Das Schmerzensgeld für das Missbrauchsopfer schlägt hohe Wellen. Auch Kardinal Rainer Maria Woelki hat sich nun geäußert.
Missbrauchsopfer gewinnt KlageAus diesem Finanztopf zahlt das Erzbistum Köln die Rekord-Entschädigung
Mit einem bisher einzigartigen Schmerzensgeldurteil zu sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche hat das Kölner Landgericht am Dienstag einem Betroffenen eine Geldsumme von 300.000 Euro zugesprochen. Geklagt hatte der Pastoralreferent und Krankenhausseelsorger Georg Menne (64), der in den 70er Jahren als Messdiener mehr als 300 Mal von einem Priester vergewaltigt und auf andere Weise sexuell missbraucht worden war. Das Erzbistum deutete nun an, das Urteil zu akzeptieren. Die Kölner Entscheidung könnte eine deutschlandweite Signalwirkung entfalten. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten:
Wie geht es im Fall Menne nun juristisch weiter?
Die Entscheidung vom Landgericht Köln ist nicht rechtskräftig. Beide Parteien können das Rechtsmittel der Berufung zum Oberlandesgericht einlegen. Georg Menne ließ sich die Option nach der Verkündung der Entscheidung offen, er hatte ursprünglich 725.000 Euro Schmerzensgeld sowie 80.000 Euro für mögliche künftige Schäden gefordert.
Wie bewertet das Erzbistum das Urteil des Landgerichts?
Das Erzbistum Köln teilte mit, es übernehme für das erlittene Unrecht und Leid institutionelle Mitverantwortung. Deshalb habe Erzbischof Rainer Maria Woelki in dem konkreten Fall auch entschieden, keine Verjährung der in den 70er Jahren begangenen Taten geltend zu machen. Auch wurde die Darstellung Georg Mennes nicht bestritten. So sei der Fortgang des Verfahrens ermöglicht worden. Woelki erklärte: „Ich bin froh und dankbar, dass das Gericht mit seiner Entscheidung zur Klarheit in diesem Fall beigetragen hat.“
Alles zum Thema Rainer Maria Woelki
- Sanierung Gladbacher Stadtkirche feiert Altarweihe mit Erzbischof
- Sanierung Neuer Altar für Gladbacher Stadtkirche St. Laurentius wird geweiht
- Oberlandesgericht Köln Kardinal Woelki steht vor Sieg in Rechtsstreit mit der „Bild“-Zeitung
- Einsegnung „Einmalige Lage in der Gummersbacher Innenstadt“
- Zehn-Jahr-Feier in Siegburg Erzbistum investiert 63,8 Millionen Euro in die Integration
- Peter Krücker geht in Ruhestand Caritas-Chef: „In Köln wird Geld für die falschen Dinge ausgegeben“
- Umstrittene Amtszeit Kardinal Woelki seit zehn Jahren Erzbischof von Köln
Aus welchem Finanztopf soll das Schmerzensgeld gezahlt werden?
„Das Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 Euro wird nicht aus Kirchensteuermitteln, sondern aus einem Sondervermögen des Erzbistums gezahlt“, teilt das Erzbistum Köln auf Anfrage mit. Dieses Sondervermögen, der „Fonds für Bedürfnisse des Bistums“ (BB-Fonds), sei im Wesentlichen durch Abgaben von Klerikern aus vergangenen Jahrzehnten gebildet worden.
Sollte der BB-Fonds ausgeschöpft sein, werde das Erzbistum dennoch weiterhin in der Lage sein, alle nötigen Finanzmittel für die Anerkennung des Leids von Betroffenen zur Verfügung zu stellen. „Hierzu ist auch künftig keine Inanspruchnahme von Kirchensteuermittel vorgesehen“, so eine Sprecherin.
Hat die Kölner Entscheidung auch Auswirkungen auf andere Bistümer?
Die Betroffenenorganisation „Eckiger Tisch“ kommentierte, es gebe nun erstmals ein Urteil eines deutschen Gerichts, das einem Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs durch einen Priester der katholischen Kirche eine Entschädigung in Form eines Schmerzensgelds zuspreche. Dabei werde auch die institutionelle Verantwortung der Kirche für diese Verbrechen berücksichtigt. „Dies ist ein wichtiges Signal für Tausende ähnlich gelagerte Fälle in Deutschland“, so der „Eckige Tisch“. „Die Kirche haftet für die Verbrechen ihrer Priester, Bischöfe und Ordensvorgesetzten.“
Welche Rolle spielt die zivilrechtliche Verjährung?
Es gilt als wahrscheinlich, dass nun auch viele andere Missbrauchsbetroffene den Klageweg beschreiten werden, sodass auf die Kirche hohe Kosten zukommen könnten. Über eine mögliche Verjährung der Ansprüche musste im Fall Menne nicht entschieden werden, da das Erzbistum Köln auf eine entsprechende Einrede verzichtet hatte – hier aber nur „im konkreten Fall“. Es sei alles andere als ein Automatismus, dass auch andere Bistümer dem aktuellen Kölner Beispiel folgten, sagt der renommierte Kirchenrechtler Prof. Thomas Schüller. Andere Diözesen hätten schon geäußert, auf die zivilrechtliche Verjährung bestehen zu wollen, da die finanziellen Mittel der Kirche zu schützen seien. Tatsächlich könne ein kleines Bistum bei Schmerzensgeldzahlungen in dieser Dimension und bei vielen Fällen finanziell ins Wanken geraten, so Schüller.
Was können weitere Kirchen-Opfer sexualisierter Gewalt nun tun?
Die bekannte Kölner Opfer-Anwältin Monika Müller-Laschet rät Betroffenen, eine Opferorganisation aufzusuchen, etwa den „Weißen Ring“. Diese würden für den nötigen rechtlichen Beistand sorgen, eine erste Aussage über die Erfolgsaussichten einer Klage könnte getroffen werden. Es sei längst nicht jeder Betroffene sexualisierter Gewalt in der Lage, den weltlichen Klageweg zu gehen, da die Beweislast beim Kläger liege, warnt der Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, im „WDR“. „Sie müssen die Dinge beweisen, müssen sich quasi komplett offenlegen“, so der Beiratssprecher.
Im Kölner Verfahren sei dem Kläger zugutegekommen, dass das Erzbistum die Vorgänge und Taten von vorneherein bestätigt habe. Grundsätzlich bedeute ein solcher Prozess „eine enorme psychische Belastung“ für den Kläger, sagte Norpoth. Der Betroffenenrat in Aachen appelliert daher an das Bistum, Opfern den Klageweg und eine mögliche erneute Traumatisierung zu ersparen und diese nach der wegweisenden Entscheidung des Kölner Landgerichts endlich angemessen zu entschädigen. (mit dpa, kna)