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Leiterin des Kölner Ausländeramts im Interview
„Vieles, was wir hier tun, wird nicht gesehen“

Lesezeit 7 Minuten
Leiterin des Ausländeramtes Christina Boeck gestikuliert

Die Juristin Christina Boeck ist seit Dezember 2022 Leiterin des Kölner Ausländeramts.

Erreichbarkeit, Unterbesetzungen und Abschiebungen: Christina Boeck spricht über Probleme in ihrer Behörde – lehnt aber gewisse Kritik ab.

Frau Boeck, Sie haben sich vor eineinhalb Jahren entschieden, die Leitung des Ausländeramts zu übernehmen, dem Vernehmen nach hätten Sie auch früher schon die Möglichkeit dazu gehabt. Was hat den Ausschlag gegeben, die Stelle zu übernehmen?

Christina Boeck: Für mich war es der richtige Zeitpunkt. Die große Herausforderung, die das Thema Zuwanderung und Integration mit sich bringt, fand ich schon immer spannend, die Vielfältigkeit und den politischen Einfluss, dem wir ausgesetzt sind. Im Ausländeramt sind wir am Puls der Zeit. Mich begeistert die Sinnhaftigkeit des Jobs: Alles, was wir tun, beeinflusst die Gesellschaft. Früher oder später landen alle politischen Entwicklungen im Weltgeschehen auf unserem Tisch. Mir macht es auch sehr viel Spaß, mit den privaten Akteurinnen und Akteuren, die sich für Anliegen von Ausländern engagieren, und anderen städtischen Ämtern wie etwa dem Amt für Integration und Vielfalt oder dem Amt für Wohnungswesen vernetzt zu arbeiten. Und der Spirit, der im Ausländeramt herrscht, habe ich an wenigen anderen Positionen so erlebt.

Das Ausländeramt möchte zur Willkommensbehörde werden. Es geht um Themen wie Kundenfreundlichkeit, bessere Erreichbarkeit und Verständlichkeit oder rassismuskritische Haltung. Wie weit sind Sie auf diesem Weg?

Wir sind mit den Themen Kommunikation mit den Kunden und Kompetenzen der Mitarbeitenden gestartet. In Workshops haben wir reflektiert, was wir bereits gut machen, wo wir schon kundenfreundlich und gut erreichbar sind, wie sensibel wir für Rassismus sind und wo es Defizite gibt. Wenn wir festgestellt haben, dass ein Verfahren zu kompliziert war, haben wir das sofort umgestellt. Den Internetauftritt haben wir fließend verbessert, aber in der Kommunikation sind wir sicher noch am weitesten von unserem Anspruch entfernt, Willkommensbehörde zu sein.

In welchen Bereichen ist die Erreichbarkeit noch besonders ausbaufähig?

In den Bezirksausländerämtern, gerade im Rechtsrheinischen, wo wir besonders viele unbesetzte Stellen haben, und im Bereich Einbürgerung aufgrund von Rückstanden. Um die Erreichbarkeit zu verbessern, haben wir eine Hotline für die rechtsrheinischen Bezirke eingerichtet und nutzen das Callcenter der Stadt Köln. Ziel ist es, eine Behörde zu werden, in der die Verfahren für alle Kundinnen und Kunden klar, kurz und transparent sind.

Wie hoch ist die Quote der unbesetzten Stellen insgesamt?

Sie liegt insgesamt bei knapp 20 Prozent. In den rechtsrheinischen Gruppen und in der zentralen Ausländerbehörde mitunter bei bis zu 30 Prozent. Es ist schwer, gute Fachkräfte zu bekommen und gleichzeitig brauchen wir in einigen Bereichen wie der Einbürgerung viel mehr Mitarbeitende, weil deutlich mehr Anliegen zu bearbeiten sind. Wir bemühen uns, die Stellen zu besetzen, müssen uns aber vielleicht auch darauf einstellen, dauerhaft Aufgaben mit weniger Personal zu bewältigen.

Es gibt viele Beschwerden, was die Erreichbarkeit und Wartezeiten für Termine betrifft. Auch die Bürokratie der Antragsverfahren überfordert viele Menschen. Wann soll das Ziel, klar, kurz und transparent in den Abläufen zu sein, erreicht sein?

Wir streben an, innerhalb kürzester Zeit auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen reagieren zu können und für jede Herausforderung schon den passenden Arbeitsprozess vorbereitet zu haben. Die Digitalisierung wird vieles erleichtern. Künstliche Intelligenz kann uns hoffentlich schon bald helfen, Prozesse zu optimieren– zum Beispiel, indem sie Anträge auf Vollständigkeit überprüft. Aktuell befassen wir uns mit Chatbots für immer wieder gestellte Fragen, um die Kommunikation zu verbessern. Dazu gehört auch eine einfache Sprache.


Zur Person

Die Juristin Christina Boeck (50) ist seit Dezember 2022 Leiterin des Kölner Ausländeramts, für das sie seit 2007 in verschiedenen Positionen arbeitet, zuletzt mehrere Jahre als stellvertretende Leiterin. Im Jahr 2018 ist die Ausländerbehörde ein eigenes Amt geworden. Vorher waren die Aufgaben in zwei Abteilungen im Ordnungsamt verortet: die kommunale und die zentrale Ausländerbehörde. Die Behörde hat aktuell 500 Stellen an 13 Kölner Standorten und wird in den kommenden Jahren zum Beispiel im Bereich Einbürgerung wachsen. Gut 120 Stellen fallen auf die zentrale Ausländerbehörde, die sich um Landesangelegenheiten kümmert. Hauptsitz ist an der Dillenburger Straße in Kalk.


