsbeamte und Rettungskräfte verschärft. Eine richtige Reaktion?

Es ist zumindest ein Schritt, der die Menschen sehr konkret damit konfrontiert, dass die Wirklichkeit kein sanktionsfreier Raum ist. Aber Repression allein ist nicht genug. Notwendig ist auch Bewusstseinsbildung: Die Menschen müssen wieder verinnerlichen, dass der Polizist, Sanitäter oder Feuerwehrmann, der sie gerade behindert, im Notfall auch für sie bereitstünde: Der „Freund und Helfer“ ist nicht nur für die anderen da, sondern potenziell auch für mich. Und die besonderen Freiheiten, die Vollstreckungsbeamte oder Rettungskräfte genießen, haben sie nicht für sich persönlich, sondern sie stehen im Dienst der Gemeinschaft.

Das Gespräch führteJoachim Frank

Von Stephan Grünewald ist zuletzt das Buch erschienen: „Wie tickt Deutschland. Psychologie einer aufgewühlten Gesellschaft“, Verlag Kiepenheuer&Witsch, 320 Seiten, 20 Euro. (jf)