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Erzbistum KölnAufstand der Ehrenamtlichen gegen Kardinal Woelki

Lesezeit 8 Minuten
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Kardinal Rainer Woelki (Mitte) an Weihnachten 2020 im Kölner Dom.

Köln – Über den Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Woelki ist am Dienstagabend ein Sturm des Unmuts und der Entrüstung hinweggefegt, wie er ihn in solcher Heftigkeit selten erlebt haben dürfte. Eine Runde mit mehr als 60 ehrenamtlich Tätigen aus Pfarrgemeinderäten und Kirchenvorständen sprach Woelki nach übereinstimmenden Berichten von Teilnehmern nicht nur Führungskompetenz und Vertrauenswürdigkeit ab, sondern forderte ihn auch auf, den Weg für einen Neuanfang im Erzbistum freizumachen.

Wäre der Kardinal Kapitän eines Segelschiffs, hätte er nach dem Gespräch mit dem Gefühl in seiner Kajüte sitzen müssen, dass ihm soeben der Großmast gebrochen und die Mannschaft von Bord gegangen ist.

Mit der Feststellung, ein „Weiter so!“ sei nicht mehr möglich, eröffnete ein Gemeindevertreter den Angaben zufolge das Gespräch, das auf Einladung Woelkis und seines Generalvikars Markus Hofmann als Videokonferenz stattfand. Die Bistumsspitze wollte mit Vertretern der Kirchenbasis über das am 18. März vorgelegte Missbrauchsgutachten und die Konsequenzen sprechen.

Wie es hieß, ließen die Diskutanten – bis auf einen Eintrag im parallelen Online-Chat – nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie das Gutachten der Kölner Kanzlei Gercke Wollschläger nicht für geeignet halten, verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen und einen Neuanfang im Erzbistum unter Woelkis Führung zu ermöglichen. Das Vertrauen der Gläubigen sei „teilweise implodiert“, sagte ein Kritiker. „Jetzt ist noch die Gelegenheit, erhobenen Hauptes rauszugehen“, sagte er, an Woelki gewandt.

In das „System Meisner“ involviert

Eine Frau aus der Runde erklärte, Woelki sei als ehemaliger Geheimsekretär von Kardinal Joachim Meisner und Weihbischof „viel zu lange und zu tief in das ‚System Meisner‘ involviert“, um jetzt glaubwürdig für eine Systemveränderung zu stehen. „Wer so priesterzentriert denkt wie Sie, der kann nichts ändern und will auch nichts ändern.“

In scharfen Worten kritisierte die Gemeindevertreterin auch, dass Woelki einen Rücktritt mit dem Argument ausgeschlossen habe, damit wäre nichts gewonnen. „Was ist denn dann mit Rücktritten von Weihbischöfen gewonnen?“, fragte die Frau und erinnerte Woelki an die politische Verantwortung, die er – einem Minister vergleichbar – für Fehler und Missstände unter seiner Führung oder mit seinem Wissen zu übernehmen hätte.

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Kardinal Woelki auf der Pressekonferenz am 23. März 2021, einer von zwei öffentlichen Runden zu den Folgen des Missbrauchsgutachtens.

„Mit welchem Recht versuchen Sie, alle Schuld von sich zu weisen und andere verantwortlich zu machen?“ Offenbar wolle Woelki nur sich selbst schützen. „Glauben Sie wirklich, dass Sie der Richtige sind? Ich und viele andere glauben das nicht.“

Woelki versucht, Angriffe zu parieren

Anfangs, so wurde weiter berichtet, habe Woelki noch versucht, die Angriffe zu parieren: Den Vorwurf der Priesterzentriertheit wies er mit dem Argument zurück, dass es „ohne Priester keine Kirche“ gebe. Deshalb sei und bleibe der Priester wichtig. „Das ist jedenfalls meine Überzeugung und mein Glaube, und das ist immer auch noch der Glaube der Kirche.“

Was mit seiner Verstrickung in ein „System Meisner“ gemeint sein könnte, „weiß ich gar nicht“, sagte der Erzbischof. Immerhin habe er die Kraft gehabt, eine Untersuchung in Auftrag zu geben, die ein solches System in Frage und zur Disposition gestellt habe. Mit der Vorlage des Gercke-Gutachtens habe er Wort gehalten. Insofern erachte er dieses für eine Basis, „auf der auch Vertrauen wieder wachsen kann“.

