„Eine Unmenge an Dreck und Fäkalien“ – Ex-Ladenbesitzerin rechnet mit der Karnevals-Partymeile Zülpicher Straße ab.
Straßensperrungen, Fast-Food und Sauf-Trend – darum hat Karin Eisenreich ihren Laden nach 20 Jahren geschlossen.
Köln – Heute treffe ich meine Wahl von hinten. Es ist dieser leuchtend-bunte Schal, an dem sich meine Augen festbeißen. Ich lege einen Schritt zu, um zu schauen, was das für eine Person ist, die mit diesem auffälligen Accessoire versucht, dem tristen Grau des Tages etwas entgegenzusetzen und blicke in das freundlich-offene Gesicht einer älteren Dame. Als wir uns im Café Schmitz gegenübersitzen und Karin Eisenreich zu erzählen beginnt, stellt sich heraus, dass wir uns vor Jahren schon mal begegnet sind.
Damals hatte die 77-Jährige ein Geschäft auf der Zülpicher Straße. Ich erinnere mich, dass mich die Schauspielerin Sybille J. Schedwill (regelmäßig als Pathologin im Dortmunder Tatort zu sehen) im Rahmen eines Veedelsspaziergangs in dieses Lädchen gelotst hat, das Eisenreich 1997 eröffnet und in Anlehnung an die Vornamen ihrer drei Kinder Tatjana, Torsten und Ralf „Tatora“ genannt hat. Ursprünglich hatte es „Kitsch & Kunst“ heißen sollen, aber der Name sei schon vergeben gewesen.
„Nur noch Fastfood-Läden“
Weshalb sie nach 20 Jahren aufgehört habe, frage ich. Mein Gegenüber macht ein vielsagendes Gesicht. Es habe mit der Sperrung der Straße zu tun gehabt, sagt Eisenreich, aber in erster Linie sei es der Tatsache geschuldet gewesen, dass es dort nur noch Fastfood-Läden gebe. Auf dieser Meile gehe es nur ums Trinken beziehungsweise Saufen, und es verkehre ein Publikum, „dass nur noch auf der Straße isst“, entsprechend sehe es dort aus.
Früher habe es dort wenigstens noch ein paar Geschäfte gegeben: „Vorne eine Reinigung, ein kleines Reformhaus, gegenüber noch ein Kräuterhaus und eine Bäckerei. Man merkte zwar so langsam, dass sich was veränderte, aber in den letzten fünf Jahren wurde es richtig schlimm.“
„Richtig schlimm im Sinne von nur noch Partymeile?“, hake ich nach. „Genau, so steht es ja auch im Stadtführer.“
Besonders ungern denkt Eisenreich an die Karnevalstage zurück. „Eine Unmenge an Dreck und Fäkalien. Da kann man kaum drüber sprechen, was sich dort alles abgespielt hat.“ Sie selber habe immer akribisch sämtliche Ritzen abgeklebt, um den Urin nicht auch noch im Laden zu haben. „Und dann blieben die netten Kunden, die man gerne angesprochen hat, natürlich auch weg.
Ein anderes Problem sei der Online-Handel gewesen. „Ich hatte solche Stapel von Paketen in meinem kleinen Fuzzi-Laden“, sagt Eisenreich und macht eine ausladende Armbewegung. Und dann seien die Leute gekommen und hätten sich auch noch beschwert. „Hören Sie mal, ich erwarte ein Paket. Weshalb waren Sie nicht da?“ – Angesichts einer solchen Entwicklung falle es einem immer schwerer, höflich zu bleiben.
Es habe sich so vieles verändert, fährt Eisenreich fort. „Die Menschen sind so roh geworden, und die Gier, immer noch mehr haben zu wollen, ist überall spürbar. Ich liebe meine Stadt. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, und es hat mich nie in eine andere Stadt gezogen.“ Inzwischen, resümiert die 77-Jährige, sei Köln „eine der schmutzigsten Städte, die ich kenne. Und wenn ich 40 Jahre jünger wäre, würde ich weggehen.“
Dieser Text ist in der Reihe „Zwei Kaffee, bitte“ im Lokalteil des „Kölner Stadt-Anzeiger“ erschienen. Dafür lädt Susanne Hengesbach wöchentlich eine fremde Person zum Kaffee und zum Gespräch ein.