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Friedhof in KölnMelaten, der schönste Ort zum Warten auf den Jüngsten Tag

Lesezeit 9 Minuten

Der Friedhof Melaten verbindet Natur und Grabkultur auf 435.000 Quadratmetern Fläche.

Köln – Manche Leute schaufeln sich ihr eigenes Grab. Den einen oder anderen wüsste ich da zu nennen. Ich selber bin schon bei der Grabpflege angelangt. Davon möchte ich Ihnen bei einem Besuch auf dem Friedhof Melaten erzählen.

Melaten ist für mich ein magischer Ort. Obwohl ich mich für durchaus lebensfroh halte, komme ich unglaublich gerne hierher und gehe stundenlang spazieren, ohne dass es mir je langweilig würde. Schon die Natur ist wunderschön mit ihren alten Bäumen, und das Areal mit 435.000 Quadratmetern Fläche ist so groß, dass ich jedes Mal verschiedene Wege nehmen kann. Anders als im Wald, bekomme ich dabei immer etwas Zusätzliches zum Sehen und Sinnieren.

Wussten Sie, dass es auf Melaten mehr als 55.000 Grabstätten gibt? Es rührt mich, wie verschieden die Menschen ihre Trauer ausdrücken, erst recht bei der wachsenden Vielfalt der Kulturen, die hier zusammenkommen. Nicht alles davon ist mein Geschmack. Aber interessant ist es in jedem Fall, zu sehen, was es jenseits der christlichen Zeichen, der Bezüge auf die antike Mythologie oder die Berufe der Verstorbenen so alles an Schmuck und Symbolik rund um den Tod gibt.

Alles zum Thema Barbara Schock-Werner

Regelmäßig besuche ich die Gräber verstorbener Freunde. Bei manchen wohnen die Angehörigen irgendwo anders, so dass außer mir eigentlich keiner herkommt.

Auch eine Studienfreundin liegt hier, nach deren plötzlichem Tod ihre Freunde für ein Grab zusammengelegt hatten. Auf meinen Runden alle Vierteljahre gehe ich vorbei und stelle ein Kerzchen auf. Offenbar gibt es immer noch viele Leute, die dieser alten Tradition folgen.

Der ganze Friedhof voller Licht

Faszinierend ist ein Besuch auf Melaten jetzt zu Allerheiligen bei Einbruch der Dunkelheit: der ganze Friedhof voller Licht!

Schon bei seiner Gründung 1810, in der Zeit der napoleonischen Besatzung Kölns, war Melaten ja eine Melange. Das kaiserliche „Dekret über die Begräbnisse“ von 1804 entzog der katholischen Kirche die Zuständigkeit für die Bestattungen und übergab sie der Stadt. Neue Friedhöfe mussten außerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern liegen.

Der Friedhof Melaten war der erste Kölner Zentralfriedhof. Er entstand im Westen der Stadt entlang der Aachener Straße auf dem Gelände des ehemaligen „Leprosenheims“. Im Volksmund hieß es „Maladen“, woraus der Name Melaten wurde.

Der neue Friedhof stand von Anfang an allen Konfessionen offen. Auch Nicht-Christen können hier Grabstätten erwerben. Und es gibt keine strikte Trennung nach sozialer Schicht. Fromm oder gottlos, arm und reich – im Tod sind alle gleich. Solche Sachen gehen mir hier auf Melaten durch den Kopf.

Besuch am eigenen Grab

Das Grab, das ich am häufigsten besuche, ist mein eigenes. Zwei Möglichkeiten haben Sie, wenn Sie auf Melaten an ein Grab kommen wollen: Entweder Sie kaufen sich ein neues; es gibt auf dem Gelände ja sehr viele Lücken, weil erst vor kurzer Zeit wieder eine ganze Reihe von Gräbern aufgelassen worden ist. Oder Sie machen es wie ich und übernehmen von der Stadt die Patenschaft für ein historisches Grab.

Für 2016 hat die Kölner Regionalgruppe des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege die „Sterbe- und Grabkultur“ als Jahresthema gewählt – mit Führungen, Vorträgen und ähnlichen Veranstaltungen.

Antiquarisch ist noch ein Führer von Josef Abt und Wolfgang Vomm erhältlich, der den Friedhof Melaten in fünf Themenrundgängen erschließt, Greven-Verlag, 1. Auflage 1980.