Empörung unter den Zuhörenden

Damit rief Woelki allerdings erneut Empörung unter den Zuhörenden hervor. „Sie wollen darüber entscheiden, ob Ihr Verhalten ausreicht, Vertrauen wieder aufzubauen?“, sagte ein Diskutant, dessen Ton als hörbar erregt geschildert wurde. „Dieses Urteil liegt bei den Mitgliedern der Kirche, und die rennen Ihnen gerade weg.“ Die Art, wie der Erzbischof Kritiker abkanzele, sei unerträglich. „Machen Sie den Weg frei!“

Eine Frau beklagte sich bitter, dass die in den Pfarreien und ihren Gremien Engagierten zwischen den Stühlen säßen. „Wir haben das Gefühl, wir dringen bei Ihnen nicht durch mit unserem Versuch, die Not der Gemeinden deutlich zu machen.“

Zugleich müssten sich aktive Katholikinnen und Katholiken immer stärker nach außen dafür rechtfertigen, dass sie überhaupt noch in der Kirche mitmachen. „Wir sind müde, und Sie verlieren auch uns als engagierte Christen, die mit Herz und Seele dabei sind.“ Von anderer Seite habe es geheißen: „Wir halten es nicht mehr aus, wir wollen raus aus dieser Lage, aber wir glauben nicht, dass das mit dieser Bistumsleitung noch möglich ist.“

Woelki entgegnete, das – dankenswerte – christliche Engagement folge nun einmal aus der Taufe. Und was die Verteidigung dieses Einsatzes betrifft: In einer Stadt wie Berlin mit ihrer verschwindenden christlichen Minderheit sei das „permanent“ so. Man müsse sich als Christ klarmachen, dass es zu rechtfertigen gilt, „was unser Glaube ist und was ihn ausmacht“.

Woelki zunehmend wortkarg

Im Verlauf des fast zweieinhalbstündigen Abends wurde Woelki als zunehmend wortkarg wahrgenommen. Er überließ das Reden mehr und mehr seinem Generalvikar. Der räumte ein, dass es kein einfaches Rezept gebe, Vertrauen zurückzugewinnen.

Die Bistumsleitung müsse sich „an Taten messen lassen“. Einiges sei eingelöst, einiges sei zugesagt, betonte Hofmann. „Dazu stehen wir.“ Zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals sagte Hofmann, das Gercke-Gutachten sei dafür nur ein Mosaikstein. Immerhin gebe es aber „auch Personen, die sagen, im Erzbistum Köln werden Maßstäbe gesetzt“.

Woelki selbst hatte zuvor unterstrichen, unter seiner Ägide sei mit Blick auf Aktenführung und den Umgang mit Missbrauchsfällen „sehr, sehr viel“ geschehen. Es gebe kaum ein anderes Bistum, wo der Weg der Aufarbeitung so weit fortgeschritten sei wie in Köln.

Hofmann teilte diese Sicht und sagte, Verantwortung bedeute deshalb auch „positive Verantwortung für diese Veränderung“. Der Generalvikar sprach aber auch von der Notwendigkeit einer „moralisch-ethischen Aufarbeitung“. Einige Verantwortliche hätten das bereits geäußert. Hofmann zitierte dafür aus der Rücktrittserklärung von Weihbischof Dominikus Schwaderlapp, in der sich dieser dazu bekennt, als Christ und Seelsorger versagt zu haben.

Moderator ruft zur Ordnung

Angesichts der anhaltenden, wiederholten Attacken auf den Erzbischof konstatierte der Moderator, ein Mitarbeiter aus der Bistumsverwaltung, einen „steigenden Pegel“, rief zu „etwas verbreiterten“ Wortmeldungen und einer maßvolleren Gesprächsführung auf. Das müsse aber auch für die „Gegenseite“ gelten, „die ihre Beiträge orchestriert“, erwiderte prompt einer der Wortführer. Und: „Wir sprechen für ganz, ganz viele.“ Dieser Satz sei auf keinerlei Widerspruch gestoßen.

