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Kommentar

„Ironiefrei, unverstellt“
Kölnerinnen und Kölner haben keine Angst vor Kitsch

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Lesezeit 3 Minuten
08.01.2025, Köln: Auftakt der Mitsingreihe „Loss mer singe“ im Lapidarium. Foto: Arton Krasniqi

So sah es aus beim Auftakt der Mitsingreihe „Loss mer singe“ im Lapidarium.

Unsere Kolumne „Wofür ich Köln liebe“ widmet sich den schönen Seiten der Stadt. Unsere Autorin sagt, warum Kölnerinnen und Kölner sehr mutige Menschen sind.

Irgendwann stehe ich in der Menge im „Herbrand's“ in Ehrenfeld, bin rechts und links angenehm eingeklemmt zwischen Pfau und Pinguin, die Frau gegenüber richtet mir kurz den verrutschten Sternenhaarreif, wir schunkeln, wir singen, oder besser: ALLE schunkeln, und ALLE singen. „Du bes Kölle“, „Et jitt kei Wood“, „Alle Jläser huh“, „Sing mich noh hus“, „Loss mer singe“-Klassiker, sagt einer der Moderatoren auf der Bühne. Nachts um halb eins, heiser und beseelt im Uber auf dem Weg nach Hause, denke ich, dass Kölnerinnen und Kölner verdammt mutige Menschen sein müssen.

Ich bewege mich erst seit drei Jahren in dieser Stadt, habe vorher am Niederrhein, in Freiburg und – ja! – in Düsseldorf gelebt, überall gibt es Menschen, die sich wohlfühlen, überall gibt es welche, die sich sehr gut auch andere Orte für sich vorstellen könnten. Wer an einem Abend wie diesem bei „Loss mer singe“ ist, könnte aber meinen: Niemand von denen denkt auch nur einen Fitz darüber nach, ob es woanders besser sein könnte.

Sauberer: sicher. Organisierter, strukturierter, auf vielen Ebenen erfolgreicher: klar, auf jeden Fall. Dass es Städte gibt, in denen sehr vieles sehr viel runder läuft als in Köln, würde sicher jeder halbwegs kluge Mensch so sagen. Aber besser im Sinne von lebenswerter? Nein. Mehr als Köln, das geht nicht. Und so singen, schunkeln und feiern alle ihre ganz große Köln-Liebe heraus – alle zusammen, in dem Moment eng verbunden, absolut ironiefrei, ungeniert, aus tiefster Seele und – ohne Angst vor Kitsch.

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Man kann das selbstbesoffen nennen. Man kann aber auch sagen: Abende, Tage, Momente wie dieser schaffen ein großes, verbindendes und verbundenes Wir. Große Gefühle muss man sich immer erst einmal trauen, Kitsch braucht Mut. Sich richtig in etwas hineinzuwerfen braucht Mut. Von der Seitenlinie des Lebens aus zuzuschauen, die Dinge lieber nur lauwarm zu finden und bloß immer die Halbdistanz zu wahren, das erscheint sicherer. Aber es ist auch sehr viel unheiterer – und irgendwie auch einsamer.

Die schlechte Nachricht für alle, die diese Stadt nicht in ihrer DNA haben, weil sie in Bocholt, Hannover, Heidelberg, Wanne-Eickel oder eben in Geldern geboren sind: Sie bleiben hier, das wird mir von jemandem erklärt, der schon 30 Jahre nicht mehr in Westfalen, sondern in Köln lebt, für immer „Imi“. Die gute Nachricht: Auch wir können uns einlassen auf diesen Gefühlsoverload – und Teil des Köln-Liebe-Wir werden.


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