Was das bedeutet? Nun, Sie erwerben als Pate das Recht, sich eines ungewissen Tages in Ihrem Patengrab beisetzen zu lassen. Im Gegenzug verpflichten Sie sich zum Erhalt des Bestands, ob nun denkmalgeschützt oder nicht. Wobei Ihnen da niemand strenge Vorschriften macht.

Eine Zeitlang allerdings gab es für die denkmalgeschützten Gräber die Auflage, die Originalinschriften an ihrem Platz zu belassen und Platten für die neuen Besitzer darunter anzubringen. Daraufhin ging die Nachfrage schlagartig zurück. Die Leute wollen auf ihrem Grab dann doch ihren Namen lesen.

Inzwischen wurde die Vorschrift wieder gelockert. Es gibt aber auch schöne alte Gräber, die nicht unter Denkmalschutz stehen. Wenn man sie freischnippelt und säubert, stößt man oft auf richtige Schätzchen und macht sich obendrein verdient um den Erhalt eines Stücks Friedhofskultur aus vergangener Zeit.

Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Welches Grab sich Barbara Schock-Werner für sich ausgesucht hat.

Eine Grableuchte zum Geburtstag

Als mein Patengrab, Sie werden es sich denken, habe ich mir natürlich ein neugotisches ausgesucht. Es besteht aus Sandstein mit Säulchen und Grabplatte aus weißem Marmor. Das Dekor ist typisch für die Arbeit der Kölner Dombauhütte im 19. Jahrhundert.

Zu meinem 60. Geburtstag haben mir die Mitarbeiter der Dombauhütte eine Grableuchte geschenkt mit der hl. Barbara als Glasmalerei. Diese Leuchte habe ich schon aufgestellt. Mit einem großen Betonklotz unten dran, sonst wäre sie vermutlich nicht mehr da.

Die ganze Grabstätte war komplett zugewachsen und an der rechten Seite vom Efeu auch schon so angefressen, dass ich das Schmuck-Kapitell dort habe neu machen lassen. In den Sockel aus Sandstein war ursprünglich ein frommer Vers geschlagen. Aber der ist so verwittert, dass man nur noch einzelne Silben entziffern kann. Dabei werde ich es, habe ich überlegt, auch belassen.

Auf der Inschriftenplatte fehlt noch mein Name. Das Original einer Familie Paffendorf hängt jetzt auf der Rückseite des Grabmals. Ihr Gedächtnis ist also nicht getilgt. Das finde ich gut. Und wenn ich mal viel Zeit habe, werde ich mich auf die Suche machen, wer die Paffendorfs waren.

Ich habe keinerlei Interesse, ihnen bald zu folgen. Aber es beruhigt mich, zu wissen: Hier komme ich mal rein. Ich sehe das als eine Form der Vorsorge. Meine Kinder sollen einmal keinen Ärger mit meiner Grablege haben.

Und es ist ein Platz, an dem ich mir das Warten auf den Jüngsten Tag sehr gut vorstellen kann. Das klingt vielleicht seltsam, aber erstens finde ich es beruhigend, einmal in einer Gemeinschaft von Toten zu ruhen.

Und zweitens werden meine sterblichen Überreste die meiste Zeit der Ewigkeit hier verbringen. Deshalb habe ich bestimmte Erwartungen an diesen Ort. Ein richtiges Erdgrab zum Beispiel sollte es sein. Schon weil ich den Gedanken schrecklich finde, dass Verwandte und Freunde zur Beerdigung hinter einer Blechdose mit meiner Asche herlaufen sollten. Mein Leichnam im Sarg, runter in den Boden, Erde drüber, fertig!

Das hat für mich eine zwingende Logik. Aber bitte, jeder muss das natürlich für sich selbst entscheiden.

Schockierte Friedhofsbesucher

Sie merken schon, mein Verhältnis ist ein pragmatisches mit einem Schuss Besinnlichkeit. Aber die verberge ich meistens hinter einer betont nüchternen Sprache. Als ich das erste Mal herkam und mit einer Heckenschere gegen das ganze Gestrüpp über dem Grab vorgegangen bin, kamen gleich einige ältere Damen vorbei. Mich hätten sie ja noch nie hier gesehen, und wessen Grab das denn sei.

„Mein eigenes“, sagte ich bloß. Da waren sie dann doch ein bisschen schockiert.

Ab und zu komme ich für den Grünschnitt her. Mit der Steinrestaurierung hatte ich seinerzeit einen Steinmetz beauftragt. Die Kosten dafür stehen übrigens in keinem Verhältnis zum Preis für ein neues Grab in dieser Größe.

