Seit zehn Jahren gibt es das Kölner Rugby-Team Cologne Crushers – eine queere Mannschaft, die ausdrücklich inklusiv sein will.
„Rugby ist 80 Minuten Schlacht“Nach dem Training gehen die Crushers in Köln auf die Schaafenstraße
Regen hat den Rasen des Rugbyfelds in Klettenberg durchweicht. Auf dem matschigen Grün stehen sich zwei Fronten gegenüber. Die Männer könnten diverser kaum sein: groß, klein, dick, dünn, deutsch, französisch, argentinisch. Trotz der Temperaturen im noch kühlen April sind die meisten in T-Shirts und kurzer Hose unterwegs. Gerade noch hat Jonas Mayer, 32 Jahre alt, die Bande der Mannschaft gepriesen. „Der Zusammenhalt, das Soziale, das ist das Besondere an unserem Rugby-Team.“ Jetzt steht er mit Kopfschutz im Regen, seine Schuhsohlen versinken in der Erde, der Blick fixiert den Trainingsgegner gerichtet.
Vom „Sozialen“ ist plötzlich wenig zu spüren. Wenn die Cologne Crushers auf dem Feld stehen, wird es rau und hart. „Rugby, das ist ein bisschen wie eine geplante Prügelei“, erklärt Teammanager Joachim Meeßen. Und Mayer schiebt nach: „Rugby ist 80 Minuten Schlacht. Wenn man die ersten Male spielt, geht’s erstmal nur ums Überleben.“
Dreimal „Halt“ ruft ein Teammitglied in der Gruppe der Angreifer, bevor er rausbrüllt: „Raus!“ Dann stürmen die Männer los und schmeißen sich mit vollem Körpereinsatz gegen die gegnerische Trainingsgruppe. Dass jemand auf dem durchnässten Rasen ausrutscht, dass jemand zu Fall kommt, das ist eher die Regel als die Ausnahme. Keine zwanzig Minuten dauert das Training, da verlässt der erste Spieler das Feld nach einem Sturz, auf seiner Stirn ein schmales Rinnsal Blut. Halb so wild, versichert er.
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Es sind ebenjene Spieler, die sich auf dem Rugbyfeld die Nasen blutig schlagen, die laut Meeßen in den Spielpausen die neuste Folge „RuPauls Drag Race“ ebenso heiß diskutieren wie die jüngsten Fußballtabellen. Und der 35-jährige Spieler Nils Berger sagt: „Wir gehen nach jedem Training zusammen auf die Schaafenstraße.“
Etwa die Hälfte der Crusher ist schwul
Etwa die Hälfte der Crusher ist homosexuell. „Gay & Hetero Friendly“ nennt sich das Team, das in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum feiert. In den vergangenen Jahren seien immer mehr „Heteros“ dazugekommen. Aber die sexuelle Orientierung steht nicht im Vordergrund. „Die meisten merken das erst gar nicht“, sagt Trainer Folkert Hartwig. Umgekehrt komme es auch öfter vor, dass neue Mitglieder schwul seien, die Alteingesessenen das aber nicht als selbstverständlich annähmen.
Johnny Sauvourel schildert seinen Fall als Beispiel: „Einmal nach dem Training abends meinten die anderen ‚Wir gehen noch auf die Schaafenstraße, willst du mit? Das ist aber eine schwule Straße, das weißt du schon?‘“ Er lacht. „Ich hab dann gesagt: ‚Ja, weiß ich. Das ist nicht mein erstes Mal.‘“
Von Anfang an sei klar gewesen, dass das Team zwar von schwulen Männern für schwule Männer gedacht war, aber heterosexuelle Menschen genauso willkommen seien, sagt Teammanager Meeßen: „Als ich das Training übernommen habe, hieß es: ‚Wir wollten ein Team gründen, in dem wir nicht ausgeschlossen werden. Im Umkehrschluss heißt das, dass auch wir niemanden ausschließen.‘“ Die Cologne Crushers waren demnach nach den Berlin Bruisers das zweite schwul-inklusive Rugby-Team in Deutschland.
Für viele queere Menschen bleibt es nach wie vor wichtig, eine explizit für sie gestaltete Umgebung zu erleben. „Ich komme eigentlich gar nicht aus dem Mannschaftssport. Als Jugendlicher mit einer Gruppe anderer Teenager in der Umkleide – da fallen auch mal Bemerkungen, die man in dem Alter nicht hören will“, erzählt Teammanager Meeßen. Das habe nicht einmal zwingend etwas mit der sexuellen Orientierung zu tun: „In dem Alter weiß man noch gar nicht, wer man ist. Und da ist dieser betont raue Umgang nicht immer hilfreich.“
Bei den Cologne Crushers herrsche der raue Umgang nur auf dem Spielfeld, aber nie privat. Ganz im Gegenteil. Spieler Nils Berger ergänzt: „Für mich bedeutet das soziale Miteinander sehr viel. Ich habe hier in Köln durch die Mannschaft auch Freunde und Anschluss gefunden. Auf dem Spielfeld spielt die Sexualität keine Rolle, aber in der Umkleide schon. Es hat mir auf jeden Fall den Einstieg erleichtert, zu wissen, dass das hier eine schwul-inklusive Mannschaft ist.“
Auch Teamkollege Mayer betont, wie wichtig dieser Freiraum für queere Menschen ist: „In Deutschland ist gerade der Mannschaftssport oft kein schönes Umfeld für schwule Männer. Das muss gar nicht explizit schwulenfeindlich sein. Oft fehlt den Leuten das Gespür dafür, was verletzend oder diskriminierend sein könnte. Die achten dann nicht so sehr darauf, was sie sagen. Gerade schwule Männer gehen als Jugendliche ungern in solche Vereine, weil eben genau die Jungs auch dort sind, mit denen man nicht so gut klarkommt.“ Betroffenen werde so der Zugang trotz brennender Leidenschaft erschwert.