Im Gegenteil. Ein Diskussionsteilnehmer beschied Woelki, „Ihre Antworten machen alles nur noch schlimmer“. Er habe „einen Erzbischof erlebt, der nach Worten ringt, aus Angst, etwas Falsches zu sagen; einen Erzbischof, der kraftlos wirkt, der in unseren Fragen nicht nach der Seele sucht und in allgemeinen Floskeln erklärt, warum doch alles richtig gewesen ist“. Die erhoffte Vorstellung von Perspektiven, von Auswegen aus der derzeitigen Krise und von Aufbruchstimmung sei ausgeblieben. „Sie vermitteln uns nicht den Eindruck, Sie wären dazu derzeit in der Lage.“

Zweifel an Woelkis Verhalten im Fall O.

In der Debatte gerieten die bereits zu Beginn laut gewordenen massiven Zweifel an Woelkis Rolle als Aufklärer des Missbrauchsskandals und hartnäckige Anfragen an seinen Umgang mit dem Missbrauchsverdacht gegen den mit ihm befreundeten Pfarrer O. fast zur Nebensächlichkeit.

Rechtsanwältin Corinna Reckmann von der Kanzlei Gercke Wollschläger räumte ein, generell sei die Frage der Meldepflicht von Verdachtsfällen nach Rom, „sehr komplex“. Laut Gutachten hat Woelki im seine Pflichten im konkreten Fall nicht verletzt. Woelki sagte, „den Fall O. aufzumachen, ist alles ein bisschen kompliziert“.

Er bekräftigte seine Sicht, er habe den Fall 2015 nicht untersuchen können, weil der beschuldigte Pfarrer so schwer erkrankt gewesen sei, dass eine Befragung unmöglich gewesen sei. Das Eingeständnis aus seiner Pressekonferenz am 23. März, er habe nicht alles Menschenmögliche getan und hätte den Fall melden sollen, wiederholte Woelki nicht.

Reckmann führte das in 75 Fällen nachgewiesene Fehlverhalten von Bistumsverantwortlichen im Umgang mit Missbrauchsfällen „in erster Linie“ auf eine unklare Rechtslage, massive Rechtsunkenntnis, unklare Zuständigkeiten und mangelhafte Aktenführung zurück. Verantwortungsträger seien sich beispielsweise über ihre Meldepflichten „nicht so im Klaren“ gewesen.

Sich nicht ausreichend erkundigt zu haben, sei ihnen womöglich als „Organisationsversagen“ anzulasten. Insgesamt müsse man den Verantwortlichen attestieren, dass Art und Umfang ihrer Pflichten „für viele eher ein Mysterium“ waren. Für den Vorwurf der Vertuschung, so Reckmann, hätte es den Nachweis von Vorsatz gebraucht, kein Handeln „in gutem Glauben“. Für vorsätzliches Agieren aber „konnten wir keine Anhaltspunkte feststellen“.

Das Gutachten spricht im Ergebnis von einer durch die Abläufe und die Umstände „systembedingten Vertuschung“. Ein Diskussionsteilnehmer, im Hauptberuf Richter, zweifelte an der Stichhaltigkeit des Arguments „Unkenntnis“ und an der Unabhängigkeit der Gutachter. „Sie haben ein Parteigutachten erstellt, im Auftrag einer Mandantin – nur damit kein falscher Eindruck von Unabhängigkeit entsteht.“

Schlusswort und Segen des Kardinals

In seinem Schlusswort zum Diskussionsverlauf sagte Woelki einerseits, „wir nehmen das schon sehr deutlich wahr“. Andererseits habe er sich „zwischenzeitlich gefragt, ob wir noch von der gleichen Basis sprechen“. Es gebe anscheinend sehr unterschiedliche Auffassungen und Ansichten von der Kirche und ihrer Lehre. Er werde weiter zu seinen „offen und fair“ formulierten Positionen stehen. „Versteckt hinter den Betroffenen, haben wir uns hier eher über Strukturfragen auseinandergesetzt.“

Es folgten der Segen des Kardinals, ein Osterwunsch für die Anwesenden und die Hoffnung, „dass es nicht nur verlorene Liebesmüh gewesen ist“.