Unter den 14 größten deutschen Städten verzeichnet Köln aktuell mit 245,71 (Montag) die höchste Sieben-Tage-Inzidenz.
Der Inzidenzwert lag in Köln-Chorweiler bei 520, in Fühlingen bei null. Zwei Ortsbesuche.
Köln – Chorweiler und Fühlingen trennen Welten. Massive Wohnblocks hier, beschauliche Einfamilienhäuser dort. Gut 12.000 Einwohner versus gut 2000. Soziale und finanzielle Probleme und hohe Arbeitslosigkeit auf der einen Seite – relativer Wohlstand und fast Vollbeschäftigung auf der anderen. Dieser Tage unterscheidet die Nachbarviertel noch etwas, auf das viele gebannt starren: die Inzidenzzahl. Chorweiler 520, Fühlingen 0.Die Inzidenz unterscheidet sich nicht nur in Chorweiler und Fühlingen erheblich. In Köln liegt der Wert derzeit bei 230,7, aber es gibt in den Quartieren etliche Ausreißer – nach oben wie nach unten. Zum Beispiel Gremberghoven.
Man könnte in Gremberghoven eine Geschichte über die Kirschblüten schreiben, die in der Eisenbahnsiedlung genauso prachtvoll blühen wie in der Bonner Altstadt. Oder über die Vorgärten, von denen einige penibel gepflegt sind und andere als Müllhalden dienen. In den Schlagzeilen ist Gremberghoven allerdings diese Woche, weil die Corona-Inzidenz in keinem anderen Kölner Stadtteil höher lag. 717 betrug der Wert, was zwar bei einem Stadtteil mit 3084 Menschen lediglich bedeutet, dass sich 22 von ihnen binnen sieben Tagen angesteckt haben. „Aber überraschend finde ich das trotzdem“, sagt Wilfried Studsinski, der in einer kleinen Schlange vor der Praxis der Allgemeinmedizinerin des Orts wartet. „Ich zumindest kenne keinen einzigen, der in Gremberghoven Corona hat. Oder hatte. Seltsam ist das.“ Studsinski ist zweiter Vorsitzender des Bürgervereins und Ur-Gremberghovener. Er sieht es so: „Es gibt hier viele Ausländer, aber man kommt gut miteinander klar. Der Ort ist viel besser als sein Ruf.“
Studsinski grübelt weiter über den hohen Inzidenzwert: „Verstehe ich nicht, vor allem, weil das rote Hochhaus, der Bullen-Bunker, in dem früher Junggesellen lebten und bis vor Kurzem ehemals Straffällige und Geflüchtete, inzwischen leer steht.“ Nicht, dass die sich weniger schützen würden: „Aber da wohnten sie halt dicht an dicht – und einige hatten wenig Bildung.“
„Einige erzählen von Auseinandersetzungen zu Hause
Gegenüber des Bullen-Bunkers sitzen Michailis (14) und Ozan (20) vor einem Container des Jugendprojekts Rheinflanke und chillen. Ozan stresst „das ständige Zusammensein in der Bude. Und, dass man kein Sport machen darf, die Fitnessstudios geschlossen sind. Wo sollen die Kids, die schon nicht feiern dürfen, hin?“ Ozan macht gerade Abitur, Leistungskurse Deutsch und Sport, aber viele Sportplätze sind zu. Die Gremberghovener Station der Rheinflanke hat vor drei Wochen wieder aufgemacht, dreimal pro Woche nachmittags können Jugendliche hier Tischtennis spielen oder auf Abstand abhängen. „Einige erzählen von Auseinandersetzungen zu Hause, aber ich bin überrascht, wie wenig“, sagt Standortleiterin Stefanie Jung. Von der hohen Inzidenz im Viertel hat sie gehört. „Solange es so viele Infizierte in Köln gibt, lassen wir auch den Bolzplatz und den Basketballplatz zu.“
Die Gremberghovener Jugend wartet im Schatten des abgeschlossenen Bolzplatzes, den Lukas Podolski mitfinanziert hat, auf bessere Zeiten. Menschen wie Podolski, sagt der Vingster Arbeiterpfarrer Franz Meurer, „wären natürlich super, um eine Impfkampagne für Stadtteile wie Finkenberg, Chorweiler oder Vingst zu unterstützen“. Auch in Vingst und Höhenberg war der Inzidenzwert zuletzt hoch. „Wir sind der am dichtesten bebaute Stadtteil. Über Segregation, Bildung und die Belastungen für sozial benachteiligte Familien brauchen wir nicht zu reden.“ Meurer spricht lieber über das Wohnheim für Geflüchtete, in dem es seit langem keinen Corona-Fall mehr gegeben habe, oder die Notwendigkeit von Impfkampagnen vor Ort.
