Es ist schon eine Weile her, dass ich beim Warten auf einen offiziellen Anlass im Hansasaal des Rathauses neben einem Mitglied des Stadtrats saß. Im Smalltalk kamen wir auf die gotischen Statuen an der Stirnseite, und ich merkte: Mein Gesprächspartner hatte keinen blassen Schimmer, was es mit diesen neun Rittern auf sich hat. Jedenfalls fand er ungeheuer spannend, was ich ihm darüber zu erzählen wusste. Es hat offenbar etwas für sich, dass wir Kunsthistoriker in bestimmten Fragen einen Bildungsvorsprung haben. Und ich dachte mir: Diese ausgesprochen qualitätvollen und spannenden Skulpturen aus der Zeit zwischen 1320 und 1330 haben eine größere Bekanntheit verdient. Du musst sie unbedingt mal vorstellen!
Es handelt sich dabei um die „neun guten Helden“. Von links nach rechts als erstes drei Christen: Kaiser Karl der Große, König Artus und Gottfried von Bouillon. Es folgen drei Juden, sämtlich Gestalten aus dem Alten Testament, nämlich Josua, dann ganz in der Mitte König David, ausnahmsweise nicht als Musiker wiedergegeben, sowie rechts von ihm der Freiheitskämpfer Judas Maccabäus. Und schließlich Alexander der Große, Hektor und Julius Caesar als Vertreter der heidnischen Antike. Jede dieser Persönlichkeiten war einem gebildeten Menschen des Mittelalters bekannt und vertraut. In dieser Zusammenstellung traten sie erstmals zu Beginn des 14. Jahrhunderts in einem französischen Versepos aus dem höfisch-ritterlichen Milieu auf. Bald darauf entstand daraus in den Niederlanden eine weit verbreitete populäre Fassung, und diese dürfte auch die Kölner erreicht haben, die damals gerade ihr Rathaus bauten.
Die verantwortlichen Ratsherren entschlossen sich, die neun guten Helden abzubilden. Diese kamen damit zum ersten Mal in den Genuss einer plastischen Darstellung. Spätere Versionen finden sich zum Beispiel am „Schönen Brunnen“ in Nürnberg. Aber mit dieser frühesten Fassung bewies der Kölner Rat damals Fortschrittsgeist – ästhetisch und programmatisch.
Keine der Figuren trägt individuell-porträthafte Züge. Sie sind als Typen aufgefasst, als Gruppe in den gleichen zeitgenössischen Waffenröcken. Vorbildhaft stehen sie nicht nur – was bei Rittern ja naheliegt – für Mut und Tapferkeit, sondern auch für Besonnenheit. Achten Sie einmal darauf: Keiner dieser neun Kämpfer ist als Haudrauf oder Berserker gezeigt, sondern sie stehen in variantenreichen, zum Teil sehr nachdenklichen Posen da. Das gilt insbesondere für König Artus, den Gründer der berühmten Tafelrunde. Karl der Große wird als Rhetor mit entsprechender Gestik gezeigt. Judas Maccabäus richtet den Blick vergeistigt zum Himmel. Als einziger hat Gottfried von Bouillon, als Kreuzritter und Eroberer Jerusalems zur damaligen Zeit der christliche Held schlechthin, das blanke Schwert in der Hand. David zieht es gerade aus der Scheide, Caesar hat lediglich die Faust am Schwertknauf. Alle anderen haben ihre Waffe fein säuberlich verstaut. Soll heißen: Wir sind zwar bereit, für unsere Ideale zu kämpfen. Aber nicht, ohne vorher nachzudenken.
In der Serie „Auf den Punkt“ führt Dombaumeisterin a. D. Professor Barbara Schock-Werner die Leser des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zusammen mit Chefkorrespondent Joachim Frank jeden Monat zu besonders markanten Punkten Kölns: zu den Schandflecken ebenso wie zu den verborgenen Schätzen.
Immer geht es darum, Dinge wahrzunehmen, die man hundertmal gesehen, aber selten wirklich beachtet hat. Schock-Werner findet: „Das ist wie bei meinen Führungen im Dom, wenn die Leute hinterher sagen: Jetzt waren wir so oft hier, aber was Sie uns da gezeigt haben, das haben wir noch nie bemerkt.“
Weltoffene Haltung
Dieses doppelte Programm von Kampfesmut und Klugheit wollten die Kölner Ratsherren zum Ausdruck bringen. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts bildete sich aus den reich gewordenen Kaufmannsgeschlechtern der Stadt eine neue Führungselite heraus. In den neun guten Helden stellten sich diese Patrizier gewissermaßen selbst dar. Die Skulpturen verkörperten einerseits den Anspruch des Bürgertums, mit dem Adel gleichzuziehen. Andererseits signalisierten sie die Bereitschaft der Ratsherren, sich und künftige städtische Honoratioren am Ideal der neun guten Helden messen zu lassen.
