Gendern ist in Kölner Schulen angekommen, aber: Die einen wollen es per Klage verbieten lassen, andere sehen darin ein wichtiges Signal.
Ideologie oder Inklusion?Debatte auch in Köln – So gehen Schulen in der Stadt mit dem Thema Gendern um
Klar, es gibt gerade wichtigere Themen im Bildungskosmos: Lehrkräftemangel, Lernlücken, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz. Und doch ist das Gendern an den Schulen eines, das polarisiert. An Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich im Unterricht scheiden sich die Geister.
Manche sehen gar den Sprachkampf im Klassenzimmer bereits am Horizont aufziehen: So wie der Vater aus Berlin, der beim Verwaltungsgericht Klage gegen das Land Berlin eingereicht hat, um das Gendern an Berliner Schulen verbieten zu lassen.
Schulen dürfen beim Gendern frei entscheiden – kommt eine Richtlinie?
Dass an der Schule seiner Kinder etliche Lehrkräfte gendern – manche gar in gedruckten Texten an die Eltern – das wollte er nicht hinnehmen. „Diese Ideologie gehört nicht in den Unterricht“, erklärte er zur Begründung und beruft sich auf den Deutschen Rechtschreibrat, der das schließlich noch nicht festgeschrieben habe.
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In Hamburg strebt eine Initiative gegen Gendersprache in der Bildung sogar einen Volksentscheid an und sammelt dafür gerade Unterschriften. Auch in Köln gibt es Eltern, die sich beschweren, weil etwa Mails der Schulleitung mit Gendersternchen geschrieben wurden.
„Warum ausgerechnet dieses Thema – eigentlich eine marginale Sache – so verlässlich polarisiert, ist mir ehrlich gesagt auch unklar“, sagt Professor Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts für Sprachforschung der Universität Köln. Da werde von der einen Seite das Narrativ bedient, es würden damit Vorschriften gemacht, wie man zu sprechen habe. Dabei stimme das gar nicht. „De facto gibt es diese Vorgabe nicht, weil jeder an der Schule das derzeit so machen darf, wie er möchte.“
Becker-Mrotzek bestätigt, dass die geschlechtergerechte Sprache längst in den Schulen angekommen ist und dort von immer mehr Menschen gegendert werde – gerade in der Fridays-for-Future-Generation, die sensibel für ökologische und gesellschaftliche Entwicklung sei. Diese Sprachsensibilität passt in die Haltung, dass man eben niemanden diskriminieren und sich respektvoll verhalten will. Sprache ist immer im Wandel und Schule genau der Ort, wo darüber diskutiert werden muss, wenn man die jungen Menschen ernst nimmt – etwa im Deutschunterricht und im Politikunterricht.“
Dabei weist Becker-Mrotzek darauf hin, dass es anders als an Schulen an der Universität Köln für die Studierenden schon seit Jahren die verbindliche Vorgabe gebe, gendersensible Sprache zu benutzen.
44 Prozent der jungen Kölnerinnen und Kölner finden die Debatte wichtig
Dabei hat das Kölner „rheingold“-Institut in einer repräsentativen tiefenpsychologischen Studie ermittelt, dass auch die jungen Menschen selbst das Gendern sehr unterschiedlich bewerten: Von den Befragten zwischen 14 und 35 Jahren lehnt etwas mehr als die Hälfte die Genderdebatte ab und fühlt sich davon genervt oder provoziert. „In der Schule bin ich schon aus dem Raum gegangen, weil sich alle angeschrien haben wegen einer Genderfrage“, wird ein 16-jähriger Junge in der Studie zitiert. 44 Prozent dagegen finden die Debatte wichtig und richtig – vor allem an den Universitäten und den Oberstufen der Gymnasien und Gesamtschulen. Der Großteil der Befürworterinnen in der Studie sind junge Frauen.
„Für mich und meine Freundinnen ist es völlig selbstverständlich zu gendern“, erzählt beispielsweise Sofia Trifunovic (17). Sie besucht die Q1 des Sülzer Schiller-Gymnasiums. An ihrer Schule haben die Schülerinnen und Schüler selbst die Initiative ergriffen, um das Thema Sprachsensibilität in die Mitte der Schule zu holen: Das Schiller-Gymnasium trägt – wie acht weitere Kölner Schulen – das Siegel „Schule der Vielfalt“ und setzt sich damit besonders für Diversität ein. „Für mich bedeutet das auch die Verantwortung, keine Diskriminierung aufgrund sexueller Identität zuzulassen. Dazu gehört konsequenterweise auch das Gendern.“
Richtig begriffen sei Gendern ein „wichtiges gesellschaftliches Mittel, weil es eben alle meint.“ Da gehe es einerseits um das Sichtbarmachen von Frauen, aber vor allem um Inklusion von Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen, erläutert Sofia. Auch von den Lehrerinnen und Lehrern der Schule gendere beim Sprechen ein großer Teil. In der Schülerschaft seien es allerdings deutlich mehr Mädchen als Jungen.
