Köln – Das Erzbistum Köln und seine Ex-Justiziarin haben sich im Streit über die fristlose Kündigung von Kardinal Rainer Woelkis einstiger Top-Juristin und ihre Versetzung in den Ruhestand nicht einigen können. Ein Gütetermin vor dem Kölner Arbeitsgericht scheiterte am Freitag. Es soll nun am 18. Januar 2022 zu einem sogenannten Kammertermin kommen.
In den Darlegungen der Anwälte Stephan Vielmeier als Vertreter der früheren hochrangigen Mitarbeiterin und Wolfgang Glöckner kamen bizarre Details des Konflikts auf den Tisch. So gründet das Erzbistum die am 22. Juli ausgesprochene Kündigung auf die Mitnahme eines Bürostuhls ins Homeoffice in der ersten Welle der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020.
„Stille Messe statt Hochamt"
In einem internen Schriftverkehr hatten Woelkis Generalvikar Markus Hofmann und seine Mitarbeiter als Verhandlungsstrategie vereinbart, vor Gericht eine „Stille Messe statt Hochamt“ abzuhalten, also der Gegenseite und der Öffentlichkeit möglichst wenig Diskussionsstoff zu bieten.
In der Korrespondenz, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt und über die zuerst die „Bild“-Zeitung berichtet hatte, erwägen Hofmann und seine Berater auch, wie sich das Erzbistum rund um die Angabe des Kündigungsgrundes „prozesstaktisch“ am besten verhalten solle. Einbezogen in die Überlegungen war auch Woelkis Medienanwalt Carsten Brennecke.
„Absurder Kündigungsgrund“
Die Taktik der „Stillen Messe“ durchkreuzte Anwalt Vielmeier mit einer ausführlichen Erklärung „zur Sache“. Zu der im Juli dieses Jahres ausgesprochenen Kündigung wegen Mitnahme des Bürostuhls machte er geltend, seine Mandantin habe ihrer Sekretärin einen Vermerk über ihr Vorgehen hinterlassen. „Sie hat nicht Kardinal Woelki persönlich gefragt, wird das aber in Zukunft tun“, fügte er süffisant hinzu. Die Angaben des Erzbistums seien „der absurdeste Kündigungsgrund, den ich in fast 1000 Verfahren gehört habe“.
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Glöckner erwiderte, die Justiziarin müsse gewusst haben, dass sie etwas getan habe, was keinem Mitarbeiter des Erzbistums gestattet gewesen sei. „Es gibt keinen Bürostuhl, der in Corona-Zeiten mit nach Hause genommen werden durfte.“ Der Vermerk für die eigene Sekretärin sei daher ein „Verschleierungsversuch“. Die Ex-Justiziarin habe sich „über alle Regeln hinweggesetzt“ und, statt in ihrer Rolle Vorbild zu sein, ein schlechtes Beispiel gegeben. Zudem sei sie seit Mitte April 2020 krankgeschrieben gewesen und habe den Bürostuhl mithin auch nicht für die Arbeit im Homeoffice gebraucht.
Anwalt spricht von Kampagne
Die auf die Kündigung folgende Versetzung in den Ruhestand nannte Vielmeier den „Schlussstein“ einer über 18 Monate geführten Kampagne des Erzbistums gegen seine Mandantin mit dauerndem Druck wie Abmahnungen und Anweisungen.
Ziel sei es gewesen, die – mittlerweile erkrankte – Angestellte loszuwerden. Das gehe juristisch nicht an, es sei denn, „der Kardinal hätte Sonderkräfte“, befand Vielmeier. Auch das Erzbistum müsse sich ans Gesetz halten.
Beamtenähnliche Regelung im Arbeitsvertrag
Der Streit über diesen Schritt des Arbeitgebers fußt auf einer Besonderheit im Arbeitsvertrag der Ex-Justiziarin, wonach sie als Leiterin der Stabsabteilung Recht in der Bistumsverwaltung wie eine Beamtin zu behandeln ist. Daraus ergibt sich die Frage, ob der Arbeitgeber sie auch – wie eine Beamtin – einseitig in den Ruhestand versetzen kann. Mit beamtenartigen Bezügen würde sie dann allerdings, wie Richter Hans-Stephan Decker anmerkte, „nicht ins Nichts fallen“.
