- Beim Solidaritätskonzert „SOS. Save our Souls“ in der Kölner Philharmonie verzichteten die Künstler zugunsten der Flüchtlingshilfe auf ihre Gagen.
- Daniela Neuendorf erzählt, was sie in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln erlebte.
- Pfarrer Hans Mörtter und die Künstler appellieren an die Menschlichkeit und die europäischen Werte.
Köln – Ein Kind, das nach einem Rattenbiss fast an einer Blutvergiftung gestorben wäre, ein am ganzen Leib von Krätze überzogenes Baby und ein Mädchen, das sich von den Schultern bis zu den Füßen am offenen Feuer verbrannt hatte – viel Leid hat Daniela Neuendorf bei ihren humanitären Einsätzen im Flüchtlingslager Vathy auf der griechischen Insel Samos erlebt.
Die Bilder von Kindern, deren Verletzungen und Erkrankungen vom Aufenthalt im Lager herrührten, lassen die 37-jährige Betriebswirtin, die bei Bayer arbeitet und selber Mutter ist, nicht los. „Ich will, dass diese Bilder bei jedem im Kopf sind, nicht nur in meinem“, sagte sie am Dienstagabend in der Philharmonie beim Solidaritätskonzert „SOS. Save Our Souls“, dessen Einnahmen der Flüchtlingshilfe zugutekommen.
Künstler verzichten auf Gagen
Wie beim ersten Benefizabend dieser Art im Oktober 2019, ebenfalls initiiert von Südstadt-Pfarrer Hans Mörtter, verzichteten alle auftretenden Künstler auf ihre Gage. Von Cellistin Johanna Stein und Opernsängerin Dalia Schaechter, die von Christian von Götz auf der Gitarre begleitet jiddische Lieder vortrug, über die Singer-Songwriterin Aniko Kanthak mit Christian Frentzen (Klavier) und Dino Soldo (Tárogató) bis zu Soul-Sänger und Slidegitarrist Richard Bargel und Kasalla.
Seit mehr als fünf Jahren ist Daniela Neuendorf humanitäre Helferin des gemeinnützigen Kölner Vereins „Refugees Foundation“ und oft auf den griechischen Inseln, vor allem im Lager Vathy, das mit über 4500 Bewohnern fast siebenfach überbelegt ist. Die gestrandeten Menschen, die nicht vor und zurück könnten, seien voller Angst und Verzweiflung.
Verschimmeltes Essen in Flüchtlingslagern
Gerade hat sie mitgeholfen, einen Lkw mit Hilfsgütern vollzupacken, die für die Flüchtlinge des abgebrannten Lagers Moria auf Lesbos bestimmt sind; in dem für 2800 Personen ausgelegten Camp lebten zeitweilig 20.000 Menschen. Die Versorgung mit Lebensmitteln – in der Regel einmal pro Tag ein Schälchen Reis mit Soße – sei katastrophal, sagte Neuendorf.
In den letzten Wochen komme es häufig vor, dass die Nahrung verdorben sei, befallen von Maden, Würmern oder Schimmel. Doch die Menschen hätten keine Wahl: „Die Eltern müssen ihren Kindern diesen Müll zu essen geben.“ Neuendorf forderte ein grundlegende Änderung der Flüchtlingspolitik. Deutschland dürfe „nicht abwarten, was Europa macht“. Für sie und die andern Helfer gelte jedenfalls: „Wir hören nicht auf.“
Geflüchtete Iranerin übt Kritik an Deutschland
Auch der Dortmunder Journalist Dirk Planert berichtete aus eigener Anschauung vom Flüchtlingselend, in diesem Fall von Menschen, die, auf der Balkanroute von der kroatischen Polizei nach Bosnien zurückgeschoben und in der Nähe der Stadt Bihać auf eine ehemalige Müllhalde gebracht worden seien: „Ich begriff, dass Menschen weggeschmissen werden.“
Europa habe „nicht hingeguckt“. Die Alternative müssten „anständige, vernünftige, kleine Lager“ sein, in denen die Flüchtlinge ordnungsgemäß ihren Asylantrag stellen könnten. Eine geflüchtete Iranerin, die zu ihrem Schutz auf der Bühne mit dem Alias-Namen „Sarah“ vorgestellt wurde, erzählte von schlechten Erfahrungen in Deutschland.
Die Zustände in einem Flüchtlingsheim in der Nähe von Köln seien entwürdigend gewesen und die stundenlange Anhörung im Asylverfahren, die mit der Ablehnung endete, eher ein „Verhör“, eine unfaire Strapaze. Nun lebt sie mit einer Duldung in Köln, unterstützt von Mörtters Lutherkirchen-Gemeinde.
Das Mittelmeer als "größtes Grab Europas"
Manche Künstler verbanden ihren Auftritt mit kurzen Statements. So mahnte Pianistin Sina Kloke das „europäische Werteverständnis“ an und verlangte „faire und schnelle Asylverfahren“, und Trompeter Markus Stockhausen sprach von einer „Zeit, in der wir uns entscheiden müssen“ zwischen „Angst oder Liebe“.
Schauspielerin und Kabarettistin Biggi Wanninger, die gemeinsam mit Mörtter den Abend moderierte, nannte das Mittelmeer, in dem Abertausende Flüchtlinge ertrunken sind, „das größte Grab Europas“ und sagte, der EU gehöre der Friedensnobelpreis, der ihr 2012 für ihren Einsatz für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte verliehen wurde, aberkannt.
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„Es geht uns nicht darum, alle Menschen aus den Lagern herzuholen“, betonte Mörtter, sondern um einen „Paradigmenwechsel“ im Umgang mit Flüchtlingen, darum, „der Achtung und Würde wieder Raum zu geben“ – mit einem Wort: „Holen wir uns das Menschsein zurück.“