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Brings im Interview„Straßenkarneval ist Anarchie und unkontrollierbar“

Lesezeit 8 Minuten
Peter und Stefan Brings

Peter und Stephan Brings beim Gespräch in der Redaktion. 

  1. Neue Karnevalsevents von kommerziellen Veranstaltern finden statt, Sitzungen der ehrenamtlichen Karnevalsvereine hingegen nicht.
  2. Peter und Stephan Brings erzählen im Interview, warum sie im Gegensatz zu vielen anderen Bands dort nicht auftreten.
  3. Sie erklären, was das mit Solidarität zu tun hat und warum man den Straßenkarneval nicht kontrollieren kann.

Köln Peter, Stephan, was wird in diesem Jahr mit dem Straßenkarneval?Stephan Brings: Der wird stattfinden.Peter Brings: Wir sind Kinder des Straßenkarnevals. Weiberfastnacht war für uns der höchste Feiertag. Das haben wir von unserer Mutter gelernt. Die ist da losgezogen und hat richtig Gas gegeben. Auch wenn sie zu Hause gepennt hat – gefühlt war sie weg bis Aschermittwoch. Straßenkarneval ist Anarchie und nicht zu kontrollieren. Er kann nicht komplett verboten werden, weil er die Seele des Ganzen ist.

Stephan: Das Land und die Stadt Köln werden sich sicher noch Regeln ausdenken. Echte Lockerungen würden sie am liebsten bestimmt erst nach Karneval bekanntgeben. Die Politik muss aber aufpassen, nicht in Erklärungsnot zu kommen. Wieder 10.000 Zuschauer beim Fußball, aber ein Nein zum Kneipen- und Straßenkarneval? Das würde keiner verstehen.

Aber mal ehrlich: So richtig kann man sich Karneval feiern in pickepacke vollen Kneipen nicht vorstellen, oder?

Peter: Ich weiß, wo das Problem liegt: Man hat gelernt, sich das nicht mehr vorstellen zu können. Vor zwei Jahren hätte ich noch gesagt: „Hast du 'ne Macke?“ Jacke aus, Kostüm an und ab dafür. Heute ist es bei doppelt Geimpften und Geboosterten auch gar nicht mehr so sehr die Angst davor, sich zu infizieren, sondern dieser Druck im Nacken, gesellschaftlich geächtet zu werden. Der moralische Druck hat ja auch dafür gesorgt, dass kein Karnevalsverein etwas macht, obwohl der Staat es nicht verboten hat. Aber unter 2G+-Regeln muss man eigentlich feiern können – ganz legal. Und draußen sowieso.

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Brings am 11.11. am Heumarkt zum Sessionsauftakt.

Nach dem freiwilligen Verzicht der Karnevalsgesellschaften auf Sitzungen gibt es jetzt neue Formate von privaten Veranstaltern. Es fällt auf, dass von den Topbands nur Brings und die Höhner nicht dabei sind.

Peter: Wir haben uns entschieden, da nicht zu spielen, aus einem gewissen Solidaritätsgedanken heraus. Wir haben in 20 Jahren Karneval von und mit den Vereinen gelebt. Die haben uns ein Stück weit zu dem gemacht, was wir heute sind. Die Karnevalsvereine haben eine ganz wichtige Funktion! Ein persönliches Beispiel: Meine Tochter ist in einer Tanzgruppe. Die haben trotz Pandemie in den letzten zwei Jahren immer weiter trainiert. Kostenlos, die Trainer machen das ehrenamtlich. Die Kinder freuen sich, dass sie raus können, und der soziale Zusammenhalt ist ganz wichtig. Meine Tochter ist als Frühgeburt ein bisschen gehandicapt. Für sie ist dieser Kontakt mit normal entwickelten Kindern total förderlich. Wir als Band sehen, dass dieses Vereinsleben gerade echt gefährdet ist. Da ist was gewaltig schiefgelaufen.

„Ehrenamtlicher Karneval darf nicht nur kommerzielle Angebote ersetzt werden“

Ganz offensichtlich. Im November haben sich Politik und Karnevalsoffizielle darauf geeinigt, angesichts der bevorstehenden Omikron-Welle alle Sitzungen abzusagen. Jetzt nutzen private Veranstalter diese Lücke. Die Vereine, die das Geld ja für ihr soziales Engagement übers Jahr brauchen, stehen auf dem Schlauch.

