Köln-Ehrenfeld – Lina Orrego ist in Kolumbien aufgewachsen, genauer in Manizales, einer Großstadt in den Anden. Sie war gerade zehn Jahre alt, als der Vulkan Nevado del Ruiz ausbrach und die nur wenige Kilometer entfernte Stadt Armero von einer Lawine aus Lava, Schlamm und Wasser begraben wurde. Über 20.000 Menschen kamen dabei ums Leben, Armero wurde vollständig zerstört. Das war 1985.
Inzwischen lebt und arbeitet Orrego in Köln, die Erlebnisse ihrer Kindheit und Jugend, die „Bilder vom Ende der Welt”, aber haben sie geprägt: „Neben dem Bett und auch in der Schule hatte damals jedes Kind eine Notfalltasche stehen, falls der Vulkan noch einmal ausbrechen würde”, erzählt die 47-Jährige, „wir haben auch für den Ernstfall geübt.”
Krieg gegen Drogenbosse
Der aktive Vulkan aber stellte nicht die einzige Gefahr dar - schließlich tobte in Kolumbien ein bewaffneter Konflikt zwischen der Armee und Guerillas, in den auch die machtvollen Drogenkartelle des lateinamerikanischen Landes verstrickt sind. Auch dieser Bürgerkrieg und die ‘Violencia’, die Gewalt, seien laut Orrego eine ständige Bedrohung und im öffentlichen Leben präsent gewesen. Etwa in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens, an deren Universität Orrego Marketing und Werbung studierte: „Auf der Straße hat man erschossene Menschen gesehen, es gab Explosionen”, erzählt Orrego, „das war Normalität, man kannte es nicht anders.”
Hinzu kamen das Leid und die Armut der Zivilbevölkerung - Kinder, die statt in Windeln in Zeitungspapier gewickelt wurden, Müll und die Barrio Bajos, Elendsviertel aus improvisierten Behausungen, in denen Menschen auf engstem Raum zusammenleben müssen.
2002 kehrte Lina Orrego alldem den Rücken und kam nach Deutschland, um in Münster und Berlin noch einmal zu studieren. Diesmal stand International Business auf dem Lehrplan, das Fach schloss Orrego ebenfalls mit einem Master ab. Danach zog es sie zunächst nach Italien, bald aber kehrte sie nach Deutschland zurück: „In Italien konnte ich keinen vernünftigen Job finden und mein damaliger Freund überredete mich, wieder nach Deutschland zu kommen”, so die zweifache Mutter heute.
Ausstieg aus dem Marketing
Nun ging es für Orrego nach Köln, wo sie einen Job in einer Marketing-Agentur fand, für die sie viele Jahre tätig war - bis sie etwas anderes aus ihrem Leben machen wollte: „Ich wollte nicht mehr arbeiten, damit andere reich werden, während es auf der Welt so viel Not und Elend gibt”, erklärt sie. Das habe auch mit ihrer Vergangenheit zu tun gehabt: „Ich war mein ganzes Leben lang dankbar dafür, dass ich Glück hatte und so privilegiert bin. Da wollte ich etwas zurückgeben”, erklärt Orrego, die eigentlich zurück nach Kolumbien wollte, um vor Ort etwas zur erhofften Veränderungen beizutragen.
Helferin in der Flüchtlingskrise
Stattdessen engagierte sie sich weiterhin in Köln - mit der Flüchtlingskrise 2015 fand sie zu ihrer eigentlichen Berufung: Orrego begann damit, ehrenamtliche Projekte und Hilfsaktionen zu koordinieren und gab als Zumba-Lehrerin selbst Tanzkurse für Mädchen in den Unterkünften. Ein Jahr später gründete das Erzbistum Köln dann sein Programm zur Ehrenamtskoordination „Engagement, Ehrenamt und Esprit". Auf Orregos Einsatz aufmerksam geworden, bekam sie eine Stelle als Engagement-Förderin im Seelsorgebereich Ehrenfeld.
Als solche unterstützt Orrego ehrenamtliche Projekte, vermittelt Hilfe bei der Umsetzung von Ideen und berät Ehrenamtler dabei, welche Unternehmungen für sie geeignet sind: „Mein Job ist es im Grunde, Leute glücklich zu machen”, erklärt sie, „entweder weil ich ihnen Hilfe oder die Möglichkeit zum Helfen vermittle. Viele Menschen wollen sich engagieren, wissen aber oft nicht wo und wofür.”
Wegweiserin im Helfer-Dschungel
Ein gutes Beispiel hierfür ist die aktuelle Flüchtlingssituation im Zuge des Ukraine-Krieges: Viele Ehrenfelder wollen den Geflüchteten helfen, Lina Orrego zeigt ihnen, wo und wie das möglich ist. Als Engagement-Förderin ist sie aber nicht nur in der Flüchtlingshilfe tätig, sondern unterstützt auch ganz konkrete Projekte im Veedel, hilft bei der Integration ausländischer Mitbürger und gestaltet die Zukunft der katholischen Kirche vor Ort mit: „Ich arbeite aber nicht nur mit Menschen aus der Kirche zusammen, sondern mit allen, die sich einsetzen und engagieren wollen”, erklärt Orrego, „auf diese Weise können wir im Viertel große Dinge bewegen und Projekte effektiv umsetzen.”
Dafür sind aber natürlich auch Ehrenamtler nötig, deren Zahl laut Orrego sinken würde - was sie sehr bedauert: „Jede Person sollte sich einmal im Leben für ein Ehrenamt engagieren. Dann würden die Menschen sehen, wie wichtig das für die Gesellschaft und den Einzelnen ist.”