AboAbonnieren

Wetterdienst-Chef im Interview„Die Wetterlage ist eine klare Folge des Klimawandels“

Lesezeit 4 Minuten
Hochwasser Subbelrather Straße

An der Ecke Subbelrather Straße/Teichstraße hat das Wasser Hauseingänge erreicht.

Essen/Köln – Die starken Regenfälle sind eine eindeutige Folge des Klimawandels und haben mit den üblichen Sommergewittern nichts zu tun, sagt der Diplom-Meteorologe Guido Halbig (62), Leiter des regionalen Klimabüros Essen beim Deutschen Wetterdienst. Er erklärt auch, was Städte und Gemeinden im Rheinland präventiv gegen kommende schwere Wetterlagen unternehmen müssen.

Herr Halbig, warum lassen sich Starkregen und Unwetter so schlecht vorhersagen?

Halbig: Diese Beobachtung ist nicht falsch. Wann ein großes Sturmtief kommt, wissen wir schon zwei Wochen vorher. Auch sehr genau, wo und wann es auftritt. Bei sommerlichen Wettereignissen spielt die Thermik eine große Rolle.

ich_Photo_210112

Meteorologe Guido Halbig

Hitze-Gewitter bilden sich durch das Aufsteigen warmer Luft, die sich dabei abkühlt. Das hängt ab vom Untergrund, von der Zuggeschwindigkeit oder davon, dass sich einzelne Wolken kannibalisieren und dadurch große entstehen. Dadurch entsteht eine riesige Dynamik, die wir maximal eine Stunde vorher erkennen. Aber momentan haben wir keine übliche sommerliche Gewitterlage, sondern eine ganz spezielle Situation.Welche Situation sprechen Sie an?Die aktuelle Wetterlage wird ausgelöst durch den sogenannten Jetstream. Das ist ein Starkwindband in großer Höhe, das in unseren Breiten die Tief- und Hochdruckgebiete normalerweise über uns hinweg lenkt.

Der Jetstream wird angetrieben durch die Temperaturunterschiede zwischen dem Nordpol und dem Äquator. Weil der Nordpolbereich sich in den vergangenen Jahren durch den Klimawandel deutlich schneller erwärmt hat als der Äquatorbereich, ist der Temperaturunterschied kleiner geworden. Dadurch hat sich der Antrieb des Jetstream abgeschwächt.

Was hat das für Folgen?

Er wird langsamer, fängt an zu mäandrieren, bildet also Auswuchtungen. Und er wird zum Teil ortsfest. Momentan liegt über Kanada und den USA eine Hitzewelle, die schon wochenlang anhält. Da transportiert der Jetstream von Süden sehr warme Luft heran. Bei uns ist er genauso ortsfest, schaufelt aber aus Norden ständig kalte Luft heran. So entsteht bei uns dieses ortsfeste Tiefdruckgebiet.

Die Warmluft muss gezwungenermaßen über die ankommende Kaltluft aufsteigen und dann passiert das Gleiche wie bei Gewittern. Nur eben halt stundenlang. Das Tief dreht sich beständig und es regnet tagelang mit hohen Niederschlagsmengen.

Erst am Wochenende wird es sich nach Osten bewegen, weil vom Atlantik ein Hochdruckgebiet kommt. Dann wird sich die Situation entschärfen. Ob das von Bestand ist, muss man noch sehen. Es kann auch sein, dass sich das Hoch schnell wieder abbaut und wir wieder dieselbe Situation bekommen.

Was wir hier jetzt erleben, ist also ein anderes Wetterphänomen als die Starkregen der Vergangenheit?

Ja. Ich erinnere mich noch gut an das Gewitter über Münster vor sieben Jahren mit 292 Litern Regen pro Quadratmeter. Nur in Münster. In einer unverdächtigen Lage, auf dem platten Land. Anderswo in Nordrhein-Westfalen war nichts.

Das könnte Sie auch interessieren:

Das war ein großes Sommergewitter-Cluster und am nächsten Tag vorbei. Typische Sommergewitter treten nach einer Hitzewelle auf. Dann kühlt es häufig ab und das bleibt für ein paar Tage so.

Dieses Tief jetzt ist ortsfest und rotiert ständig über Deutschland. Es bilden sich immer wieder Konvektionszellen, mehr oder weniger regelmäßig angeordnete, manchmal in Satellitenbildern erkennbare wabenförmige Wolkenteile, die zum Teil kurze starke Niederschläge, aber auch dauerhaften Landregen produzieren. Und es kühlt sich auch nicht ab, weil vom Süden ständig warme Luft nachgeschoben wird.

Bereitet Ihnen das Kopfzerbrechen?

Durchaus. Man spricht beim Klimawandel heute von sogenannten Kipppunkten im Klimasystem wie das Abschmelzen des Polar-Eises. Aus meiner Sicht ist die Veränderung des Jetstream auch ein solcher Kipppunkt. Wenn der Klimawandel so weitergeht und sich der Temperaturunterschied zwischen Nordpol und Äquator weiter verringert, werden wir häufiger solche Hitze-Trockensommer haben wie 2018, 2019 und 2020 oder wie jetzt so ein langanhaltendes Niederschlagswetter. Mit beidem müssen wir in Zukunft häufiger rechnen.

Was heißt das?

In den Trockenjahren wird ein Wassermanagement nötig sein, damit die Stauseen nicht austrocknen. In Jahren mit Starkregen brauche ich Wasserspeicher, muss die Flüsse renaturieren, Überflutungsflächen schaffen. Die Städte müssen mehr tun, um starke Niederschlagsereignisse abzupuffern.

Aber wie?

Ein kleines Beispiel. Das Regenwasser auf großen Straßen muss heute direkt in die Kanalisation geleitet werden, weil es sich um Schmutzwasser handelt. Es darf nicht versickern. Aber jeder weiß doch: Wenn es eine Stunde stark regnet, ist der Dreck nach zehn Minuten abgewaschen, so dass das Wasser danach ruhig versickern könnte. Man muss an den Straßen Überflutungsflächen schaffen. Das können Wasserspielplätze oder Tiefgaragen sein, die sich fluten lassen. Das machen die Niederländer schon recht häufig. Das müsste auch bei uns zügig umgesetzt werden.

Hinweis in eigener Sache: Uns ist es wichtig, Sie in dieser Situation vollumfänglich und umfassend zu informieren. Alle Artikel, die unmittelbar mit der verheerenden Unwettersituation in Köln und in der Region zu tun haben, sind daher bis auf Weiteres freigeschaltet.

Wenn Sie unsere Berichterstattung schätzen, freuen wir uns, wenn Sie uns mit einem KStA PLUS-Abo unterstützen. Hier können Sie KStA PLUS drei Monate für drei Euro testen.