Kein registrierter Corona-Fall in Köln-Fühlingen
In Fühlingen zupfen Heribert Müller und seine Frau Roswita an den Sträuchern in ihrem Vorgarten, in dem sie im Oktober sogar Kiwis ernten können. „Inzidenzwert Null haben wir? Wusste ich gar nicht“, sagt der 70-Jährige. Sie hätten sich mit der Pandemie gut arrangiert – und gingen kaum aus dem Haus. Ein Mal die Woche Großeinkauf, Gartenarbeit, Plausch mit den Nachbarn, „das war’s. Aber geht ja nicht anders“. Impfen lassen möchten sich die Müllers nicht. „Ich bin von der Sache nicht überzeugt. Ich mache nur Tetanus.“
„Wir testen uns ohne Ende. Schon beim kleinsten Verdacht“, sagt Martha Vasileiadou, die mit Georgios Katsios den Imbiss „Kreta“ in Fühlingen betreibt. In ihrem Laden gelten strenge Corona-Regeln. Denn die Pandemie soll aufhören, sagen die beiden, schon allein wegen des Geschäfts. Es ist kaum jemand unterwegs in Fühlingen.
„Inzidenz Null in Fühlingen kann nicht stimmen“, glaubt Dieter Höhnen, Vorsitzender des Bürgervereins Heimersdorf/Seeberg-Süd. Es gebe mit Sicherheit auch dort Infizierte. Höhnen hat maßgeblich dazu beigetragen, dass es im Bürgerzentrum Chorweiler ein Testzentrum gibt, in dem täglich rund 200 Menschen einen Abstrich machen lassen. Inzwischen gebe es im Kölner Norden etwa ein Dutzend davon, aber erst seit diesem Monat, kritisiert Höhnen. Dass in Chorweiler eine hohe Inzidenz vorherrscht, wundert ihn nicht. „Hier laufen alle ÖPNV-Stränge zusammen, viele kommen aus dem ganzen Bezirk ins Einkaufszentrum und erledigen Behördengänge im Bezirksrathaus. Von überall kommen Leute hier hin. Und bestimmt bringen manche das Virus mit“, sagt Höhnen.
„Die Informationen über die Pandemie kommt bei vielen nicht an“
Natürlich spiele auch eine Rolle, dass hier viele Menschen auf engem Raum zusammen lebten und der Anteil an Bewohner mit Migrationshintergrund hoch sei. „Die Informationen über die Pandemie, das Testen, das Impfen kommt bei vielen nicht an, die nicht gut deutsch sprechen.“ Auch bei viele älteren Bewohner nicht, die sich nicht mal eben übers Internet informierten. „Deshalb brauchen wir ortsnahe Zugänge. Wir brauchen hier ein Impfzentrum, nicht nur in Deutz“, fordert Höhnen. Zumal die Dichte der Hausärzte, die ebenfalls impfen können, im Bezirk dünn sei.
„Wenn in einem Hochhaus mit 20 Stockwerken die Bewohner in zwei engen Aufzügen fahren, wird sich schnell angesteckt“, weiß Franziska Weingarten. Sie leitet die Chorweiler Tafel, an der Ehrenamtler gerade Lebensmittel verteilen. Die Kunden stehen weit auseinander, Mitarbeiter rufen sie wie auf dem Amt nach Zahlen auf. „Wir haben mehr zu tun als vor der Pandemie“, sagt Weingarten. Alleinerziehende, Senioren, viele Familien. Oft höre sie, dass Menschen Corona hatten und noch an den Folgen litten. Einige hätten deshalb ihre Jobs verloren.
„Die Leute sind verzweifelt. Sie wollen raus aus ihren engen Wohnungen, die Spielplätze sind voll“, hat Weingarten festgestellt. Ihre Eltern hätten derzeit auch Corona, „aber es geht ihnen gut.“ Angst im Hochinzidenzgebiet zu leben habe sie nicht. „Wir testen uns regelmäßig, halten uns streng an die Hygieneregeln, und auch die Abholer sind sehr diszipliniert.“ Geimpft ist sie noch nicht, aber wenn sie die Gelegenheit bekomme, werde sie sie sofort nutzen.
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Alice Tawitian wird sich nicht impfen lassen, auch wenn ihr Arzt es ihr immer wieder rate. „Ich habe Bluthochdruck und eine kranke Schilddrüse. Ich habe Angst vor den Nebenwirkungen“, sagt die Betreiberin eines Kiosks und eines kleinen Lebensmittelladens am Pariser Platz. Andere jedoch sollten sich impfen lassen, findet sie. Der Platz leere sich nach 21 Uhr, doch Unbelehrbare würden sich dann privat zum Feiern treffen. In ihren Geschäften führt die 61-Jährige ein strenges Corona-Regiment. Ohne Maske kein Zutritt. Das hat sie in deutlich sichtbaren Schildern verfügt. „Manche Kunden sagen: „Corona ist doch nur Politik“. Dann sage ich: „Corona ist keine Politik, Corona ist eine Krankheit.“ Leider habe das noch nicht jeder verstanden.