Köln – Manchmal braucht es den richtigen Zeitpunkt, damit Dinge doch noch in Bewegung geraten, die völlig festgefahren schienen. Ulrich Coersmeier (79) hält diesen Zeitpunkt für gekommen. Seit knapp 30 Jahren verfolgt der Kölner Architekt die Pläne zur Umgestaltung der Ost-West-Achse zwischen Heumarkt und Rudolfplatz.
Coersmeier hat dazu 1992 sogar einen städtebaulichen Wettbewerb gewonnen und wenige Jahre später die neue U-Bahnstation Heumarkt gestaltet. Jene Kathedrale des Nahverkehrs, die nach dem Einsturz des Stadtarchivs am 3. März 2009 mit den Langzeitfolgen für den Bau der Nord-Süd-Stadtbahn und die gesamte Kölner Verkehrspolitik wie ein hoffnungslos überdimensioniertes Bauwerk am Rande der City liegt.
Positionen sind seit Jahren einbetoniert
Die Ost-West-Achse, sagt Coersmeier heute, sei nicht nur eine Sache des Verkehrs. Das ist seine erste Botschaft an die Stadtpolitik, die sich seit Jahren vor allem an der Frage abarbeitet, ob die Stadtbahnen in Zukunft über oder unter der Erde fahren sollen.
Die Positionen sind seit Jahren einbetoniert. Die Grünen, stärkste Fraktion im Stadtrat, sind gegen jede Art von Tunnellösung, CDU, Volt, SPD und FDP in unterschiedlichen Varianten dafür, Oberbürgermeisterin Henriette Reker und Andrea Blome, neue Stadtdirektorin und ehemalige Verkehrsdezernentin, ebenfalls.
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Es gäbe also rein rechnerisch eine klare Mehrheit für den Tunnel. Im Bündnisvertrag zwischen den Grünen, der CDU und Volt ist das Thema wegen der unüberbrückbaren Differenzen ausgeklammert worden. Vorerst hat der Stadtrat zwei Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben. Für beide Varianten.
Und Coersmeier? Er habe sich nach Jahren einfach mal wieder an den Neumarkt gestellt, den Blick Richtung Nord-Süd-Fahrt gewandt und sich gefragt, „was ich da eigentlich sehe“. Eine Bahnfläche, acht Meter breit, die Süd- und Kernstadt zerschneide. „Egal, wie die Politik sich früher oder später entscheidet. Wir haben dort eine Riesenchance für eine große Mittelallee, für eine Perlenkette von Stadtplätzen, für deutlich weniger Konflikte zwischen Fußgängern, Rad- und Autofahrern und Lieferverkehr.“
Den kölschen Ost-West-Konflikt entschärfen
Das alles ist nicht völlig neu, vieles basiert auf seinem Siegerentwurf von 1992, der längst vergessen schien. Neu ist der Perspektivwechsel. Coersmeier geht es längst nicht mehr um ein bloßes Verkehrsprojekt, sondern um das „städtebauliche Potenzial“, das sich mit der unterirdischen Lösung eröffne.
Und es geht um Themen, die vor 30 Jahren kaum eine Rolle spielten: um Erderwärmung, Klimawandel, E-Mobilität. „Wir haben drei Verkehrsszenarien erarbeitet, in denen sich alle Parteien mit Teilen ihrer Positionen wiederfinden können“, sagt er. Mehrere Szenarien, aber der Effekt sei nahezu gleich.
Ist Coersmeier der Architekt, der den kölschen Ost-West-Konflikt entschärft? „Wenn das Ziel richtig ist, dass wir die Stadt humanökonomisch umbauen wollen, müssen wir das Rückgrat der Ost-West-Achse zum geschützten Raum für Fußgänger und Radfahrer machen“, sagt er. Mit einer Mittelachse, die alle Möglichkeiten offen lässt. Zwei durchgehende Fahrspuren für Autos pro Richtung oder vielleicht doch nur eine? Anliefertaschen statt Parkstreifen, ein konsequentes Rechtsabbieger-System und eine Mittelallee, auf der es sich unbehelligt durch den Individualverkehr vom Rhein bis zum Rudolfplatz spazieren lässt. So entstünden „spannende neue Stadträume, begleitet von einer grünen Ader“.
Knapp 30 Jahre nach seiner ersten Planung hält Coersmeier den Zeitpunkt für gekommen. Verkehrswende, neue Mobilität, all das sei doch inzwischen Konsens. Höchste Zeit also, die alten Gräben zuzuschütten. Gräben, die noch aus einer Zeit stammen, als SPD und CDU die Stadtpolitik unter sich ausmachten und den Grünen gar nichts anderes übrig blieb, als dazu in die Opposition zu gehen.
Raum für neues Wohnen in der Innenstadt
Selbst der ADAC spreche inzwischen von einer autoarmen Kernstadt und einer ideologiefreien Verkehrspolitik. Seine Vision von einer großen innerstädtischen Landschaft, die nicht mehr vor allem vom Einkaufen und Verkehr abhängig ist und die sogar Raum für neues Wohnen bietet, das alles sei der Mühe wert. Die Lebensqualität in der Mitte Kölns werde nach dieser Transformation eine andere sein, sagt Coersmeier. „Auch wenn ich das nicht mehr erleben werde.“