Köln – Um kurz vor 11 Uhr beginnt sich Helga Saget zu fragen, warum sie nicht Briefwahl beantragt hat. Das sei doch viel bequemer, stellt die 76-Jährige fest, als sie vor dem Wahllokal im Deutzer Gymnasium Thusneldastraße in einer kleinen Schlange darauf wartet, ihre Stimmzettel in die Urne werfen zu können. In ausreichendem Abstand zu den anderen Wartenden natürlich und mit Mund-Nase-Schutz im Gesicht. Ihre Hörgeräte hat sie dafür zu Hause gelassen: Mit der Maske habe sie schließlich schon genug um die Ohren. Ganz schön lästig sei das alles. Für Helga Saget steht daher fest: „Beim nächsten Mal mache ich auch Briefwahl.“
251197 Kölner hatten bei der Kommunalwahl 2020 Briefwahlunterlagen bestellt, bis 17 Uhr am Sonntag waren davon 220129 Unterlagen zurückgeschickt worden. Zum Vergleich: 2014 waren es nur etwa 140000. Wahlleiterin und Stadtkämmerin Dörte Diemert spricht von einer „Wahl der Rekorde“. Schuld daran ist natürlich Corona, das Virus, das alle Gewohnheiten über den Haufen wirft. 15000 Gesichtsvisiere schaffte die Stadt für die rund 10000 Wahlhelfer an, dazu 7500 Liter Desinfektionsmittel und insgesamt 75000 Masken, um sie bei Bedarf auch an Wähler herausgeben zu können. Wegen der großen Zahl an Briefwählern waren mehr als 900 Helfer zusätzlich im Briefwahlzentrum in der Kölner Messe im Einsatz, auch für die Wahllokale musste mehr Personal rekrutiert werden, um die Corona-Schutzverordnung einzuhalten. Die zusätzlichen Kosten konnte Diemert noch nicht beziffern.
Wähler bringen Stifte mit
Um 10 Uhr wirft auch die 46-Jährige ihre Stimmzettel ein. Ihr Wahllokal befindet sich im Bürgerzentrum Alte Feuerwache im Agnesviertel, wo sie seit zwölf Jahren wohnt. Striche auf dem Boden halten die Menschen auf Abstand, nur acht Personen gleichzeitig dürfen den großen Raum betreten, der für vier Stimmbezirke hergerichtet wurde. Lotsen achten darauf, dass die Maskenpflicht eingehalten wird. Wer den Schutz partout ablehnt, bekommt eine mobile Wahlurne nach draußen gebracht. Am Vormittag hält sich jedoch jeder an die Vorschriften.
„Es klappt, die Leute bringen sogar ihre eigenen Stifte mit“, sagt Wahlvorstand Hagen Ungewitter hinter seinem Visier. Allerdings sei es deutlich ruhiger als in früheren Jahren. Der Briefwahl-Rekord zeigt hier offenbar Wirkung. Neben Hagen Ungewitter sitzt seine Mutter, auch sie hilft ehrenamtlich. Angst vor Ansteckung haben die beiden nicht: „Wenn man sich an die Regeln hält, ist alles okay.“
Markus Alexandru gehört zu denen, die nichts von Briefwahl halten. „Da besteht eine gewisse Manipulationsmöglichkeit, ich fühle mich wohler, ins Wahllokal zu gehen“, sagt er 28-jährige angehende Jurist. Außerdem sei nicht auszuschließen, dass Briefsendungen bei der Post verloren gingen. Was sich in Köln künftig ändern müsse? Generell sei er nicht unzufrieden mit der Kölner Kommunalpolitik. Aber mehr Sicherheit in den Straßenbahnen, auf dem Neumarkt oder dem Ebertplatz wäre schon schön. Christopher Latham kommt aus England und wohnt seit fünf Jahren im Agnesviertel. Seine Motivation, wählen zu gehen: „Ich möchte den Rechten keine Chance geben.“ Für ihn und seine Familie sei Köln eine „tolle Stadt“, solange sie denn weltoffen bleibe.
Am Nachmittag gibt Dörte Diemert im Briefwahlzentrum in der Messe das Startsignal für die vorbereitenden Arbeiten zur Auszählung der Briefwahlstimmen. Auf 36000 Quadratmetern verteilen sich rund 3000 Helfer an Tischgruppen. Bei der letzten Kommunalwahl brauchte die Stadt gerade mal 6000 Quadratmeter. Nun können die nötigen Abstände zwischen den Tischen nur in zwei riesigen Hallen eingehalten werden.
Die älteste Helferin des Tages ist Katharina Wolf, 88 Jahre alt. Seit „zig Jahren“ melde sie sich schon freiwillig, sagt sie: „Gerade in der Corona-Zeit ist das doch eine schöne Abwechslung.“ Um 15 Uhr beginnt Wolf wie alle anderen Helfer, rosafarbene Briefumschläge zu öffnen und die darin enthaltenen Umschläge mit den Stimmzetteln herauszunehmen. Die eigentliche Auszählung beginnt aber erst um 18 Uhr. In einem ganz besonderen Wahljahr.