Köln – Thorsten Scheer blickt auf das Rheinufer. Er kennt die Prozedur. Und doch wirkt er angespannt. „Vor einer Stunde waren das noch ein paar Zentimeter weniger“, murmelt der Förster. Dann packt er wieder mit an und hilft, die Campingwagen aus dem Matsch am aufgeweichten Ufer zu befreien. Denn die Wohnwagen müssen weg, zu groß ist die Gefahr, dass das Wasser weiter steigt und den kleinen Campingplatz untergehen lässt.
Thorsten Scheer wohnt schon sein ganzes Leben in Rheinkassel, einer kleinen Ortschaft im Norden Kölns, die besonders nah am Rhein gelegen ist und nicht durch den Deich geschützt wird. „Wenn es Hochwasser gibt, dann kriegen wir das fast immer als Erste ab“, sagt der 47-Jährige.
Ein Wasserstand von 8,40 Metern reicht aus, um das benachbarte Dorf Kasselberg, das aus nur einer Straße besteht, einzuschließen und in eine Insel zu verwandeln. Auch hier hilft Thorsten Scheer regelmäßig bei Hochwasser. Die Stadt Köln erwartet Anfang kommender Woche bis zu neun Meter.
Pegel steigt weiter
„Die Wasserstände am Ober- und Mittelrhein steigen an – in Köln derzeit etwa zwei bis drei Zentimeter pro Stunde“, sagt Marlene Willkomm, stellvertretende Leiterin der Hochwasserschutzzentrale Köln der Stadt-Entwässerungsbetriebe (Steb).
Am Donnerstag um 11 Uhr wurden 6,90 gemessen, bereits am Donnerstagnachmittag stieg der Rhein bis auf einen Pegel von 7,12 Meter an. Für den heutigen Freitagmorgen haben die Experten einen Rheinwasserstand zwischen 7,45 und 7,65 Meter Kölner Pegel (KP) errechnet. Um 10 Uhr stand der Pegel schon bei 7,42 Meter.
Aufgrund der Wetterlage im gesamten Rhein-Einzugsgebiet und der zu erwartenden Niederschläge werde die steigende Tendenz des Rheinwasserstands in Köln weiter anhalten. „Aktuell gehen wir von einem möglichen Wasserstand in Höhe von 8,50 bis neun Meter KP für Anfang der kommenden Woche aus“, erläutert Willkomm.
Neun Meter Hochwasser bedeuten für die Kasselberger „Land unter“. Die eine Straße, die das Dorf mit den rund 15 Häusern verbindet, ist dann nicht mehr befahrbar, die Anwohner sind abgeschnitten und auf Hilfe und gute Vorbereitung angewiesen. „Am besten kauft man genug Vorräte ein und macht keine Termine aus“, sagt Förster Scheer lächelnd. Danach könne man das Hochwasser nur aussitzen. In seinem Haus hat er die Möbel aus dem Erdgeschoss in die erste Etage geräumt, die Keller müssen die Kasselberger ohnehin abdichten. „Das ist schon immer eine große Aktion, wenn das Wasser kommt“, sagt Scheer. Doch wegziehen will Thorsten Scheer nicht. Auch, weil er gern den anderen hilft, wenn das Wasser kommt.
Etwa Sandra Amabile, die am Donnerstagmorgen mit ihrem Wohnwagen den Kasselberger Campingplatz verlässt. Den Stellplatz hat die 40-Jährige erst seit zwei Jahren. Nervös ist sie wegen des Hochwassers nicht: „Über eine Whatsapp-Gruppe organisieren sich die Camper und teilen sich auch die aktuellen Pegelstände mit“, sagt sie, während ein kleiner Traktor den Camper aus dem Schlamm zieht. So seien sie bestens gewappnet.