Ohne zu sehr in die finanziellen Details zu gehen: Etwas vergleichbares Neues könnte eine – nun ja – Normalsterbliche wie ich sich überhaupt nicht leisten. Im „Erlebensfall “, wie das so schön heißt, zahlen Sie die ganz normale Grabgebühr, in meinem Fall für ein Doppelgrab.

Die Gebühr bemisst sich nämlich immer nach der Zahl der Liegeplätze. Nach der Belegung können Sie das Grab 25 Jahre nutzen. Und wenn Sie oder Ihre Nachfahren weiterzahlen, behalten Sie den Anspruch auch länger. Patenschaft ist Patenschaft. Also, ich kann Ihnen das nur empfehlen.

Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Das traurigste Kapitel der Friedhofsgeschichte.

Nachbarschaft mit dem Dombaumeister

Kurioserweise ist das Familiengrab meines Vorgängers im Amt des Dombaumeisters, Arnold Wolff gleich um die Ecke. Ich wusste das gar nicht. Aber irgendwann traf ich seine Frau hier nebenan, die es mir erzählte. So werden Wolff und ich also in unmittelbarer Nachbarschaft den ewigen Frieden finden.

Für die Domkapellmeister, auch wichtige Menschen an der Kathedrale, gibt es inzwischen sogar eine Art Amtsgrab, weil das Domkapitel auf Anregung von Eberhard Metternich die historische Grabstätte seines Vorvorgängers Carl Leibl (1784 bis 1870) und seiner Frau Gertrud aus dem 19. Jahrhundert in Patenschaft übernommen hat.

Das Original-Grabmal aus dem 19. Jahrhundert war aber kriegsbeschädigt, so dass ein herrenloser Aufbau von einer anderen Ecke des Friedhofs umgesetzt und mit einer neuen Inschriftentafel versehen wurde. Auch eine Möglichkeit.

Sie sehen schon, Melaten ist voller Geschichten und Geschichte. Zu den traurigsten Kapiteln gehört das Gedächtnis der Kriegstoten. Und da treibt es mir jedes Mal den Blutdruck hoch, wenn ich an dem großen, zehn Meter hohen vierflügeligen Monument „Zum Andenken an die zu Coeln in Folge des Krieges von 1870/71 verstorbenen Söhne Deutschlands“ vorbeikomme.

Man kann von Kriegergedenken ja halten, was man will. Und ich will auch nicht die Fragen beantworten, wie lange man es fortschreiben muss oder wann man es still einschlafen lassen darf. Aber ich finde, so oder so muss es in Würde geschehen. Die vermisse ich hier schmerzlich. Offensichtlich gibt es noch Kölner, die sich der Toten des deutsch-französischen Kriegs erinnern.

Jedenfalls habe ich bei meinem jüngsten Besuch frische Kränze am Fuß des Denkmals mit seinem Neo-Renaissance-Dekor liegen gesehen. Aber ganze Teile der Architektur von Stadtbaumeister Hermann Weyer (1830 bis 1899) sind überwuchert, oben wächst sogar ein Baum in den Himmel, dessen Samen sich selbst ausgesät haben.

Alles andere als tot

Einen solch verkommenen Zustand haben die Männer nicht verdient, die – wie ich finde – sinnlos in den Tod geschickt wurden um einer nationalen Idee willen, mit dem Pathos „für Gott, König und Vaterland“. Wegen des Missbrauchs patriotischer Ideale ist Gefallenengedenken gerade in Deutschland nach 1945 eine zwiespältige, manchmal misstrauisch beäugte Sache. Aber so offensichtlich geringschätzig wie hier darf man sich ihrer nicht entledigen.

Für die Pflege der Soldatengräber aus den beiden Weltkriegen gibt es ein eigenes Grabgesetz. Darunter fällt Weyers Monument nicht. Trotzdem ist die Stadt Köln dafür verantwortlich. Ein Telefonanruf beim Grünflächenamt macht mir Hoffnung. Dem zuständigen Beamten war sofort klar, wovon die Rede war.

Im November oder Dezember „nehmen wir uns das Denkmal vor“, versprach er, wenn erst das Laub gefallen sei. Und ja, er wisse schon, die Sache mit dem Baum. . . „Das wächst halt immer wieder raus.“ Genau! So ist das auf dem Friedhof Melaten, der alles andere ist als tot.

Aufgezeichnet von Joachim Frank