Ein hoher Anspruch, der das Selbstbewusstsein der Herren spiegelt! Aber auch eine recht einseitige Wahrnehmung. Denn zumindest aus heutiger Sicht wirkt es schon eigenartig, dass der Magistrat sich im Rathaus auf jüdische Vorbilder beruft und diese gleichberechtigt neben einen König Artus oder einen Julius Caesar stellt, während er draußen zeitgleich das jüdische Ghetto räumen lässt. Ich will jetzt gar nicht von „guten Juden“ und „bösen Juden“ reden, aber augenscheinlich hatten die Vertreter der Kölner Bürgerschaft mit Juden aus der Bibel weniger Probleme als mit deren zeitgenössischen Glaubensgeschwistern.
Durch die unterschiedslose Reihe von Heiden, Juden und Christen gab sich der Magistrat der Stadt ungeheuer weltoffen. Das eingangs erwähnte Ratsmitglied war auch gleich ganz begeistert, weil sich hier in diesem Figurenprogramm schon zu Beginn des 14. Jahrhunderts die sprichwörtliche Toleranz der Kölner manifestiert hat. Ich selbst hab's zwar nicht so mit dieser kölschen Selbstverliebtheit, aber spannend ist der Aspekt zweifellos. Nicht unerwähnt lassen will ich die Architektur-Zitate, von denen die Ritterfiguren umgeben sind: Konsolen, Baldachine, Fialen und so weiter. Fabelhafte Arbeit! Sie stammt – nun ja – von der Dombauhütte, woher sonst? Niemand anderes in der Stadt hätte in dieser Zeit solch eine Qualität liefern können. Da hat der Rat seinerzeit einfach die Steinmetzen vom Dom herüber ans Rathaus geholt.
Auch die Arbeit an den Figuren steht in der Tradition der am Dom tätigen Bildhauer. Das können Sie zum Beispiel an dem Hund sehen, der zu Füßen Gottfried von Bouillons liegt und an einem Knochen nagt. Der Hund ist ein verbreitetes Symbol für Treue. Aber die konkrete Darstellung mit den Schlappohren und dem Knochen findet sich exakt im Chorgestühl des Doms wieder. Ohne Hund und Schwert, dafür mit einem Pilgerstab in der Hand, steht ein „Zwilling“ Gottfrieds im Xantener Dom. Dort geht stellt er den Ortsheiligen, Viktor, dar.
Bunte Vergangenheit
Bevor Sie jetzt an Plagiate oder so etwas denken, muss ich Ihnen den mittelalterlichen Kunstbetrieb erklären, den Sie sich als eine gut vernetzte Szene vorstellen können: Als im Kölner Dom die Figuren an den Chorpfeilern und am Hochaltar fertiggestellt waren, gab es nicht mehr allzu viele Aufträge für Bildhauer. Eine Gruppe von ihnen zog also weiter an den Niederrhein, wo die Xantener mit ihrem Dombau beschäftigt waren. Aber das Geld war dort knapp. Entsprechend langsam schritten die Arbeiten voran. Da hörten die Bildhauer vom Neubauprojekt „Kölner Rathaus“, witterten ihre Chance, zogen wieder rheinaufwärts und brachten so auch ihre Modelle mit zurück nach Köln. Nach dem Motto: Ob nun Viktor von Xanten oder Gottfried von Bouillon – egal! Warum einen guten Entwurf nicht mehrfach verwerten?
Bis zum Zweiten Weltkrieg waren die Figuren der neun guten Helden übrigens bemalt. Die elegante farbliche Fassung ist aber verloren gegangen, als die Statuen im Rathauskeller zwischengelagert waren und dort durch, sagen wir, „Verkettung widriger Umstände“ in Brand gerieten. Danach waren sie bis zu ihrer Restaurierung in beklagenswertem Zustand. Jetzt sehen sie wieder gut aus, nur sind sie halt nicht mehr koloriert.
Wer noch mehr über die Geschichte der neun Helden wissen will, dem lege ich den Band „Das gotische Rathaus und seine historische Umgebung“ ans Herz, herausgegeben von Walter Geis und Ulrich Krings, in der vorzüglichen, aber leider nicht mehr fortgesetzten Reihe „Stadtspuren“ des Bachem-Verlags. Für Besichtigungen empfehle ich Ihnen zudem, sich vorher anzumelden. Aber bitte jetzt nicht gleich alle auf einmal! Sonst brauche ich mich im Rathaus fürs Erste nicht mehr sehen zu lassen.
Aufgezeichnet von Joachim Frank