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Unterbringung von Geflüchteten in NRW„Wir arbeiten am Rande der Belastungsgrenze“

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Geflüchtete Messe Köln April 22

Im Frühjahr 2022 wurden Geflüchtete in der Kölner Messe untergebracht. 

Düsseldorf – Der Krieg in der Ukraine hat Hundertausende Schutzsuchende nach Deutschland vertrieben. Etwa 2,9 Millionen Menschen waren Ende Juni im Ausländerzentralregister als Flüchtlinge registriert – fast eine Million mehr als noch ein halbes Jahr zuvor. Langsam wird es auch in Nordrhein-Westfalen wieder eng mit Unterbringungsmöglichkeiten, wo bislang rund 215.000 Menschen aus der Ukraine gemeldet sind.

„Von einer schwierigen Gesamtsituation zu sprechen, wäre untertrieben“, betont Christof Sommer, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW. „Die Situation spitzt sich zu.“ Der Essener CDU-Oberbürgermeister Thomas Kufen, Vorsitzender des nordrhein-westfälischen Städtetags, sprach zuletzt in einer Ratssitzung von einer „echten Herausforderung“: „Wir arbeiten Tag für Tag am Rande der Belastungsgrenze.“ Das dürfe „kein Dauerzustand werden“.

Land verdoppelt Unterbringungsmöglichkeiten

Vor etwa zwei Wochen hat das NRW-Flüchtlingsministerium zwar angekündigt, die Zahl der Plätze für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Landeseinrichtungen fast zu verdoppeln. In einem ersten Schritt würden weitere 3850 Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen, bislang gebe es 4040 Plätze in diesen Unterkünften. Von einer flächendeckenden Überlastung, abgesehen von Kapazitätsspitzen in einzelnen Kommunen, könne in NRW aber keine Rede sei.

Dem nordrhein-westfälischen Städte- und Gemeindebund indes reicht diese Einschätzung nicht. In einer Beschlussvorlage für die Präsidiumssitzung am 17. Oktober fordert der Verband den Bund und das Land NRW auf, „die Städte und Gemeinden bei der Unterbringung der Geflüchteten aus der Ukraine sowie auch der weiteren Asylbegehrenden organisatorisch und finanziell weitergehend als bislang zu unterstützen“.

Dazu müssten die Unterbringungsmöglichkeiten in den Landeseinrichtungen noch über das bereits angekündigte Maß „kurzfritstig deutlich erhöht werden“, heißt es in dem Papier, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt. Zudem sollen Bund und Land den Kommunen die notwendigen Finanzmittel auch über das Jahr 2022 hinaus zur Verfügung stellen. „Hierzu gehört auch, dass das Land NRW eine Regelung zur Refinanzierung vorsorglich geschaffener Leerplätze etabliert (sogenannte Vorhaltekosten)“, heißt es. „Vor dem Hintergrund der erheblich gestiegenen Energiekosten und der dadurch hervorgerufenen Inflation“ bräuchten die Kommunen Planungssicherheit.

Wenngleich schwer zu sagen ist, wie sich die Situation weiterentwickelt: An einzelnen Orten in NRW jedenfalls müssen schon wieder Turnhalle für die Unterbringung von Flüchtlingen genutzt werden. In Bochum beispielsweise, in Wuppertal, in Korschenbroich oder in Burscheid. Auch die Situation im Großraum Köln wird langsam kompliziert, wie eine Umfrage unserer Zeitung ergeben hat.

Unterbringung von Geflüchteten: Hilferuf aus dem Kreis Euskirchen

Mit einem eindringlichen Appell hat sich der Kreis Euskirchen ans Land NRW gewandt und mehr Solidarität in der aktuellen Flüchtlingssituation gefordert. „Unsere Kommunen sind am Limit. Es braucht jetzt dringend eine bessere Unterstützung“, betonte Landrat Markus Ramers (SPD). Gemeinsam mit allen elf Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern aus dem Kreis fordert er das Land unter anderem dazu auf, insbesondere die im vergangenen Jahr von der Flut betroffenen Kommunen bei den vielfältigen Herausforderungen spürbar zu entlasten.

