AboAbonnieren

Kasalla-Interview„Ein großer Teil der Kölner wird so was von unfassbar eskalieren“

Lesezeit 8 Minuten

Die kölsche Band Kasalla

  1. Kasalla-Sänger Basti Campmann und Gitarrist Flo Peil sprechen im ausführlichen Interview über zehn Jahre Bandjubiläum, die finanziellen Auswirkungen der Corona-Krise, ihren Blick auf die vergangene Ausnahme-Session und Köln nach der Pandemie.

KölnSie haben im Dezember Ihre Single „Midden im Sturm“ veröffentlicht. Leider befindet sich Köln auch vier Monate später immer noch mitten im Pandemie-Sturm. Wie stark weht Ihnen der Wind auf einer Skala von 1 bis 12 derzeit um die Nase?Bastian Campmann: Ich bin vor allem müde, mitten im Auge des Sturms. Müde und verwirrt von allem, was da beschlossen oder eben nicht beschlossen wird. Ich bin so gar nicht im Kampf-Modus. Das ausführliche Interview mit Kasalla können Sie als kostenlosen Podcast auch hier hören.Florian Peil: Ich habe das Gefühl, dass nicht mehr allzu viele Leute wissen, wo die Reise überhaupt hingehen soll und planlos in der Gegend rumgesegelt wird, um mal bei den Seefahrer-Metaphern zu bleiben. Das Ziel ist in Sicht, ja, aber der Weg dahin verläuft chaotisch. Das verunsichert mich persönlich sehr.

Campmann: Niemand will diese Aufgaben von Jens Spahn oder Angela Merkel gerade haben. Aber wenn sich die Kanzlerin hinstellt und sagt: „Wir versuchen jetzt Brücken zu bauen. Aber wir wissen nicht genau wohin“, dann ist das für mich schon jetzt der Satz des Jahres.

Peil: Warum dürfen Leute in den Flieger nach Mallorca steigen, aber nicht mit dem Wohnmobil nach Bayern fahren? Ich verstehe nicht mehr, was warum und wieso passiert.

Haben Sie im eigenen Umfeld schlimme Corona-Verläufe erlebt?

Campmann: Definitiv. Leichte und schwere Verläufe, sogar einen Todesfall. Umso wütender machen mich Querdenker-Demonstrationen.

Peil: Wir hatten schon am Anfang der Pandemie einen Todesfall in der Familie. Der Ernst der Lage war uns früh bewusst.

Als ein „Leben im Ungefähren“ haben Sie Ihre Situation im April 2020 beschrieben. Wie ungefähr lebt es sich als Band ein Jahr später?

Campmann: Die Unsicherheit ist immer noch da, aber man ist souveräner im Mangel-Management geworden. Wir sind gefasster und machen uns keine übertriebenen Hoffnungen auf eine zeitnahe Rückkehr zur Normalität. Wir gucken langfristig, sehen zu, dass wir Anfang 2022 den Anker irgendwo ausgeworfen kriegen.

Peil: Wir sind trotz Sturm und vielen Löchern in unserem Bug bislang aber erstaunlich gut durchgekommen. Die Autokino-Konzerte Idee der Kollegen von Brings hat sehr geholfen, sich finanziell ein bisschen über Wasser zu halten. Im Sommer gab es Open-Air-Konzerte und dann sogar so etwas wie eine kleine Karnevals-Session. Natürlich ist das wirtschaftlich auch für uns furchtbar, aber wir kommen klar im Gegensatz zu vielen Kollegen, die Einzelkämpfer sind. Wir halten das Schiff irgendwie am Laufen. Das kann natürlich auch nicht ewig so weitergehen.

