Welche nationalsozialistischen Entscheidungen im Karneval nach dem Zweiten Weltkrieg revidiert wurden – und welche unangetastet blieben.
Kölner KarnevalWarum es in 200 Jahren nur zwei weibliche Jungfrauen gab
Peter Hubert Schupp, 1938 Prinz im Dreigestirn, schmollte. Ausgerechnet er, ein erfahrener Karnevalist aus der Karnevalsgesellschaft Treuer Husar, sollte gemeinsam mit Bauer Johannes Wiesbaum, Kommandant der Roten Funken, zum ersten Mal in der Geschichte des Kölner Karnevals mit einer weiblichen Jungfrau durch die Session ziehen. Eine Frau im Dreigestirn? Was sollte das? Das muss für Schupp, Besitzer einer Bananenreiferei, höchst befremdlich gewesen sein. Verkörperte er doch selber bis 1930 die Rolle des Tanzmariechens in seiner Gesellschaft.
Im Karneval gaben seit der Neuordnung des vaterstädtischen Festes 1823 ausschließlich Männer den Ton an. Die Jungfrau war beileibe nicht die einzige Rolle, in der Herren als Damen auftraten. Büttenredner gingen als Marktweiber oder Putzfrauen auf die Bühne, bei den Tanzpaaren der Gesellschaften drehten sich zwei Männer im Kreis. Schien niemanden zu stören. Bis 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Ihnen waren Männer im Rock und Kleid ein Dorn im Auge. Nicht etwa, weil sie die Stellung der Frauen im Karneval stärken wollten.
Kölner Nationalsozialisten wollten echte Frauen in der Rolle
Die Nationalsozialisten witterten in den falsch besetzen Rollen Ungeheuerliches. Wenn sich stark geschminkte Männer in Frauenkleidern öffentlich zur Schau stellten, leistete das in ihrer Vorstellung doch unweigerlich der Homosexualität Vorschub. Im nationalsozialistischen Kreuzzug gegen schwule Männer mussten im Karneval echte Frauen die Frauenrollen übernehmen. Ab 1936 traten nur noch gemischte Tanzpaare auf.
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1938 gab es dann die erste weibliche Jungfrau im Kölner Dreigestirn. Der Kölner NS-Oberbürgermeister Karl Georg Schmidt dichtete bei der Proklamation im Gürzenich: „Vielholde Jungfrau, Zierde aller Frauen, du bist in Wahrheit lieblich anzuschauen, denn diesmal bist du kein verkappter Mann, solch Schönheit nur die Frau uns schenken kann.“ Prinz Peter Hubert I. scheint während der Session für ihre Lieblichkeit trotz deren Schönheit wenig Sympathie gehegt zu haben.
Skurriler Eintrag in Kölner Firmenchronik
Hinter vorgehaltener Hand hieß es: „Er ist auf den Applaus, den man ihr zollt, eifersüchtig.“ Die Wahl von Vertretern des Festausschusses Kölner Karneval mit Präsident Thomas Liessem an der Spitze und der deutschen Arbeitsfront fiel auf die 20 Jahre alte Paula Zapf. Sie arbeitete bei der Bekleidungsfirma Bierbaum-Proenen. Der Betrieb feierte in dem Jahr Jubiläum, sie bestand seit 125 Jahren. In der Firmenchronik liest sich die Jungfrauengeschichte etwas skurril.
„In der Session 1938 konnte die Firmenleitung geschickt das eigene Unternehmen in Szene setzen und gleichzeitig die örtliche NSDAP aus einer argen Kalamität befreien. Nach kölnischer Tradition setzt sich das närrische Dreigestirn ausschließlich aus Männern zusammen, einschließlich der Figur der Jungfrau. In ihrem Kampf gegen die Homosexualität wollte die Partei das ändern: Festausschuss-Präsident Thomas Liessem wurde von Gauleiter Grohé angewiesen, diese Rolle mit einer Frau zu besetzen. Und die größte Auswahl an jungen, schlagfertigen und gut aussehenden Mädchen bot in Köln nun einmal Bierbaum-Proenen. (…) Jedenfalls konnte man ein Mädchen aus dem Volk präsentieren und damit eine Gemeinschaft beschwören, in der die einfache Arbeiterin aus der Hemdenausgabe eines Bekleidungswerks in solche Höhen aufsteigen konnte.“
Kölner Karneval fiel im Zweiten Weltkrieg zunächst aus
Die Firmenleitung berichtete stolz, dass sie für die aufwändige Ausstattung, „im Gegenwert von zirka vier Jahreslöhnen!“ und alle weiteren Auslagen der Jungfrau aufgekommen sei. Paula Zapf soll „überglücklich“ über die Rolle gewesen sein und „ihrem Betrieb alle Ehre“ gemacht haben. Dagegen musste ihre Nachfolgerin im Jahr darauf, Else Horion, überredet werden, die Rolle der Jungfrau zu übernehmen. Sie soll zunächst wenig Lust auf das Amt verspürt haben. 1939 arbeiteten die „jungen, schlagfertigen und gut aussehenden Mädchen“ offenbar im Severinsviertel bei der Schokoladenfabrik Stollwerck.
Die 23 Jahre alte Else Horion war Kindergärtnerin im Werkskindergarten von Stollwerck. 1940 sollte es mit Elfriede Figge erneut eine weibliche Jungfrau geben. Die 19-Jährige war kaufmännische Angestellte bei der Westdeutschen Handelsgesellschaft. Der Karneval fiel allerdings nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im September 1939 aus. Das „inoffizielle“ Dreigestirn bestand neben der Jungfrau aus dem Prinzen Peter Beu und dem Bauern Christian Massong, beide aus der Prinzen-Garde. Nur einen einzigen Abend lang und ganz heimlich regierte das Trio eine kleine Schar von Jecken.
Nach dem Dritten Reich: Rückkehr zu Männer-Besetzung
Am Karnevalssonntag, 4. Februar, traf man sich mit Mitgliedern der Prinzen-Garde auf der Kegelbahn des „Charlott Cherie“ an der Brückenstraße zu einer improvisierten Feier. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bildeten Prinz Theo Röhrig, Mitglied der Großen Kölner, Bauer Andreas Müller von den Lyskircher Junge und Fritz Reulen von der Ehrengarde als Jungfrau das Dreigestirn. Dass die Rolle der Jungfrau wieder mit einem Mann besetzt war, wurde mit dem Argument erklärt: Das ist Tradition, die die Nationalsozialisten beschädigt haben, das muss revidiert werden. Andere nationalsozialistische Neuerungen blieben dagegen unangetastet.
Die Nationalsozialisten führten 1936 die Prinzenproklamation mit Pomp und Prunk ein, die ist geblieben. Die Tanzpaare der Traditionskorps bestehen aus Mann und Frau, ein männliches Tanzmariechen gibt es nur bei der „1. Damengarde Coeln“ und im „Boore-Schnäuzer-Ballett“ der KG UHU in Dellbrück. Für die beiden bislang einzigen weiblichen Jungfrauen in einem Kölner Dreigestirn wurde es nach ihren närrischen Amtszeiten still. Paula Zapf und Else Horion konnten später keiner Karnervalsgesellschaft beitreten. Auch in die Traditionsgemeinschaft ehemaliger Prinzen, Bauern und Jungfrauen, gegründet 1928, wurden die beiden Damen nicht aufgenommen.