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„Manche sind ziemlich tief unten”Wo Kölner Polizisten und Obdachlose Nachbarn sind

Lesezeit 6 Minuten

Auf der Alfred-Schütte-Allee in Deutz treffen Gegensätze aufeinander.

  1. In der Serie „50 Meter Köln” erkunden wir ein kleines Kölner Areal wie unter einem Brennglas. Nachbarn, die dem ersten Anschein nach Welten trennen, sprechen über ihren Alltag, die Stadt und ihr Miteinander.
  2. In dieser Folge: Auf der Alfred-Schütte-Allee direkt an der Deutzer Drehbrücke sind Obdachlose und Wasserschutzpolizei Nachbarn.
  3. Aus unserer Reihe „Best Of”. Lesen Sie hier weitere Folgen.

Deutz – An der Alfred-Schütte-Allee 2-4 in Deutz steht ein weißes Haus mit dünnen Wänden, kaum mehr als eine Baracke. Im Erdgeschoss befindet sich der Obdachlosentreff Oase, im ersten Stock die Dienststelle der Kölner Wasserschutzpolizei. Kersten Klophaus, den Leiter der Wasserschutzpolizei, und Detlev Schlichting, der ehrenamtlich für die Oase arbeitet, trennt nur eine Decke. Wenn Schlichting unten Essen ausgibt, riecht Klophaus, was es gibt.

Anfangs, sagt Klophaus, seien einige Kollegen skeptisch gewesen: Eine Niederlassung in einem Haus mit Obdachlosen, von denen viele Alkohol- und Drogenprobleme haben und manche von der Polizei gesucht werden, das passte doch nicht. Es könnte dem Ansehen der Behörde schaden, Ärger sei programmiert. Das war vor bald 20 Jahren, als man einzog. Die Bedenken haben sich lange zerstreut.

Best-Of-Artikel

Dieser Artikel ist im Juni 2017 im „Kölner Stadt-Anzeiger” erschienen. Im Rahmen unserer „Best Of”-Reihe veröffentlichen wir regelmäßig interessante Texte aus unserem Archiv.

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Man grüßt sich und ist nett zueinander, hilft mal mit Absperrband beim Sommerfest oder nimmt ein Spendenpaket entgegen, wenn die Oase geschlossen hat; „wir haben auch schon mal eingegriffen, als es Ärger gab, aber das ist sehr selten“, sagt Klophaus. Gut, er rieche nicht alles gern, was unten gekocht wird. „Aber dann mache ich einfach das Fenster zu.“

Der Sozialpädagoge des Obdachlosentreffs Oase, Rudolf Fronczek.

Für die Oase, sagt Sozialpädagoge Rudolf Fronczek, wirkten die Polizisten von nebenan „ein bisschen beruhigend“. Ruhig ist es hier ohnehin. Die Menschen gucken auf den Rhein und die Kranhäuser, am Fluss sonnenbaden leicht Bekleidete neben Nackten.

So friedlich die Kulisse, so entspannt geben sich die Protagonisten dieser Nachbarschaftsgeschichte, Klophaus und Schlichting, die sich nur vom Hallo-Sagen kennen und hier nicht verglichen werden sollen – die Lebensläufe sind nur wieder ein schönes Beispiel für die Welten, die in einer Nussschale beziehungsweise einer besseren Baracke Platz finden.

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An Kersten Klophaus ist alles sehr gerade und akkurat: Gang, Blick, Sprache, Uniform, Schnäuzer, Lebenslauf. Auf der Wache in Leichlingen machte er erste Bekanntschaft mit Hühnerdieben, Unfalltoten, frisierten Mofas und gewalttätigen Ehestreits. Nach zwei Jahren ging er zur Hauptwache nach Wermelskirchen, bevor er zur Kölner Reiterstaffel kam, was sich anbot: Klophaus ist leidenschaftlicher Reiter, für die Weltreiterspiele hat er mehrmals die Voltigierwettbewerbe organisiert.

Der Leiter der Wache der Was­ser­schutz­po­li­zei Köln Kersten Klophaus.

1992 wechselte er, weil er „Weiterkommen und etwas Neues erleben wollte“, zur Kölner Wasserschutzpolizei. 2008 übernahm er, weil er „Weiterkommen und noch mal was Neues erleben wollte“, die Leitung der Landesreiterstaffel in Dortmund. Bis die Stelle für die Leitung der Kölner Wache der Wasserschutzpolizei frei wurde. Klophaus hat eine mustergültige Beamtenlaufbahn hingelegt und ist zufrieden damit. Er ruht in sich. Lange hat er „Gelassenheitstrainings für Mensch und Pferd“ gegeben.

Sozialarbeiter tingelte fünd Jahre durch Europa

Detlev Schlichting ist mit seinem beruflichen Werdegang ebenfalls einverstanden, auch wenn der keine gerade Linie kannte. Er hat über 30 Jahre lang Abbrucharbeiten durchgeführt, vornehmlich mit schweren Baggern. Er hat Parkhäuser abgerissen und Golfplätze gebaut, in England, Spanien, Deutschland.

