In der Serie „50 Meter Köln” erkunden wir ein kleines Kölner Areal wie unter einem Brennglas. Nachbarn, die dem ersten Anschein nach Welten trennen, sprechen über ihren Alltag, die Stadt und ihr Miteinander.
In dieser Folge geht es um die Bonner Straße, wo ein Zierfisch-Händler und ein Sushi-Experte auf sehr unterschiedliche Weise mit den Schuppentieren zu tun haben.
Aus unserer Reihe „Best Of”. Lesen Sie hier weitere Folgen.
Köln – Die Garnelen von Mirco Geyer heißen Red Bee, Galaxy Tiger, White Pearl oder Blue Dream, schwimmen in Aquarien mit gefiltertem und leicht gesalzenem Wasser und kosten zwischen zwei und 200 Euro. Die Garnelen von Sofien Kouraichi und David Keuenhof heißen Ebi Nigiri, liegen kopflos auf lauwarmem Klebereis und kosten 1,90 Euro. Garnelen auf Klebereis und Garnelen im Aquarium sind sozusagen „In“.
Die Süßwassergarnelen haben die Guppys und Schwertträger als Lieblinge der Aquarienfreunde abgelöst, roher Fisch und Krebs mit Reis sind schon lange angesagt. Trotzdem geht es mit den lebenden Garnelen bergab: Zierfischhändler Geyer (46) kämpft mit seinem Laden „Mr. Krabs“ jahrein, jahraus ums Fortbestehen. Mit toten Krustentieren und Fischen geht es bergauf: Die jungen Unternehmer Kouraichi (38) und Keuenhof (34) überlegen, eine vierte Filiale von „Sushi Ninja“ in Mülheim zu eröffnen. Sushi und Sashimi stehen für die neue Südstadt, Neons und Skalare für die alte. Auf der Bonner Straße jenseits der Teutoburger Straße stadtauswärts sind noch beide Seit’ an Seit’ zu finden.
Das Ladenlokal des Zierfischhandels war ursprünglich ein Bestattungsinstitut, später ein KVB-Planungsbüro, vor knapp neun Jahren ist Mirco Geyer mit seinen Fischen, Krebsen, Krabben, Garnelen und Schnecken in die Bonner Straße 58 gezogen. Dielenboden und bemalte Decken sind noch von 1898, für die diffuse Beleuchtung sorgen die Neonröhren der Aquarien. „Das Gute an dem alten Gemäuer ist, dass es hier auch im Hochsommer nie wärmer als 24, 25 Grad wird“, sagt Geyer.
Eine konstante Temperatur sei speziell für die empfindlichen Garnelen wichtig, die inzwischen gut die Hälfte seines Geschäfts ausmachen. Der 46-Jährige züchtet die winzigen Schalentiere im Keller des Hauses, als Garnelenzüchter hat er international einen Namen. Für besonders seltene Varianten der Krustentierchen bieten Garnelenhalter schon mal 200 Euro. Das Geschäft mit Zierfischen ist rückläufig. Geyers größte Konkurrenz ist ein Franchise-Unternehmen mit einer Filiale auf dem Bonner Wall.
Auch der Zeitgeist ist kein Freund der kleinen Fische: Der Internethandel macht Geyer zu schaffen, Guppys zu halten, gilt manchen Großstädtern heutzutage als eher piefig. „Insofern ist die Südstadt auch nicht unbedingt der beste Standort“, sagt Geyer. Zum Glück hat er seine Garnelen mit den exotischen Namen, die nämlich gelten als schick und passen irgendwie zu Geschäften in der Nachbarschaft, die Fette Kuh (Burgerrestaurant), 485 Grad („Nachhaltige Pizza“), oder Einburgerung (noch ein Burgerrestaurant) heißen. „Ohne die Garnelen könnte ich das Geschäft hier nicht halten“, sagt Geyer.
Zugute kommt dem gebürtigen Dortmunder, der 13 Jahre lang als House- und Trance-DJ durch europäische Clubs zog, auch, dass er für Fachwissen und Beratung bekannt ist: „Zu mir kommen viele, die mit ihren Fischen gescheitert sind und einen Neuanfang wollen“, sagt er. Zum Gespräch über Wasser, Pumpe, Futter und Fische gibt es immer einen Kaffee. „Wenn ich allerdings merke, dass die Kunden keine Ahnung haben und auch nicht lernwillig sind, schicke ich sie wieder weg.“
Fragen der Tierhaltung werden wichtiger
Das, sagt Geyer, komme jede Woche vor. Manchmal steht auch ein Eimer mit Zierfischen vor der Ladentür. „Aber solche krassen Fälle sind selten geworden: Die meisten Halter kennen sich inzwischen zum Glück mit ihren Tieren aus.“ Fragen der Tierhaltung und Ästhetik werden wichtiger, das gilt für die Aquariums- wie für Rohfisch-Freunde.