Peter: Die Politik muss jetzt Wort halten und die Vereine finanziell entschädigen, alles andere wäre eine Katastrophe. Für viele kleinere Vereine ist ja das Beantragen der Hilfen schon schwierig. Du musst dir das ja so vorstellen: Der Kassenwart, der Hubert, der ist eigentlich Koch oder Bäcker. Wenn solche Leute sich mit so einem behördlichen Kram auseinandersetzen müssen, stehen die erstmal vor einer großen Hürde. Unser Manager Stefan Kleinehr hat da schon vielen geholfen.

Stephan: Ich sehe eine große Gefahr darin, dass das, was bislang Ehrenamtliche für den Karneval geleistet haben, durch kommerzielle Angebote ersetzt wird. Wenn in unserer Marktwirtschaft einer einen Platz frei macht, wo Geld verdient werden kann, ist sofort ein anderer da. Für den Gedanken des Karnevals wäre das extrem schädlich.

Wie groß ist der Schaden denn jetzt schon?

Peter: Wenn neue Formate halbwegs erfolgreich sind, gehen die ja nicht wieder weg. Die Wassermannhalle mit 750 Leuten oder das Zelt im Jugendpark beispielsweise. Und die Zahl derer, die Karneval feiern, ist fix. Also bleibt weniger für die Vereine, je mehr kommerzielle Angebote es gibt.

Also für Brings eine Frage der Solidarität?

Stephan: Ja, wir müssen aufpassen, dass sich durch die Corona-Krisensituation die Dinge im Karneval nicht zum Schlechten verschieben. Es ist ja nicht so, dass wir keine kommerziellen Dinger spielen. „Lachende Arena“ zum Beispiel, das kannst du dir ja gar nicht leisten, da nicht zu spielen, vor 150.000 Leuten jede Session. Aber was da gerade passiert, ist ein unfaires Ding zu Lasten der Vereine. Die Politik hätte das so nicht zulassen dürfen.

Peter: Natürlich sind wir von Brings auch privilegiert, weil wir schon lange dabei sind und nicht um jeden Preis mitmachen müssen. Die haben uns alle angefragt, aber wir haben von Anfang an gesagt, dass wir das nicht machen. Selbst wenn das legitim und legal ist: Moralisch fühlt sich das nicht gut an. Wir wollen den Vereinen nicht in den Arsch treten.

Stephan: Klar, stünde der Vermieter vom Proberaum uns mit der Knarre im Rücken, weil wir die Miete schuldig sind, hätten wir uns vielleicht anders entschieden. Darum von uns auch kein Vorwurf an diejenigen Bands und Künstler, die bei den neuen Formaten mitmachen.

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Peter und Stephan Brings bei einem Konzert in Köln 2020.

Muss in der Konsequenz jetzt also mehr Geld vom Land an die Vereine fließen?

Peter: Auf jeden Fall. Den herben Verlust, wenn Vereine kaputtgehen würden, sehen die da draußen in Düsseldorf noch gar nicht.

Stephan: Da muss man gar nicht rumdrucksen. Staatliche Subvention von Kultur muss auch für den Karneval gelten. Hunderttausende gehen im Rheinland zu einer Karnevalssitzung. Wie viele gehen in die Oper? Karnevalistisches Treiben ist Teil unserer Kultur. Menschen, die ehrenamtlich im Karneval tätig sind, haben das Recht, mit erhobenem Kopf Unterstützung zu verlangen.

Peter: Gelitten unter Corona hat alles, was schön ist. Sport, Clubs, Gastronomie und natürlich die Kultur. Wenn jemand wie Wilfried Schmickler nicht mehr auftreten kann und dadurch stumm gemacht wird, ist das schlimm. Dann werden nämlich die Anderen laut, die ich gar nicht hören will.

„Corona überlagert alles andere“

Was haltet ihr von einer Impfpflicht?

Peter: Ich bin gegen eine Impfpflicht. Das ist etwas, was jeder für sich entscheiden sollte. Ich hatte vor kurzem Corona und habe vier Tage lang flach gelegen mit Fieber und heftigen Kopfschmerzen, selbst der Weg zur Toilette kam einem sehr weit vor. Aber wer weiß, wie es mir gegangen wäre, wenn ich nicht geboostert wäre! So war das wie eine heftige Grippe. Für die Zukunft sind aber viele Fragen offen. Wie oft muss ich mich impfen lassen? Wenn das alle drei Monate wäre, müsste ich neu nachdenken.