Während ein zahnloser Mann an der Theke der Oase 30 Cent für eine Cola zahlt und nach draußen schlurft, erzählt Schlichting, wie er auf einem Golfplatz die Multimillionäre Rudolf Miele und Reinhard Mohn traf, die mit ihren Elektro-Caddys über ein gesperrtes Feld fuhren. Er sei den Herren nachgelaufen und habe gerufen, sie dürften da nicht drauf, da habe ein Bodyguard sich umgedreht und eine Pistole gezückt – „kurz nach der Oetker-Entführung war das.“

Schlichting ist fünf Jahre durch halb Europa getingelt, immer auf der Suche nach Arbeit. Er hat als Dachdecker, Küchenhilfe, Abfallsortierer und auf Hunderten von Baustellen gearbeitet, manchmal in Hotels geschlafen, manchmal unter Brücken oder auf Campingplätzen. Was er nie gemacht habe, sagt Schlichting und deutet auf einige der Menschen, die Kaffee trinkend ins Irgendwo gucken: „Morgens Wodka trinken und schon um neun Uhr die Straße vermessen.“

Er hat seinen Motorbootführerschein abgeben müssen, drei Ehefrauen verloren und gut fünf Monate auf der Straße geschlafen, sagt der 59-Jährige, er habe nur wenig Kontakt mit seiner Tochter, die Kinderärztin sei und die er mit seiner Geschichte „nicht belästigen“ wolle, aber: „Ich habe immer weitergemacht und mich nie aufgegeben.“

Schlichtling gibt Essen aus – Klophaus hat Vorbesprechung

Jetzt gibt Schlichting in der Oase Essen aus, während Klophaus eine Decke über ihm eine Vorbesprechung für den Einsatz bei den Kölner Lichtern hat und mit den sieben Kollegen spricht, die von der Kölner Wasserschutzpolizei für den G-20-Gipfel in Hamburg abgestellt werden.

Am Morgen mussten sich die Beamten um eine Fahrwassertonne bei Rodenkirchen kümmern, in der Nacht war in der Altstadt ein Angetrunkener in den Rhein gesprungen und geborgen worden, die Kollegen kontrollieren Frachter mit gefährlicher Ladung und Sportbootfahrer, die nicht immer eine Lizenz haben. Wenn ein Badender in einen Strudel gerät, wenn seine Kollegen einen Rettungsring werfen, der Ertrinkende ihn aber nicht erreicht, „dann ist es ein schwerer Job“, sagt Klophaus.

„Man findet Mitleid, aber nie Mitgefühl“

„Es ist verzwickt“, sagt Nina, eine kleine, kurzhaarige Frau im Essraum der Oase. Sie trägt ein Bayernwappen auf dem weißen T-Shirt und spricht fränkisch. Die Behörden hielten sie für verrückt, schon ihre Eltern hätten sie für verrückt gehalten, mit 15 sei sie abgehauen, seitdem schlafe sie lieber draußen als in Unterkünften oder Psychiatrien.

„Man findet Mitleid, aber fast nie Mitgefühl, das ist so diskriminierend“, sagt Nina, „was die Behörden von mir wollen, habe ich nie verstanden, es ist einfach sehr verzwickt, ich komme da irgendwie nicht mehr raus.“ Sie würde ihr Leben gern noch mal von vorn anfangen, sagt Nina. Sie fragt, was wir noch vorhätten, „ach natürlich, Termine, Termine“, sie nimmt ihre Plastiktüten und geht. „Manche Leute hier sind ziemlich tief unten“, sagt Detlev Schlichting.

Das Haus soll abgerissen werden

Er selbst hat seit einer Woche wieder eine Wohnung: Als er aus Wilhelmshaven zurückkam nach Köln (weil die Zeitarbeitsfirma ihn dort nicht weiterbeschäftigen konnte), schlief er 13 Wochen unter der Zoobrücke. Er ging zur Oase, das Team half ihm, eine Wohnung zu finden. Jetzt hilft er ehrenamtlich beim Service.

„Die Menschen hier sind dankbar“, sagt er, „man plaudert ein bisschen, und nachmittags fahre ich nach Hause, mache mir einen Kaffee, rauche ein Zigarettchen und genieße die Ruhe.“ An einen neuen Job als Baumaschinenfacharbeiter glaubt er nicht: „Dafür bin ich mit 59 zu alt“, sagt er, „ich habe auch keinen Führerschein für die Maschinen, früher hat das niemand verlangt, heute zahlt das Arbeitsamt das nicht mehr.“

Das weiße Haus an der Alfred-Schütte-Allee 2-4 soll im Zuge der Bebauung des Deutzer Hafens abgerissen werden. An gleicher Stelle ist ein Neubau geplant, in den die Oase und die Wasserschutzpolizei einziehen sollen, so der Plan. Die zwei aufrechten Schnauzbartträger Kersten Klophaus und Detlev Schlichting hätten nichts dagegen.