Campmann: Die November- und Dezemberhilfen sind zwar erst im März gekommen, aber immerhin gekommen. Unsere Kern-Crew ist festangestellt und damit in Kurzarbeit, was alles streckt und weiterlaufen lässt. Wir sparen an vielen Stellen und sind durch gutes Wirtschaften momentan noch nicht in einer akut existentiell bedrohten Situation. Aber das heißt nur, dass der Kopf ein bisschen länger über Wasser bleibt. Wenn das Impfen nicht schnell genug geht oder die Escape-Mutationen kommen und wir sind 2022 da, wo wir jetzt sind, ist bei uns auch der Ofen aus. Punkt.

Was können Sie nach einem Jahr Krise besser als vorher?

Campmann: Wäsche. Ich zerwasche viel weniger Waschteile von Frau und Tochter als vorher, weil ich jetzt genauer die Waschzettel lese. Hört sich sehr profan an, ist mir vorher aber deutlich öfter passiert. Und kochen: Im Winter war ich der Suppenkasper, habe jeden Abend eine Suppe gemacht in einem Gerät, das mit Thermo anfängt.

Peil: Ich habe in der Krise sehr viel gehandwerkt und da ein paar neue Skills entwickelt.

Sie sind beide Väter: Sind die Papa-Qualitäten gestiegen?

Campmann: Die Herausforderung war gerade im ersten Lockdown extrem. Da hat man nochmal einen ganz neuen Blick darauf bekommen, wie wichtig der Job von Erzieherinnen und Erziehern ist. Ich spiele jetzt definitiv besser Kaufladen als vor einem Jahr oder auch Spiele wie Lotti Karotti.

Peil: Ich habe deutlich mehr Zeit zuhause verbracht als sonst und viel mehr von den Kindern mitbekommen. Das war zwar auch nicht immer unanstrengend, aber hat uns als Familie zusammengeschweißt und gut getan.

Viele Kinder leiden in der Krise besonders. Haben Sie das auch erlebt?

Campmann: Meine Tochter ist Einzelkind. Als die Kita geschlossen war und es keine Möglichkeit gab, Freundinnen zu treffen, hat man schon gemerkt, dass Papa halt keine Dreijährige ist, auch wenn er sich noch so sehr anstrengt. Die Sehnsucht nach sozialen Kontakten war groß. Man hat gemerkt: Kinder brauchen Kinder

Peil: Für alle ist es doof, aber die Abiturienten tun mir gerade besonders leid. Keinen Abiball, keine Partys, kein Aufbruchs-Gefühl, dass man aus der Schule raus ist und das Leben jetzt anfängt. Für mich war das eine total prägende Zeit. Diese Momente lassen sich nicht nachholen, die sind weg.

Das könnte Sie auch interessieren:

Was können Sie heute schlechter als vor einem Jahr?

Campmann: Texte. Wir spielen einfach zu wenig.

Peil: Ich habe viel Sport gemacht, bis die Fitnessstudios schließen mussten. Früher war ich mehr im Training.

Wie haben Sie Karneval in diesem Jahr erlebt? War das Karneval?

Peil: Es war völlig anders und natürlich war es nicht geil, aber ich fand es doch schön zu sehen, dass man den Karneval nicht kaputt kriegt.

Denken Sie bei Autokino-Konzerten manchmal: Was mache ich hier eigentlich?

Campmann: Definitiv, auch wenn wir total dankbar sind für diese Möglichkeit. Das ist schon eine völlig surreale Konstellation. Nie wieder wird jemand nach der Krise auch nur eine Sekunde darüber nachdenken, ein Autokino-Konzert zu spielen.

Kasalla feiert in diesem Jahr zehnjähriges Jubiläum. Eigentlich. Dieses Jubiläum hatten Sie sich anders vorgestellt, oder?

Peil: Definitiv! Letztes Jahr war ja schon klar, dass unser Stadionkonzert nicht stattfindet, dieses Jahr mussten wir es wieder verschieben. Jetzt haben wir uns für dieses Jahr mit Bleistift ein paar Termine gemacht, um vielleicht doch noch ein wenig Jubiläum zu feiern. Aber leider wissen wir gar nicht, was überhaupt gehen wird.