Stephan: Was mich nervt, ist, dass das Thema Corona alles andere überlagert. Nehmen wir die Flüchtlingsfrage. Oder die Flutopfer an der Ahr, die immer noch in ihren feuchten Häusern sitzen. Ich bin ja viel in der Eifel. Mein Dorf liegt zum Glück oben am Berg, aber 500 Meter runter, wo die Kyll durch Kall fließt, da sind Menschen gestorben. Da hat es so geregnet an dem Abend, da konntest du nicht Luft holen draußen, da hast du dich verschluckt. Sowas habe ich noch nicht erlebt. Und das wird wieder kommen. Statt über das Klimathema reden wir jetzt über eine Impfpflicht. Einholen wird es uns trotzdem.

„Wir müssen zurück zur Normalität“

Welche Auswirkung hat Corona auf euch als Songwriter?

Stephan: Es ist total schwer, ein Lied zu schreiben, das einfach nur ein Lied ist und nichts damit zu tun hat. Du wirst echt bekloppt. Der Peter spielt mir dann oft was vor, und ich sage: Alter, wenn das vorbei ist, will das aber keiner mehr hören.

Peter: Wir sind viel im Studio und haben jetzt mal das Material gesichtet: In der Zeit haben wir 45 neue Songs geschrieben. Das ist richtig viel, das wären drei Alben. Aber da es nur eins wird, kann man davon ausgehen, dass das richtig gut wird.

Coronafrei?

Peter: Nein, unsere neue Nummer heißt „Scheiß-Corona“. Und „Mer singe Alaaf“ war der Soundtrack zu den letzten beiden Sessionen. Aber in fünf Jahren wird das keiner mehr damit verbinden. Denn die Nummer macht Hoffnung. Ohne großmäulig sein zu wollen: „In unserm Veedel“ war mal ein Protestsong gegen die Nord-Süd-Fahrt und wird heute ganz anders wahrgenommen, als was für die Seele...

…wenn der FC verloren hat…

Stephan: …du meinst, wenn die Südkurve das auf einem Ton singt… (lacht)

Peter: …und ist zur geheimen kölschen Nationalhymne geworden.

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Apropos Hoffnung. Vor etwa einem Jahr haben wir hier gesessen, es gab noch keinen Impfstoff. Bei allen Sorgen: Was stimmt euch zuversichtlich?

Peter: Das war ganz schlimm damals. Lockdown. Aber mit dem Impfstoff kam die Hoffnung zurück. Heute ist mehr Hoffnung, weil wir gelernt haben, mit der Situation zu leben. Die Angst ist gewichen...

Stephan: …und wir sind guter Dinge, dass es einen verträglichen Weg gibt, damit zu leben. Nicht mehr nach Corona, sondern mit Corona. Irgendwann redet da keiner mehr drüber. Über Aids reden wir ja auch nicht mehr, obwohl es noch da ist.

Peter: Wir haben jetzt anderen Wind in den Segeln. Wir müssen zurück zur Normalität. Zu Gemeinsamkeit. Und da sind Loyalität und Solidarität ein wichtiger Baustein, da sind wir uns als Band auch einig.

Wie geht es bei euch weiter?

Stephan: Wir versuchen jetzt, den schon zweimal abgesagten „Tanz in den Mai“ in der Lanxess-Arena zu machen.

Peter: Wenn das fällt mit den Beschränkungen, gehen wir in eine volle Halle. Das wäre mir das Liebste, wenn wir mit einer vernünftigen Veranstaltung und Hoch-die-Tassen zurückkommen. Jojo Berger, der Frontmann von Querbeat, ist ein guter Freund von mir. Die haben das im November gemacht, als das noch ging. Vor 14.000. Das war so wichtig für die Seele der Kapelle. Die Menschen wollen einfach wieder raus. Ich glaube, dass das viele Alleinsein vor allem von Kindern und Jugendlichen einen größeren Schaden in der Gesellschaft hinterlässt, als die Krankheit an sich.