Köln – Die Stadt wird am Montag in einen verschärften Lockdown zurückkehren, weil die Stadt darauf verzichtet hat, beim Land eine Ausnahmeregelung zu beantragen. In diesem Fall könnten Einzelhandel, Museen und Bibliotheken trotz hoher Inzidenzwerte geöffnet bleiben, wenn die Kunden und Besucher einen aktuellen negativen Corona-Test nachweisen können. Als Grund für die Entscheidung nannte ein Stadtsprecher am Sonntag die „stark steigenden Fallzahlen in den Tagen bis einschließlich Freitag“.
Diese Erklärung sorgt allerdings für Irritationen, denn als Andrea Blome, Leiterin des städtischen Krisenstabs, am Freitagmittag vor die Presse trat, war von einer erneuten Schließung noch keine Rede. Erst am Abend folgte abrupt die Kehrtwende in den Lockdown. Dass die Neuinfektionen deutlich zunehmen, war den Verantwortlichen der Stadt bereits seit Freitagmorgen bewusst. Ebenso wenig konnte es sie überraschen, dass das Land noch am selben Tag eine Allgemeinverfügung erlassen würde, um in allen Kommunen und Kreisen, die länger als drei Tage eine Inzidenz von mehr als 100 haben, die Notbremse zu ziehen. Die Sitzung des Krisenstabs endete außerdem offensichtlich zu früh. „Die neue Corona-Schutzverordnung des Landes hat uns erst in den letzten Minuten der Krisenstabssitzung erreicht. Wir hatten noch keine Möglichkeit, sie zu lesen“, sagte Blome am Freitagnachmittag.
Kaum nachvollziehbare Entscheidung
Dass die Stadt als Erklärungsversuch dafür, nun lieber in den Lockdown zurückzukehren statt die Teststrategie umzusetzen, die „stark steigenden Fallzahlen“ heranzieht, ist kaum nachvollziehbar. Die künftige Stadtdirektorin Andrea Blome, die derzeit noch als Verkehrsdezernentin arbeitet, hatte am Freitagnachmittag bekräftigt, dass sich Köln an einem Modellversuch des Landes beteiligen will. Das hatte Oberbürgermeisterin Henriette Reker bereits am Donnerstag im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ angekündigt. Dabei geht es im Kern darum, sogar noch weitere Öffnungen – etwa der Außengastronomie und der Veranstaltungsstätten – zu ermöglichen, indem die Kunden einen zertifizierten negativen Corona-Test vorlegen müssen, um Zugang zu erhalten.
Die Stadt will also an einem Modellprojekt teilnehmen, das Öffnungen mit einem negativen Testergebnis ermöglicht, ordnet aber im Widerspruch dazu die Schließung von Läden an, obwohl diese mit Hilfe ebenjener Teststrategie geöffnet bleiben könnten. Die Inzidenz sollte für den Modellversuch ausdrücklich nicht das ausschlaggebende Kriterium sein. Um Modellkommune zu werden, gilt vor allem die Voraussetzung, dass das örtliche Gesundheitsamt die Kontakte erfolgreich nachvollziehen kann – das ist in Köln nach Angaben der Stadtverwaltung der Fall.
Rhein-Erft-Kreis beantragt Ausnahmeregelung
Während Köln die Ausnahmeregelung nicht in Anspruch nehmen will, hat der Rhein-Erft-Kreis diese bereits beantragt. So wird es dazu kommen, dass ab Montag etwa in Brauweiler die Geschäfte geöffnet, im benachbarten Widdersdorf aber geschlossen sind. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ könnte es am Montag allerdings möglicherweise eine weitere Kehrtwende geben. Wie zu erfahren war, haben die Stadt und das Land am Wochenende Gespräche darüber geführt, ob Köln nicht doch die Geschäfte geöffnet lassen kann, wenn die Kunden negative Corona-Tests vorweisen können.
Der städtische Krisenstab will das Szenario am Montag diskutieren und eine Entscheidung treffen – möglicherweise folgt dann die nächste Rolle rückwärts. Henriette Reker beauftragte Blome am Sonntag, „in der Sitzung des Krisenstabs am Montag eine Strategie zu beschließen, wie Köln mit der »Notbremse« umgeht.“ Das teilte die Stadt auf Anfrage mit.
Erneute Rolle rückwärts
CDU-Fraktionschef Bernd Petelkau geht von einer erneuten Rolle rückwärts aus. „Ich bin mir sicher, dass die Oberbürgermeisterin zur Kenntnis genommen hat, dass das Land den Modellstädten mehr Öffnungen ermöglicht – auch wenn die Inzidenz bei über 100 liegt“, sagt er. „Wir wollen zu Lockerungen kommen und Teststrategien haben sich bislang bewährt.“ Dass die zweite Kehrtwende binnen weniger Tage nicht vertrauensbildend wirkt, bestreitet Petelkau nicht. „Die Lage ist einfach sehr dynamisch“, sagt er. Was frei übersetzt werden könnte mit: „Alle sind einfach überfordert.“
Christiane Martin, Fraktionschefin der Grünen, sagt lediglich, dass das Ziel sein müsse, „die Infektionszahlen wieder zu senken, um die Gesundheit der Kölnerinnen und Kölner zu schützen“. Es sei „sehr gut, dass sich die Stadt Köln jetzt schon darauf vorbereitet, bei wieder sinkenden Zahlen technische Lösungen zur schrittweisen Öffnung von Gastronomie und Einzelhandel bieten zu können, und eine Beteiligung als Modellkommune weiter vorantreibt“.
Jörg Hamel, Geschäftsführer vom Handelsverband NRW, ist ein Verfechter der Teststrategie. Ihn verwundert, dass die Köln umliegenden Kreise die Ausnahmeregelung in Anspruch nehmen oder nehmen wollen, die Metropole nicht. „Es ist nicht nachvollziehbar für die Menschen, warum sie mit »Click & meet« in Frechen einkaufen können, auf der anderen Seite der Autobahn in Köln-Marsdorf nicht.“ Nur ein Drittel der bereitstehenden Tests würde derzeit abgerufen: „Warum soll man sich testen lassen, wenn man keinen Benefit hat?“ fragt Hamel. Eine stärkere Öffnung würde auch stärkere Kontrollen mit sich bringen. „Solche Modelle müssen ausprobiert werden.“
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Ähnlich sieht das der FDP-Kreisvorsitzende Lorenz Deutsch: „Eine erhöhte Anzahl von Testungen hätte mehr Sicherheit gebracht. Stattdessen setzen wir jetzt den Blindflug-Lockdown einfach fort. Ohne konkrete Anlässe werden die Kölnerinnen und Kölner sich nicht in ausreichendem Maße testen lassen. Der komplette Rückzug ins Private verhindert das Erkennen von Infektionen.“