Nach dem Selbstmord eines Mordverdächtigen spielte dessen Abschiedsbrief nun eine wichtige Rolle im Kölner Landgericht.
„Lynchmob“-Angeklagter beging SuizidAnwalt sieht Wende durch Abschiedsbrief aus der JVA Köln
Kurz vor einem ersten Urteil im Prozess um den sogenannten „Lynchmob“ von Höhenberg hatte sich einer der Angeklagten das Leben genommen. Bei einem Parallelprozess wurde am Montag im Kölner Landgericht ein Abschiedsbrief des Verstorbenen verlesen, den die Staatsanwaltschaft sichergestellt hatte. Der verstorbene JVA-Insasse beteuerte darin seine Unschuld und bat um Gerechtigkeit für seinen ebenfalls beschuldigten Sohn. Dem droht weiterhin lebenslange Haft wegen Mordes.
Köln: Existenz von Abschiedsbrief auf Nachfrage offenbart
Dass ein Abschiedsbrief existiert, offenbarte der Staatsanwalt nur auf die konkrete Nachfrage von Verteidiger Günther J. Teworte. Auch die Vorsitzende Richterin Sabine Kretzschmar wusste nicht von dem Dokument. Er kenne den Inhalt des Briefes nicht, dieser müsse noch übersetzt werden, so der Ankläger. Pragmatisch forderte die Richterin eine Kopie des Abschiedsbriefs ein – damit die im Saal anwesende eine Dolmetscherin für die serbische Sprache diesen direkt übersetzen könne.
„Weint nicht um mich“, heißt es sinngemäß in dem im Gefängnis entstandenen Brief, der sich offenbar an Angehörige richtet, „ihr wisst, dass ich sehr krank bin“. Er sei unschuldig, aber „die Wahrheit“ sei ihm nicht geglaubt worden. Der im Alter von 57 Jahren Verstorbene schrieb, nur zufällig in die Situation geraten zu sein und von einem Mordplan nichts gewusst zu haben. Das gelte auch für seinen Sohn. Drei Personen benannte der Mann als eigentliche Drahtzieher in dem Fall.
Alles zum Thema Amts- und Landgericht Köln
- Alarmierende Zahlen Schaden durch Wirtschaftskriminalität hat sich in NRW verdoppelt
- „Drive-by-Shooting“ in Köln Prozess um Attentat auf Geschäftsmann endet mit Freispruch
- Auf Facebook Richterin und Kollegen beleidigt? Kölner Strafverteidiger landet selbst auf Anklagebank
- Kölner „Heiler“ ist beschuldigt Frau in Pakistan ermordet – Zeugen werden zum Prozess eingeflogen
- Prozess Üble Keilerei in einer Leverkusener Werkstatt
- Fahrraddiebstähle auch in Oberberg Verteidigung übt vor Gericht Kritik am Vorgehen der Polizei
- Gerichtsprozess in Köln Führte falsches „Kuckelkorn-Gerücht“ zum Sturz eines Karnevalspräsidenten?
Anwalt sieht entlastenden Aspekt in Abschiedsbrief
Verteidiger Abdou Gabbar, der einen dritten Beschuldigten vertritt, sieht in dem Abschiedsbrief den Beweis dafür, dass eben nicht alle etwa 30 Angehörige eines Familienclans, die sich am Tatort befunden hatten, in den mutmaßlichen Mordplan eingeweiht gewesen seien. Nur ein enger Kreis von fünf bis acht Männern hätte auf das Opfer eingewirkt. Dieser Kreis sei von Staatsanwalt und Gericht weiter gezogen worden, sodass alle Männer gleicherweise des Mordes schuldig seien.
Ein Überwachungsvideo zeigt, wie die Männer sich teils stundenlang in Höhenberg im Bereich Bamberger Straße aufhalten. Mehrere Täter stürmten dann auf einen Autofahrer zu, zogen diesen aus dem Wagen und verletzten ihn letztlich tödlich. Ausgangspunkt war laut Anklage eine Fehde zweier Familien-Clans. Der Bruder des späteren Opfers soll in der Nacht zuvor über Facebook die andere Familie beleidigt haben. Das Familienoberhaupt der Gegenseite habe Rache geschworen.
Die Theorie der Anklage, dass es den Mordauftrag eben nur eines Familienoberhauptes gegeben habe, sei durch den Abschiedsbrief widerlegt. Dort würden konkrete Namen genannt – eine dieser Personen habe seinen Mandanten sogar bedroht. „Nur durch Zufall“, so Gabbar, habe man von dem aufschlussreichen Abschiedsbrief erfahren, dabei wäre es womöglich die Pflicht des Staatsanwalts gewesen, dies von sich aus preiszugeben. Gabbar nannte das „ein Unding, eine absolute Frechheit“.
Köln: Verteidiger beantragt Freispruch im „Lynchmord“-Prozess
Ein Mordkomplott könne man laut Gabbar nur sehen, wenn man unbedingt verurteilen wolle. Niemand wisse, was die Männer untereinander besprochen hätten. Es mache ihm Angst, dass jemand – wie vom Staatsanwalt gefordert – zu lebenslanger Haft verurteilt werden könne, nur weil er bei einem Tötungsdelikt anwesend gewesen sei. Der Anwalt beantragte Freispruch. Der verstorbene Mitangeklagte hatte geschrieben: „Ich bin beschuldigt für den Mord eines anderen.“
Verteidiger Gabbar kritisierte auch den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Feststellung der „besonderen Schwere der Schuld“. Dann sitzen verurteilte Mörder erfahrungsgemäß noch mehrere Jahre länger in Haft. Am Dienstag will das Kölner Schwurgericht ein erstes Urteil im „Lynchmob“-Komplex sprechen. Eine weitere Entscheidung ist für Mittwoch angekündigt, parallel läuft noch ein weiteres Verfahren. Viele weitere Tatverdächtige befinden sich immer noch auf der Flucht.
Beratung und Seelsorge in schwierigen Situationen
Kontakte | Hier wird Ihnen geholfen Wir gestalten unsere Berichterstattung über Suizide und entsprechende Absichten bewusst zurückhaltend und verzichten, wo es möglich ist, auf Details. Falls Sie sich dennoch betroffen fühlen, lesen Sie bitte weiter: Ihre Gedanken hören nicht auf zu kreisen? Sie befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation und spielen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen? Wenn Sie sich nicht im Familien- oder Freundeskreis Hilfe suchen können oder möchten – hier finden Sie anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote.
Telefonseelsorge – Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de
Kinder- und Jugendtelefon – Das Angebot des Vereins „Nummer gegen Kummer“ richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Am Samstag nehmen die jungen Berater des Teams „Jugendliche beraten Jugendliche“ die Gespräche an. nummergegenkummer.de.
Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention – Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de
Beratung und Hilfe für Frauen – Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Unter der Nummer 08000 116 016 und via Online-Beratung unterstützen werden Betroffene aller Nationalitäten rund um die Uhr anonym und kostenfrei unterstützt.
Psychische Gesundheit – Die Neurologen und Psychiater im Netz empfehlen ebenfalls, in akuten Situationen von Selbst- oder Fremdgefährdung sofort den Rettungsdienst unter 112 anzurufen. Darüber können sich von psychischen Krisen Betroffene unter der bundesweiten Nummer 116117 an den ärztlichen/psychiatrischen Bereitschaftsdienst wenden oder mit ihrem Hausarzt Kontakt aufnehmen. Außerdem gibt es in sehr vielen deutschen Kommunen psychologische Beratungsstellen.