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Kölner Kanzlei erstellt neues Gutachten„Systemische Mängel“ im Erzbistum

Lesezeit 3 Minuten
Woelki April 2020

Kardinal Rainer Woelki

Köln – Die Kölner Anwälte, die für das Erzbistum bis März 2021 ein neues Missbrauchsgutachten erstellen sollen, sind nach eigenen Angaben mit ihrer Arbeit schon weit vorangekommen. Alle Fälle seit 1975, die sich aus 236 Interventionsakten des Erzbistums ergeben, seien inzwischen erfasst, sagte Rechtsanwältin Kerstin Stirner von der Kanzlei Gercke Wollschläger laut Teilnehmern an einer Videokonferenz für ehrenamtliche Kirchenvorstände und Pfarrgemeinderäte am Montagabend. Daran nahmen auch Kardinal Rainer Woelki und sein Generalvikar Markus Hofmann teil.

Es gebe auch bereits einen Gesamtüberblick über das Ausmaß, und einen Einblick in die Art der einzelnen Missbrauchsfälle und deren Behandlung durch die Bistumsspitze. Dabei ließen sich schon jetzt „systemische Mängel“ erkennen. Ebenfalls abgeschlossen sei die „einzelfallbezogene Bewertung“, wie Stirner Zuhörern zufolge weiter berichtete.

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Die Partnerin des Strafrechtsprofessors Björn Gercke, den das Erzbistum mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt hat, sprach von einem „Ampelsystem“: Grün würden demnach die Fälle markiert, in denen sich Bistumsverantwortliche keiner Pflichtverletzung schuldig gemacht haben. Gelb sind die Fälle bezeichnet, in denen dies nicht eindeutig feststellbar ist. Die Farbe Rot wiederum stehe für Fälle, in denen die Kanzlei Pflichtverletzungen eindeutig erkannt habe. „Und das sind nicht wenige“, so Stirner laut Teilnehmern. Gercke hatte in einer ähnlichen Konferenz am Donnerstag gesagt, was sich in den Unterlagen zeige, sei beschämend und bedrückend. Es fänden sich „viele harte Fälle“.

„Kein moralisch-ethisches Gutachten“ für das Erzbistum Köln möglich

Die Prüfung, erläuterte Stirner, erfolge nach den Normen des weltlichen und kirchlichen Rechts, aber auch nach dem Maßstab des „kirchlichen Selbstverständnisses“. Für diesen, wie Stirner sagte, „schwierigen, weil nicht juristischen Begriff“ orientiere sich die Kanzlei an den bischöflichen Leitlinien zum sexuellen Missbrauch. „Was da steht, bringt das kirchliche Selbstverständnis am allerbesten zum Ausdruck.“ Zugleich betonte Stirner, sie und ihre Kollegen könnten „kein moralisch-ethisches Gutachten erstatten. Sie wollten mit ihrer Arbeit vielmehr die Grundlage schaffen, auf der sich die Leser ihr eigenes Urteil bilden könnten.

Im Januar wollen die Anwälte dazu auch die Bistumsverantwortlichen anhören, denen sie Pflichtverletzungen zur Last legen.

In der Diskussion räumte Hofmann zwar Fehler in der jüngsten Kommunikation ein, unterstrich aber die „Alternativlosigkeit“ der Entscheidung für ein zweites Missbrauchsgutachten anstelle der angeblich mangelhaften Arbeit der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl. Deren Gutachten nahm Woelki Ende Oktober unter Verschluss, was bis heute heftige Kritik hervorruft, zuletzt vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, und dem Münchner Kardinal Reinhard Marx.

Woelki spricht über Umgang mit erstem Gutachten

Woelki sagte nach Angaben von Zuhörern, er hätte es sich leicht machen und das erste Gutachten veröffentlichen können. „Das wäre dann in kürzester Zeit aus der Welt geklagt worden“ – ein, so Woelki, „Bärendienst für die Betroffenen“.

Mehrere Fragen nach einem persönlichen Verlust an Vertrauen und, damit verbunden, der Fähigkeit zur Führung des Erzbistums wies Woelki strikt zurück. „Warum Sie Vertrauen in Abrede stellen, ist mir – ehrlich gesagt – schleierhaft.“ Er wisse nicht, worauf sich die These vom Vertrauensverlust gründen sollte, außer auf Vorverurteilung. „Warum sollte Vertrauen nicht mehr gegeben sein?“, fragte Woelki. Es werde „doch hoffentlich durch das weitere Gutachten gewährleistet“. Wenn Gercke „die Dinge offen benennt, kann das Krebsgeschwür aufbrechen“. Das biete dann auch Gelegenheit, sich „wieder verstärkt der Evangelisierung zuzuwenden“.