Für den Kreis gebe es aktuell eine Aufnahmeverpflichtung für rund 2.200 Menschen, so Ramers. Untergebracht seien aber bereits 2700 Schutzsuchende - 1500 Personen in Gemeinschaftsunterkünften und 1200 in Privatwohnungen. Neben der Sorge um ein „Dach über dem Kopf“ würde aber auch „die Begleitung der Geflüchteten genauso wie die medizinische Versorgung und die Betreuung in Kitas und Schulen eine gewaltige Aufgabe“ darstellen. Die „Dialogbereitschaft des Landes“ sei zwar zu begrüßen, aber es dürfe nicht „beim Sammeln von Problemen“ bleiben, „sondern zügig Hilfe organisiert wird“, betonte der Landrat. Ansonsten würden die Kommunen „in die Handlungsunfähigkeit“ getrieben.

Finanzielle Unterstützung für Kommunen gefordert

Auch Sebastian Schuster (CDU), Landrat des Rhein-Sieg-Kreises, wünscht sich, „dass das Land die Sorgen und Bedenken der Kommunen ernst nimmt, die Hilferufe der Städte und Gemeinden sind nicht unbegründet“. Die Bonner Oberbürgermeisterin Katja Dörner (Bündnis 90/Grüne) spricht von einem „Kraftakt“: „Die Menschen erhalten Unterkunft, werden versorgt und betreut, Kinder und Jugendliche werden in Kindertagesstätten und Schulen aufgenommen, zahlreiche Integrationseinrichtungen und Vereine setzen sich für die Integration der Geflüchteten ein.“ Es zeige sich, „dass wir zunehmend an unsere Kapazitätsgrenzen stoßen, nicht nur was die Unterbringung betrifft, sondern beispielsweise auch die Bereitstellung von Schulplätzen“.

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Die Kommunen dürften mit diesen Herausforderungen „nicht alleine gelassen“ werden, so Dörner. Da zu erwarten sei, dass die Anzahl der Geflüchteten weiterhin steigt, sei „auch das Land gefordert, die Kapazitäten in den Landeseinrichtungen kurzfristig deutlich zu erhöhen, damit sich die Situation in den Kommunen nicht weiter verschärft“. Darüber hinaus stünden Land und Bund „in der Verantwortung, sich angemessen“ an den Kosten für die Flüchtlingsunterbringung in den Kommunen zu beteiligen. Die Stadt Köln beispielsweise rechnet allein für das Jahr 2022 mit ungefähr 100 Millionen Euro und hat deshalb schon mehrfach finanzielle Hilfen gefordert.

SPD-Opposition wirft Landesregierung Untätigkeit vor

„Denn die Finanzierung der Unterbringung von Geflüchteten ist schließlich Bundesangelegenheit“, heißt es auch in Düsseldorf. Die bisherigen Ausgleichszahlungen nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz jedoch seien „nicht ausreichend“. Auch in der Landeshauptstadt seien „die kommunalen Unterkünfte aktuell nahezu vollständig ausgelastet“.

Das Thema ist längst schon bei der Opposition im Düsseldorfer Landtag angekommen. Die Landesregierung wälze immer mehr auf die ohnehin überlasteten Kommunen ab, kritisiert Lisa-Kristin Kapteinat, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Landtag. „Bei der Unterbringung, der Integration, der Betreuung und der Beschulung von geflüchteten Kindern werden die Städte und Gemeinden allein gelassen.“ Und Christof Sommer vom Städte- und Gemeindebund ergänzt, zwar habe die Bundesregierung im April alleine für Geflüchtete aus der Ukraine knapp zwei Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Der NRW-Anteil von rund 430 Millionen Euro sei auch „eins zu eins“ an die Kommunen weitergegeben worden. „Doch diese Mittel sind jetzt aufgebraucht“, so Sommer.