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Karneval für ZusammenhaltDie Kölner haben das gemeinsame Singen als soziale Kraftquelle

Lesezeit 4 Minuten
08.01.2025, Köln: Auftakt der Mitsingreihe „Loss mer singe“ im Lapidarium. Foto: Arton Krasniqi

Auftakt der Mitsingreihe „Loss mer Singe“ am 8. Januar im Kölner Lapidarium.

Mit der 2000-jährigen Geschichte, dem sozialen Zusammenhalt und dem Karneval sind Kölnerinnen und Kölner deutlich im Vorteil. Ein Gastbeitrag.

Zuversicht? Im Ernst? Woher sollte die kommen in einem Moment, in dem Donald Trump wieder im Oval Office sitzt und alles kurz und klein schlägt, worauf sich die Hoffnung auf eine gedeihliche Zukunft des Planeten, und einer rechts- und wertebasierten internationalen Ordnung gründen könnten? Es ist misslich, dass die Verfassung der Vereinigten Staaten die Amtseinführung des Präsidenten auf den 20. Januar festlegt. Mitten im Winter, wenn die individuelle und die gesellschaftliche Stimmungskurve gerade auf einem Tiefpunkt ist.

Wir haben besonders in der Corona-Zeit gemerkt, wie sehr der Rhythmus der Jahreszeiten unser Lebensgefühl und unsere Wahrnehmungen beeinflusst. Deshalb versichere ich: Schon in wenigen Wochen, wenn die Tage länger werden und wir uns die Frühlingssonne im Freien gönnen, wird die Welt anders aussehen. Diese himmlischen Tröstungen spenden Kraft und neuen Lebensmut, und sie sind auch ein Zuversichts-Booster. Dazwischen liegt in Köln auch noch der Karneval.

Karneval ist ein Fest der Zuversicht

Jetzt bitte nicht gleich die Augen verdrehen! Karneval ist in eminenter Weise ein Fest der Zuversicht. Es zeigt uns: Wir sind nicht festgetackert und allein, wir können uns verwandeln und verbinden. Und wenn wir davon ausgehen, dass wir alle „ein bisschen jeck“ sind, dann relativiert das auch unsere oft überzogenen Ansprüche an uns selbst.

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Denn der Perfektionswahn, der einem ständig ein Gefühl des Ungenügens gibt, zieht uns herunter und erstickt die Zuversicht. Überhaupt haben Menschen aus Köln und der Region einen großen Vorteil in puncto Zuversicht: Diese speist sich nach allem, was wir aus unseren tiefenpsychologischen Studien wissen, aus sozialem Zusammenhalt. Wenn man Sorgen und Probleme hat, braucht man andere, mit denen man sich austauschen kann; die einem das Gefühl geben, dass sie einen wertschätzen und einen nicht alleinlassen.

Und da hat Köln über die Veedel, die Vereine, die Kneipenkultur viel zu bieten. Vor allem das gemeinsame Singen ist als soziale Kraftquelle nicht zu unterschätzen – ob im Karneval oder im Advent, wenn im Rheinenergie-Stadion 50.000 Menschen voller Inbrunst „Weihnachtsleeder singe“. Eine solche Übereinstimmung gibt in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft Hoffnung und Zuversicht.

Niemand möchte sich angreifbar machen

Die Gesellschaft krankt im Moment daran, dass die Menschen nicht mehr miteinander ins Gespräch kommen. Das haben wir auch in unserer „rheingold“-Jugendstudie herausgestellt. Schon die jungen Leute haben ständig das Gefühl: Wenn ich irgendwo offensiv meine Position vertrete, dann mache ich mich angreifbar, dann werde ich gecancelt, also setze ich lieber die Tarnkappe auf oder verschanze mich in meiner Peergroup. Für eine lebendige Demokratie ist das Gift.

Für eine positive Weltsicht auch. Zuversicht kann man als Kölner oder Kölnerin auch aus der 2000-jährigen Geschichte dieser Stadt ziehen. In meinem Büro hängt ein Bild des Malers Harald Klemm: Er hat eine Ansicht des vom Krieg fast völlig zerstörten Köln in ein gelb-goldenes Licht getaucht – Goldgelb als Farbe der Hoffnung.

Aus den Ruinen Kölns ist Neues entstanden – eine Stadt, die zwar nicht überall schön ist, aber meist höchst lebenswert
Stephan Grünewald

Das illustriert eine über die Zeiten hinweg gewachsene und weitergegebene Erfahrung: Aus den Ruinen Kölns ist Neues entstanden – eine Stadt, die zwar nicht überall schön ist, aber meist höchst lebenswert. Viele Menschen haben heute das Gefühl: Die Probleme sind so komplex, dass es keinen Anpack gibt – und niemanden, der den ungeheuren Berg an Aufgaben abtragen könnte.

Die Folge dieses Machbarkeitsdilemmas ist oft Verdrängung: Man spannt einen Vorhang vor den Problemberg, damit er aus dem Blick gerät. Wer sich aber selbst die Sicht nimmt, verbaut sich auch die Zuversicht. Die Probleme, auf die man nicht schauen will, wabern hinter dem Verdrängungsvorhang weiter und wirken mit ihrem Schattenspiel umso schemenhafter und grotesker.

Menschen mit Ehrenamt sind zuversichtlicher

Deshalb muss der Problemvorhang fallen – je eher, desto besser. Das ist auch der Appell an eine Politik, die die Probleme nicht klar benennt, sondern die Menschen in dem trügerischen Gefühl der Sicherheit wiegt, es könne irgendwie doch alles so weitergehen wie bisher. Zuversicht entsteht im Tun. Das Musterbeispiel ist die Energiekrise vor zwei Jahren. Da war klar, wie jeder und jeder mithelfen konnte: weniger heizen, Strom sparen. Daraus entstanden Gemeinschaftsgeist, eine kollektive Bewegung, die den Einzelnen das Gefühl von Selbstwirksamkeit vermittelt und am Ende 20 Prozent Energie eingespart hat. Selbstwirksamkeit ist ganz generell eine wesentliche Quelle der Zuversicht.

Für eine Studie zur Bedeutung des Ehrenamts haben wir mit zwei Gruppen von Menschen gesprochen: solchen, die sich ehrenamtlich engagieren, und solchen, die das nicht tun. Ein zentraler Befund: Menschen mit Ehrenamt sind zuversichtlicher. Selbst wenn sie in Sozialstationen, Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen mit existenziellem Elend, Not und Tod konfrontiert sind, macht das Gefühl sie stark: Das gehört zum Leben, davor muss man keine Angst haben. Wenn man sich so dem Leben mit seiner Schicksalhaftigkeit und seinen Wechselfällen stellt, erwächst daraus der Optimismus, dass es weitergeht, dass es wieder gut werden kann.

Aufgezeichnet von Joachim Frank