Mayer selbst brenne so sehr für den Sport, dass er nach seinem ersten Training vollkommen erschöpft gewesen sei, sagt er: „Ich weiß noch, ich habe mich total verausgabt bei meinem ersten Training, weil ich einen super guten Eindruck machen wollte, so sehr, dass ich mich übergeben habe.“ Nasenbluten und blaue Flecken „nach einem ordentlichen Tackle-Training“ seien ebenfalls keine Seltenheit.
„Menschen sehen die Leute in der Öffentlichkeit, die sie selbst als schwul erkennen und sagen: ‚Ah ja. Alle Schwule sind so‘. Wir haben aber hier und auch in der Community jede Art von Mensch dabei“, sagt Mayer. Durch seine Mitgliedschaft bei den Cologne Crushers habe er Menschen kennengelernt, die keinem Stereotyp entsprechen, die einerseits „richtige Brecher“ seien, neben dem Rugby aber auch als Dragqueens auf der Bühne stehen. „An unserem Team sieht man, dass hier die unterschiedlichsten Menschen zusammen kommen. Das ist auch das Schöne daran. Zu Klischees über LGBT-Menschen kann ich nur sagen, dass sie absoluter Quatsch sind und das sieht man hier auch.“
Einen Sport nicht ausüben zu wollen, weil man sich unwohl fühlt aufgrund der Sexualität – das ist Diskriminierung
Einen Sport nicht ausüben zu wollen, weil man sich unwohl fühlt aufgrund der Sexualität – auch das sei Diskriminierung, sagt Teammanager Meeßen. Das Gefühl, nicht er selbst sein zu können, habe auch ihn daran gehindert, einem Mannschaftssport nachzugehen. Bei den Cologne Crushers sei das anders: „Der Einstieg in den Sport wird einem erleichtert, wenn man weiß, hier wird darauf geachtet, dass keiner diskriminiert wird.“ Das beziehe sich nicht nur auf die sexuelle Orientierung der Beteiligten. „Rugby ist so toll, weil er Platz für jeden bietet. Jeder Körpertyp kann mitmachen. Auf der einen Position brauchen wir jemanden, der klein und kräftig ist und auf der anderen jemanden, der schmal und schnell ist“, sagt er: „Ich habe schon Spieler erlebt, die ohne Selbstbewusstsein herkamen, weil sie eben nicht die beste Figur haben oder so. Und nach zwei, drei Wochen auf der richtigen Position sieht man, wie die aufblühen und Selbstbewusstsein dazu gewinnen.“
Nach jeder Trainingseinheit versammeln sich die Spieler im Kreis um Trainer Hartwig. Die Mannschaftsmitglieder legen die Arme über die Schultern der Nachbarn, während sie Hartwigs Anweisungen lauschen. „In dem Moment, wo er da ist, gehst du auf ihn drauf und tackelst. Ziel der Sache ist, ihn hier hinüber zu tackeln“, erklärt der Trainer, die ausdrucksstarke Gestik spricht mit. „Ich bin selbst aus bürgerlichem, konservativem Hause“, erzählt Hartwig. Seit sechs Jahren trainiert er die Mannschaft. „Erst hieß es drei Wochen zum Übergang, daraus sind dann sechs Jahre geworden“, sagt er und lacht. „Ich habe vorher gedacht, dass ich tolerant bin. Jeder kann machen, was er will und so weiter. Aber was wirkliche Toleranz bedeutet, wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht. Heute weiß ich: Alle Mitglieder sind hier, weil sie Rugby spielen wollen. Das ist das, was zählt.“
Die Crushers auf dem CSD
Zum zehnjährigen Jubiläum wollen die Cologne Crushers auf dem CSD am 9. Juli „nochmal richtig aufdrehen“, sagt Teammanager Joachim Meeßen. „Wir gehen dieses Jahr als ganzer Verein mit unter dem Motto ‚Zehn Jahre Crushers – Rugby in Köln‘. Da werden wir zum ersten Mal mit einem Wagen mitfahren.“ Einen Tag vorher habe der Verein weitere schwul-inklusive Teams aus Brüssel, München, Wien und Amsterdam zu einem Freundschaftsturnier eingeladen. „Am nächsten Tag geht’s dann für uns alle gemeinsam auf die Parade, sodass wir den Sport dieses Jahr richtig gut vorstellen können.“