Die Kunden wollen wissen, woher die Tiere kommen, wie sie ein gutes Leben haben – oder ob sie ein gutes Leben hatten.David Keuenhof arbeitet gerade an einer Broschüre, in der detailliert aufgelistet wird, woher die Produkte kommen: die Eier aus Frechen (30000 pro Jahr), die Hühner aus der Eifel, das Gemüse vom Großmarkt, der Lachs aus Schottland, der Reis aus der Provence. Alles, was regional angebaut wird, beziehen Keuenhof und Kouraichi aus der Region. Schon seit sechs Jahren gibt es bei „Sushi Ninja“ keine Plastiktüten mehr – fürs Essen zum Mitnehmen gibt es Papiertüten.
Lachs aus Schottland
Die Stäbchen sind aus Bambus, nicht aus Holz, weil Holz eher splittert. Der Lachs kommt aus Schottland, weil der weniger Fett habe und schöner aussehe als der norwegische. „Die Menschen, die zu uns kommen, sind anspruchsvoll, da müssen wir es auch sein“, sagt Keuenhof. Mit seinem Freund Sofien fliegt er auch nach Japan, Kanada oder London, um sich inspirieren zu lassen.
Die Sushi-Erfolgsgeschichte ist auch die Geschichte eines seltenen sozialen Aufstiegs. Sofien Kouraichi, der „Sushi Ninja“ im Jahr 2009 gegründet hat, kam 1999 nach Köln, nachdem er im tunesischen Mittelmeerort Monastir die Schule abgebrochen hatte. Er wollte eigentlich nur zwei Monate bei seinem Onkel bleiben, aber die Liebe kam ihm dazwischen. Kouraichi lernte Deutsch, arbeitete in verschiedenen Gastronomie-Betrieben, ließ sich von Sushi-Köchen das Handwerk zeigen, übernahm eine Filiale des heutigen Konkurrenten „Bento-Box“ und nahm schließlich einen hohen Kredit mit seinerzeit 14 Prozent Zinsen auf, um sein erstes Geschäft in Lindenthal zu starten.
Zur Eröffnungsfeier kam auch David Keuenhof, der so beeindruckt von dem perfekt gestalteten Laden war, dass er Kouraichi umsonst eine Internetseite designte und sagte: „Wenn Du einen zweiten Laden aufmachst, sag’ bescheid, dann mache ich mit.“ Eineinhalb Jahre später rief Kouraichi an.
Sofien Kouraichi steht fast jeden Morgen ab 3 Uhr in der Früh in der Küche, um Lachse, Tintenfische, Garnelen und Königskrabben entgegenzunehmen, Soßen zu mischen, japanische Omeletts und Sesamdressings zuzubereiten. Mit inzwischen 113 Mitarbeitern (die meisten sind Aushilfen) verarbeitet der 38-Jährige in drei Filialen 200 Kilo Lachs, 70 Kilo Thunfisch und 500 Kilo Reis pro Woche. „Er ist der fleißigste Mensch der Welt“, sagt David Keuenhof. „Man darf sich nicht ausruhen“, sagt Kouraichi. Das Firmenlogo mit dem Ninja ist dank der kleinen Firmenautos inzwischen in der Stadt bekannt, das Design der Läden ist klar, hell und in schwarz-weiß gehalten, in der Südstadt wirft ein Beamer Instagram-Fotos der Kunden an die Wand.
Vegane Gerichte stehen auch auf der Speisekarte
Es gibt vegane Gerichte, ein Problem sei das Gluten, sagt Keuenhof, immer mehr Menschen klagten über Glutenunverträglichkeit, deswegen haben sie inzwischen glutenfreie Sojasoßen. Gelegentlich fragt eine Schwangere nach einem frisch desinfizierten Messer und Brett für die Zubereitung der Fische. Wie gesagt: der Südstadt-Kunde ist anspruchsvoll.
Mirco Geyer ist ebenfalls anspruchsvoll, bloß gibt es hier auch mal ein Zigarettchen zum Gratis-Kaffee. Und wenn der Kunde nicht willens erscheint, es seinen Wassertieren recht zu machen, bittet Geyer ihn freundlich an die Luft.