2022 wird im Stadion dann elfjähriges Jubiläum gefeiert. Für eine Kölner Band doch gar nicht so unpassend.

Campmann: Ich gehe ja davon aus, und das würde ich gerne auch notariell prüfen lassen, dass es unterm Strich das Konzert mit der längsten Vorverkaufsgeschichte weltweit sein wird. 2018 hat der Vorverkauf angefangen für ein Konzert, das 2022 stattfindet, das ist unschlagbar. Damit kämen wir dann ins Guinness-Buch der Rekorde. Das wäre doch super.

In der Krise bleibt mehr Zeit für Kreativität. Theoretisch jedenfalls. Schreiben Sie jetzt ganz viele Songs?

Peil: Für mich ist es eine sehr uninspirierende Zeit. Obwohl ich nicht viele Dinge im Kalender stehen, habe ich mich phasenweise sehr antriebslos gefühlt. Man hängt nur noch zuhause rum und hat kein Ziel mehr, auf das man hinarbeitet.

Immerhin starten Sie mit weiteren Live Konzerten, die ab dem 23. April ausgerechnet in Heinsberg beginnen, dem Ort, an dem sich eine Karnevals-Sitzung 2020 zum Corona-Superspreader-Event entwickelte. Zufall oder Absicht?

Campmann: Das ist natürlich Zufall, obwohl mir das arme Heinsberg auch richtig leid tut. Unser Drummer kommt ja aus Heinsberg. Heinsberg wird jetzt auf ewig mit Corona verknüpft sein. Liebe Grüße an Heinsberg!

Kasalla – Konzerte

Kasalla wurde 2011 von Flo Peil und Bastian Campmann gegründet und zählt zu den erfolgreichsten Kölner Bands. Ab dem 23. April gibt die Band wieder Konzerte in NRW, Auftakt ist in Heinsberg. Für einige Konzerte sind noch Tickets online erhältlich.

kasallamusik.de

»Wir werden es zehnmal so laut krachen lassen wie wir es krachen lassen wollten«, haben Sie für Ihr Stadion-Konzert 2022 angekündigt. Werden wir nach der Krise intensiver leben?

Campmann: Es wird einen Teil der Gesellschaft geben, der in ewiger Vorsicht leben wird, so wie in Teilen der Nachkriegs-Generation. Aber ein großer Teil der Kölner Bevölkerung wird so was von unfassbar eskalieren, wenn irgendwann gesagt wird: Die Grenzen sind offen, so weit ich weiß, gilt das ab sofort. Dann werden sich die Leute in den Kneipen unter die Zapfhähne legen, da bin ich mir sehr sicher.

Auf der Bühne zu stehen wird sich während der Session wie ein Knochenjob angefühlt haben. Werden Sie auch diesen Teil Ihres Berufs nach der Krise mehr zu schätzen wissen?

Peil: Absolut. Es ist einfach so geil, wenn man auf die Bühne geht und 1000 Leute feiern einen ab. Dadurch, dass man es vermisst, weiß man es viel mehr zu schätzen. Man wird aber auch viel mehr zu schätzen wissen, dass man rausgehen und mit einem Kumpel ein Bier trinken gehen kann.

Ein Bier in der Kneipe mit Freunden, das war auch Ihr Traum, als wir vor einem Jahr gesprochen haben, Herr Campmann. Immer noch?

Campmann: Kölsch ist ja nur ein geflügeltes Wort. Es geht nicht um den Alkohol, sondern um die sozialen Kontakte. Die virtuellen Zoom-Treffen sind ja extrem eingeschlafen, da hat keiner mehr Bock drauf. Man muss sich gerade selbst total dazu motivieren, mal wieder die Freunde anzurufen. Diese Nähe vermisse ich. Von daher: Ja, immer noch gleiche Traum. Ich hoffe bloß, dass ich den 2022 nicht immer noch träumen muss.

Das Gespräch führte Sarah Brasack