Auf Initiative der Schülervertretung gab es nun einen Antrag, auf Arbeitsblättern, die in Klassen oder Kursen verteilt werden, grundsätzlich zu gendern, berichtet Sofia. Der Antrag wurde lebhaft diskutiert und letztlich hat die Schulkonferenz – das Entscheidungsgremium, in dem Schulleitung, Eltern, Lehrer und Schülerinnen und Schüler vertreten sind – dafür votiert.
Daniel Landmann ist Kunstlehrer am Montessori-Gymnasium in Bickendorf und gendert schon länger. Als Bruder von drei Schwestern sei ihm das sofort sinnvoll erschienen, „dass es eigentlich nicht tragbar ist, immer nur von Schülern zu sprechen“. Dass es außer Geschlechtergerechtigkeit aber eine noch viel wichtigere Dimension gibt, sei ihm klar geworden, als sich das erste Mal Schülerinnen und Schüler ihm gegenüber als transsexual geoutet haben. Der Tatsache, dass sich eine wachsende Zahl als non-binär – also keinem der beiden Geschlechter zugehörig – fühle, habe ihn zum Nachdenken gebracht. Ihm sei da bewusst geworden, wie wichtig es sei, auch in der Sprache inklusiv zu sein. „Alle sollen sich gemeint fühlen, wenn ich rede. Und es ist doch im Grunde so einfach.“ Gerade Oberstufenschülerinnen und -schüler forderten das auch ein. Das Thema Gendern als Ideologie abzutun, findet Landmann zu wenig sensibel.
Philologen fordern verbindliche Regeln fürs Gendern
Dass nun Philologenverbände angesichts der kontroversen Debatten nach verbindlichen Gender-Regeln für die Schulen rufen, findet Becker-Mrotzek den falschen Weg. Er plädiert für mehr Gelassenheit bei dem Thema: „Man muss sich Sprachentwicklung vorstellen wie Trampelpfade. Neue Sprachwege bilden sich, andere wachsen zu.“ Was sich am Ende durchsetze oder eben wieder zuwachse, sei ein dynamischer Prozess.
So schlägt es auch das Institut für Deutsche Sprache in einer aktuellen Stellungnahme vor: Darin wirbt das Institut für mehr Toleranz. Vorerst plädiere man nicht für Vorschriften bezüglich des Genderns. Da im Moment die Trampelpfade noch nicht klar zu erkennen sind, wartet man ab. Es brauche keine Vorschriften, sondern Freiräume und gegenseitigen Respekt. Will sagen: Die Schulen und auch jeder an einer Schule solle es so machen, wie man es für passend hält. Wissend, dass weder Verbote noch Vorgaben zur Befriedung führen.
NRW-Schulministerium will Gendern weder vorschreiben noch verbieten
Auch das nordrhein-westfälische Schulministerium will das Thema nicht unnötig aufblähen. Schulen seien an das amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung gebunden, das vom Rat für deutsche Rechtschreibung herausgegeben wird. Darin stünden keine Regeln zu geschlechtergerechter Sprache – und der Rat habe zuletzt wieder bekräftigt, dass das auch erst mal so bleibe und man die weitere Schreibentwicklung abwarte.
Auch das Schulministerium beobachtet die gesellschaftliche Debatte zu Schreibweisen, mit denen nicht-binäre Geschlechter sprachlich sichtbar gemacht werden sollen, nach eigenen Angaben intensiv. Verbunden mit dem Rat an die Lehrerinnen und Lehrer, mit den Kontroversen zum Thema Gendern – sowohl mit Schülerschaft als auch mit den Eltern – „verantwortungsvoll“ umzugehen. Was auch immer das konkret heißt.
Für die einen bleibt es eine ärgerliche Pause im Sprachfluss, die vom Inhalt ablenkt. Für die anderen ist Gendern ein Zeichen für Toleranz und Modernität. Das Institut „rheingold“ mahnt jedenfalls als Quintessenz ihrer Studie das richtige Maß an, damit sich die vorhandenen gesellschaftlichen Gräben durch Gendern nicht weiter vertiefen.
Immerhin 40 Prozent der jungen Befragten der rheingold-Studie möchten nämlich, dass es einfach jeder so handhabt, wie er will. Genau diese entspannte, flexible Haltung könne erleichtern, dass Gendern als Beitrag zu wachsendem Bewusstsein für bessere Inklusion gesehen werden könne.
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