In den vergangenen Monaten gab es drei Fälle, in denen das Kölner Verwaltungsgericht Abschiebungen gestoppt hat, die vom Ausländeramt angeordnet worden waren. Das Gericht argumentierte stets ähnlich, dass es die Gründe für ein Bleiben anders gewichtet als das Amt. Wie kommt es zu solch einer Häufung dieser Fälle?

Wir treffen pro Jahr mehr als 1000 ablehnende Entscheidungen und teilen dann den Betroffenen mit, dass es keine Rechtsgrundlage dafür gibt, dass sie sich in Deutschland aufhalten dürfen. Nur in einigen wenigen Fällen müssen wir auf das Mittel der Rückführung zurückgreifen. Wir fühlen uns seit vielen Jahren als Behörde dem Integrationsprozess verpflichtet und prüfen – auch ohne einen entsprechenden Antrag des Betroffenen – in jedem einzelnen Fall, ob es doch eine Rechtsgrundlage dafür gibt, dass jemand hierbleiben darf.

Woran liegt es, dass Gerichte immer wieder anders entscheiden als die Behörde?

Erstens könnte das Gericht Informationen verwerten, die uns nicht bekannt waren. Die Menschen sagen uns schlicht nicht immer alles. Wenn wir erfahren, dass eine Verwandte schwer krank ist, entscheiden wir einen Fall womöglich anders. Zweitens könnten wir eine andere Rechtsauffassung als das Gericht haben. Oder drittens: Bei uns arbeiten Menschen, und Menschen machen auch mal einen Fehler. Dann sind wir froh, wenn das Gericht ihn feststellt und wir ihn korrigieren können.

Gibt es eine Direktive von Land oder Bund, „konsequenter abzuschieben“, wie es etwa Bundeskanzler Olaf Scholz öffentlich gefordert hat?

Nein, für uns ist nicht maßgeblich, was in der Politik diskutiert wird. Für uns zählt allein, was im Gesetz steht. Wir können mit unseren Kapazitäten aber auch nicht auf Knopfdruck das Rückführungsvolumen mal eben steigern.

Was haben Sie als Erstes angepackt, als Sie die Leitung übernommen haben?

Es gab gleich einen ganzen Katalog von Aufgaben. Ich bin im Dezember 2022 ohne Führungsebene gestartet. Alle vier Abteilungsleiterpositionen waren unbesetzt. Mein Team ist seit einem Monat zum Glück komplett. Zeitgleich hatten wir den Auftrag aus der Politik, das Ausländeramt in eine Willkommensbehörde umzuwandeln. Auch der Kommunikation nach außen habe ich mich gleich nach meinem Amtsantritt besonders angenommen: Ich hatte das Gefühl, dass die Wahrnehmung des Ausländeramts nicht so positiv war. Dass vieles, was wir hier tun, nicht gesehen wird.

Was ist das zum Beispiel?

Dazu fällt mir Ukraine 2022 ein. Damals gab es viel, wie ich finde, unberechtigte Kritik. Ich bin extrem stolz auf unsere Teams, weil wir innerhalb von sechs Monaten über 12.000 Menschen in einen Aufenthaltstitel verwaltet haben. Auch unser einzigartiges Bleiberechtsprogramm, in dem wir intensiv mit vier freien Trägern daran arbeiten, Langzeitgeduldete in einen Aufenthalt zu bekommen, ist etwas, was es in der Form sonst nirgendwo gibt. Mit vier Sozialpädagoginnen, die wir eigens dafür eingestellt haben, und den freien Trägern haben wir von 2021 bis 2023 2108 Menschen betreut und konnten 469 Aufenthaltstitel erteilen.

Stichwort Aufenthaltstitel: Kurz bevor Sie zur Chefin berufen wurden, gab es einen Schleuserfall in der Behörde. Wie stellen Sie sicher, dass sich so etwas nicht wiederholt?

Wir haben die Antikorruptionsschulungen flächendeckend aufgefrischt. Kontrollmechanismen wie das Vier-Augen-Prinzip und Stichproben sollen solche Handlungen deutlich schwerer machen. Aber wir sind auch zu dem Schluss gekommen: Wir können kriminelles Handeln nicht absolut verhindern.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft. In den nächsten zwei Jahrzehnten wird die Fluchtbewegung vermutlich noch mal deutlich größer sein. Wie gut sind Sie vorbereitet?

Für mich ist es wichtig, die Erfahrungen aus den Migrationsbewegungen 2015 und 2022 zu nutzen, um Strukturen aufzubauen. Das Sachgebiet Asyl muss dynamischer aufgebaut sein – und die richtigen Schlüsse aus der Vergangenheit ziehen, um auf zukünftige Fluchtbewegungen gut vorbereitet zu sein. Das geht nur in enger Zusammenarbeit mit anderen Behörden. Wir versuchen dabei, das Willkommensprinzip groß zu schreiben. Auch die Herausforderung für unsere Behörde, Fachkräfte zu bekommen, zeigt, dass wir Zuwanderung brauchen.