Zur rechtlichen Klärung stehen hier auch die Folgen einer rechtswirksamen Kündigung an, die das Arbeitsverhältnis komplett beendet. Es geht also für beide Seiten um viel. Zusätzlich verlangt die Juristin noch ein Schmerzensgeld von mindestens 50.000 Euro wegen Mobbings und einer von der Bistumsspitze verursachten Traumatisierung.
Mit Missbrauchsfällen befasst
Zur dauerhaften, aber laut amtsärztlichem Attest nicht unumkehrbaren Erkrankung führte Vielmeier aus, seine Mandantin sei von ihrem Arbeitgeber in den seelischen Zusammenbruch getrieben worden, weil sie über viele Jahre ohne jede Begleitung etwa durch eine Supervision zahlreiche Fälle sexuellen Missbrauchs bearbeiten musste und aus Akten und Gesprächen mit „abstoßenden und belastenden“ Details der begangenen Taten an Kindern und Jugendlichen konfrontiert war. Damit habe das Bistum sie allein gelassen.
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Heute leide sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung, führte Anwalt Vielmeier weiter aus. Retraumatisierend habe gewirkt, dass sich die Juristin, statt vom Erzbistum geschont zu werden, den Befragungen durch die Anwälte der Kanzlei Gercke Wollschläger (Köln) stellen musste.
Diese hatte vom Erzbistum den Auftrag, ein Ersatzgutachten zu erstellen, nachdem es eine erste Studie kassiert hatte. Die Interessen seiner Mandantin „waren dem Erzbistum egal“. Das Vorgehen der Gutachter müsse sich das Erzbistum zurechnen lassen. Diese seien „Erfüllungsgehilfen“ – „oder wollen Sie sich nun auch von Gercke distanzieren?“, fragte Vielmeier in Anspielung auf Woelkis vorangegangene Trennung von der mit einem ersten Gutachten beauftragten Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) im vorigen Herbst.
Bistumsanwalt verteidigt Vorgehen
Anwalt Glöckner wollte auch das so nicht stehen lassen. Die Gutachter seien in ihren Befragungen zum Missbrauchsskandals im Erzbistum völlig frei gewesen. Hätten Kardinal Woelki oder seine Mitarbeiter im Fall der Justiziarin zu deren Gunsten Einfluss genommen und ihr eine Befragung erspart, wäre ihnen das als „Vertuschung der Vertuschung“ ausgelegt worden. An der Beauftragung des WSW-Gutachtens sei die Ex-Justiziarin 2019 noch persönlich beteiligt gewesen.
An der Schärfe der Auseinandersetzung, die in Anwesenheit zahlreicher Medienvertreter erkennbar auch für die Öffentlichkeit geführt wurde, ließ sich ablesen, dass es um mehr geht als um Möbel und Mobbing: nämlich um die Art der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals durch Woelki, die ihn im Erzbistum und in der säkularen Öffentlichkeit erheblich in Bedrängnis gebracht und unter anderem zu einer Kirchenaustrittswelle geführt hat.
Gutachten auf Eis gelegt
Wie Woelkis Ende 2020 geschasster früherer Mediendirektor Markus Günther soll sich auch die Ex-Justiziarin für das WSW-Gutachten stark gemacht haben, das vor der zunächst für März 2020 geplanten Veröffentlichung vom Erzbistum überraschend auf Eis gelegt und am Ende gar nicht veröffentlicht wurde. Das Erzbistum machte seinerzeit rechtliche Bedenken und methodische Mängel geltend und gab bei dem Kölner Strafrechtler Björn Gercke ein am 18. März veröffentlichtes Ersatzgutachten in Auftrag.