Köln – Als die Stadt Köln am 7. Oktober überraschend bekanntgab, künftig dürften Moscheegemeinden auf Antrag ihre Gläubigen zum Freitagsgebet rufen, war die öffentliche Aufregung groß. Nicht einmal der Rat der Religionen war vorher informiert worden. „Wir haben es schlecht kommuniziert“, räumte Bettina Baum, designierte Leiterin der Amtes für Integration und Vielfalt der Stadt Köln, am Montag bei einer Podiumsdiskussion in der Karl-Rahner-Akademie ein.
In der Talk-Reihe „frank&frei“ diskutierte Joachim Frank, Chefkorrespondent des „Kölner Stadt-Anzeiger“, mit sechs Gästen darüber, ob die Erlaubnis des Muezzin-Rufs ein Gebot der grundgesetzlich garantierten Freiheit der Religionsausübung oder ein falsches Zeichen der Toleranz ist.
Über zehn Prozent der Kölner sind Muslime
Das auf zwei Jahre befristete Modellprojekt sieht unter anderem vor, dass der Gebetsruf nur zwischen 12 und 15 Uhr und nicht länger als fünf Minuten erklingen darf. Für die Lautstärke wird abhängig von der Umgebung eine Höchstgrenze festgesetzt. Die Initiative gehe darauf zurück, dass die Kirchen am Anfang der Corona-Krise gemeinsam die Glocken geläutet und sich verschiedene Moscheegemeinden mit einem „solidarischen Gebetsruf“ angeschlossen hätten, sagte Baum.
In der Folge hätten einige den Wunsch an die Stadt herangetragen, auch sonst zum Gebet rufen zu können. Baum betonte, nur einzelne Gemeinden, nicht aber Verbände könnten einen Antrag stellen. Zwei seien bisher eingegangen; hinzu kämen zehn Anfragen. Die Stadt habe schlicht die Aufgabe, die Rahmenbedingungen für die freie Religionsausübung zu schaffen. Immerhin seien elf bis 13 Prozent der Kölner muslimischen Glaubens.
„Zeichen der Würdigung des muslimischen Lebens “
Zu denen, die am Projekt teilnehmen wollen, gehört die Gemeinde der Zentralmoschee der Türkisch-Islamischen Union Ditib in Ehrenfeld. Zwar war 2008 vereinbart worden, dass dort der Muezzin nicht ruft, doch die Situation sei heute eine andere, sagte Ditib-Vorstandmitglied Zekeriya Altuğ. Die Erlaubnis des Rufs sei ein „Zeichen der Würdigung des muslimischen Lebens“ und der Pluralität.
Es gehe darum, Gemeindemitgliedern im Vorhof der Moschee und auf der Straße davor „das Gefühl zu geben, dass sie hier beheimatet sind“. Zur Frage, ob der Ruf dem „Erdoğan-Islam“ nutze, sagte Altuğ, zwar bestehe eine „Kooperation“ mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet, die direkt dem Präsidenten unterstellt ist, und in den letzten Jahren sei die Orientierung von Mitgliedern hin zur Edoğan-Partei AKP stärker geworden, doch die Ditib sei „heterogen“, offen für alle Gläubige.
Verfassungstreue der Moscheegemeinden im Vordergrund
Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor, Mitbegründerin der Liberal-Islamischen Bundes und Bundestagsabgeordnete (Bündnis 90/Die Grünen), meldete Zweifel an. Die Ditib habe „ein großes Problem“ mit liberalen Vertretern des Islam. Sie habe sich internen Missständen immer nur dann gestellt, wenn diese von außen aufgezeigt worden seien.
Prinzipiell begrüßte Kaddor die Neuerung in Köln. Der Muezzin-Ruf sei ein „Ausdruck der Vielfalt“ und trage gegen Ressentiments auf Dauer zur „Normalisierung“ bei. In einem säkularen Rechtsstaat wie Deutschland solle Religion einen „Platz im öffentlichen Raum“ haben. Theologisch sei letztlich nicht zu beantworten, ob der Muezzin-Ruf „essenziell notwendig“ für die Religionsausübung sei, sagte Katajun Amirpur, Professorin für Islamwissenschaft an der Uni Köln. Die meisten Muslime nutzten eine „Gebets-App“. Doch man solle die Gläubigen selber entscheiden lassen, wie sie es halten wollten.
Die Zulassung daran zu orientieren, wer welches Glaubensverständnis an den Ruf knüpfe, gehe nicht an. Das Recht auf Religionsausübung sei nicht verhandelbar, sagte auch Werner Höbsch, früherer Leiter des Referats Interreligiöser Dialog des Erzbistums Köln und Vorsitzender des Trägervereins der Karl-Rahner-Akademie. Grundrechtlich sei es unerheblich, dass der Muezzinruf anders als das liturgische Glockenläuten mit einem Glaubensbekenntnis verbunden sei. Ebenso wenig dürfe eine Rolle spielen, wie islamische Länder es mit der Religionsfreiheit halten.
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Als schärfster Kritiker erwies sich Philipp Möller, Vorstandssprecher des Zentralrats der Konfessionsfreien, der aus Berlin zugeschaltet war. Zwar sei es im Sinne der Gleichbehandlung aller Weltanschauungsgemeinschaften „folgerichtig“, den Ruf zuzulassen, doch hätten diese Gemeinschaften, allen voran die Kirchen, zu viel Einfluss, bis hin zum „Zugriff auf Kindergehirne“ durch den Religionsunterricht.
Im Vordergrund müsse die Frage der Verfassungstreue der Moscheegemeinden stehen. Und es gelte, Rücksicht zu nehmen auf die Menschen, „die weder den Muezzinruf noch Kirchengeläut hören wollen“, zumal auf diejenigen, die vor dem Islam hierher geflüchtet seien. Die Grenze der Religionsfreiheit verlaufe da, wo das Selbstbestimmungsrecht „als Fremdbestimmungsrecht ausgenutzt" werde.