Amabile bringt, wie viele andere Camper, ihren Wohnwagen vorübergehend auf einem Parkplatz im benachbarten Rheinkassel unter. Der Parkplatz gehört zum Gelände von Förster Scheer, der hier Weihnachtsbäume aufzieht und verkauft. Er sagt: „Man kennt sich, man hilft sich.“Für übertriebene Aufregung sorgt die auf neun Meter korrigierte Hochwasser-Prognose für den Rheinpegel auch bei den Steb nicht.
„Wenn wir sehen, dass es zu einem Hochwasser kommt, benachrichtigen wir alle zuständigen Ämter und Organisationen – sie alle arbeiten dann einen Alarm- und Einsatzplan aus“, sagt Marlene Willkomm. Auch die Steb haben einen Notfallplan zum Schutz vor Hochwasser – davon spricht man in der Zentrale ab 4,50 Meter – ausgearbeitet, der Willkomm zufolge rund 100 Maßnahmen beinhaltet.
„Aufgrund der langsam steigenden Wasserstände können wir die erforderlichen Schritte planmäßig und mit ausreichender Vorbereitungszeit abwickeln.“ Am heutigen Freitag beginnen ihre Kollegen mit dem Aufbau mobiler Schutzwände, zunächst am Ufer des Marktplatzes in Porz-Zündorf.
Im Kanalnetz wurden ebenfalls bereits Hochwasserschutzmaßnahmen durchgeführt, der Aufbau von Stützen der mobilen Wände in Rodenkirchen wurde bereits einen Tag zuvor erledigt, dort wurden auch die mobilen Verschlüsse für Schutzwände an Häusern angebracht. Der Parkplatz an der Bastei, der Rheinboulevard sowie der Rodenkirchener Leinpfad wurden gesperrt. Auch die Archiv-Baustelle am Waidmarkt wird vorsorglich geräumt, da das Wasser droht, die Grube zu überfluten. Vier der stadtweit insgesamt zwölf Hochwasserpumpwerke der Steb sind in Betrieb.
„Leben steht fast still“
Auch in Kasselberg laufen am Donnerstag weiter die Vorbereitungen. Im Herzen der kleinen Ortschaft liegt die Gaststätte „Zum Gretchen“, die von dicken Betonmauern in Hüfthöhe geschützt wird. Bei Hochwasser lässt sich ein Tor einsetzen, das das Wasser abhält. Dass auch das nicht immer hilft, zeigen kleine Tafeln mit den Rekord-Pegeln neben der Eingangstür der Kneipe. 1995 – 10,69 Meter oder 1993 – 10,63 Meter lassen sich direkt neben dem Schnitzel-Preis der Kneipenkarte ablesen.
Das letzte Mal wurde Kasselberg 2011 so überflutet, dass die Straße nicht nutzbar war. „Dann steht hier das Leben fast still“, sagt Scheer. Darauf stellen sich die Bewohner nun auch wieder ein – und auch wenn die Vorbereitungen getroffen werden, aus der Fassung lässt sich hier kaum jemand bringen. „Gerade hier kennen wir das ja schon seit Jahrzehnten“, sagt auch Erich Bast, der Betreiber des Campingplatzes. Am Donnerstagabend sind die Wohnwagen in Sicherheit gebracht. „Nun können wir nur ausharren.“
Ein Wasserstand über 8,50 Meter wurde zuletzt 2011 mit 8,71 Meter erreicht. Dass der Pegel über die Neun-Meter-Marke kletterte, liegt schon lange zurück. Vor 15 Jahren, also 2003, lag er bei 9,71 Meter. Weil das Wasser langsam steigt, können die Maßnahmen für den Hochwasserschutz planmäßig und mit ausreichender Vorbereitungszeit erfolgen. Der Aufbau der mobilen Wände im Bereich des Marktplatzes von Porz-Zündorf wird am Freitag erfolgen.
Regelmäßig aktualisierte Hochwasserstände und Wasserstandsvorhersagen gibt das Hochwassertelefon der Stadtentwässerungsbetriebe Köln unter 0221/221-26161 und auf der Internetseite unter www.steb-koeln.de.