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Gratis-Eintritt in Kölner MuseenIst „Kultur für alle“ wirklich eine gute Idee?

Lesezeit 10 Minuten
Museumsbesucher

Öffnet der freie Eintritt die Museen für ein neues, sozial diverses, jüngeres Publikum?

Köln – Die Kunst hat es schwer in diesen Tagen. Der harte Lockdown trifft auch kulturelle Einrichtungen wie die städtischen Museen, deren Besuch nicht möglich ist. Doch der Impfstoff gegen das Coronavirus lässt hoffen, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sich ihre Tore wieder öffnen. Und möglicherweise wird es dann „Eintritt frei“ heißen. Denn eines der ersten Projekte ihrer zweiten Amtszeit, so hatte Oberbürgermeisterin Henriette Reker angekündigt, sollte der freie Zugang zu den Sammlungen der neun städtischen Museen sein.

Klingt wie eine prima Idee. Aber ist sie das wirklich? „Kultur für alle“ ist von jeher die Forderung linker Kulturpolitik nach Teilhabe auch finanziell schwacher Gesellschaftsschichten. „Das Einkommen darf nicht dafür maßgeblich sein, wer am sozialen und kulturellen Leben teilnimmt“, so Reker. Die Frage ist: Öffnet der freie Eintritt die Museen für ein neues, sozial diverses, jüngeres Publikum?

Wie teuer ist es aktuell?

Kostenlosen Museumseintritt haben in Köln bereits alle Kinder bis sechs Jahre, Kölner bis 18 Jahre, Schüler, KölnPass-Inhaber und Geburtstagskinder mit Wohnsitz in Köln. Und an jedem ersten Donnerstag eines Monats ist für alle Kölner der Eintritt sowieso schon gratis.

Alles zum Thema Henriette Reker

Tickets für den Besuch der städtischen Museen Kölns – jedes wird bereits mit schätzungsweise 45 Euro subventioniert – kosten zwischen vier und und elf Euro, wobei für Auszubildende und Studenten Ermäßigungen von bis zu 50 Prozent eingeräumt werden. Damit sind städtische Museum vergleichsweise günstig: Das Schokoladenmuseum kostet Schüler, Auszubildende, Studenten neun Euro; für den Kölner Zoo zahlen Kinder neun, Schüler, Azubis, Studenten 14,50 Euro. Das Phantasialand nimmt regulär 47,50 Euro und gehört damit zu den teuersten, aber insbesondere von jungen Menschen meistbesuchten deutschen Freizeitparks.

Wer öffnet bereits gratis?

Nach Angaben des Berliner Instituts für Museumsforschung konnte 2017 bereits etwa jedes dritte deutsche Museum kostenfrei besucht werden, allerdings waren das meist kleinere Einrichtungen mit weniger als 5000 Besuchern im Jahr: natur- und heimatkundliche Sammlungen, Stadtmuseen, Museen für Brauchtum oder Kulturzentren. Der Landschaftsverband LVR listet 163 Institutionen in NRW mit freiem Eintritt auf seiner Webseite „www.RheinischeMuseen.de“. Rekers Plan ist anderswo schon Realität: In Dortmund ist seit 2019 der Eintritt für Dauerausstellungen der städtischen Museen frei. Die Stadt wertet die Maßnahme als „vollen Erfolg“. Stefan Mühlhofer, Leiter der Kulturbetriebe Dortmund, sagt: „Die Museen sind zu Treffpunkten und zu Orten der Begegnung geworden.“ Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte (MKK) hatte im ersten Halbjahr 2018 in der Dauerausstellung 3028 Besuche, im ersten Halbjahr 2019 waren es 15379. MKK-Direktor Jens Stöcker: „Der freie Eintritt macht neugierig auf mehr, und so werden auch die kostenpflichtigen Angebote wie Führungen oder Workshops stärker frequentiert.“

Museum_Folkwang

Das Essener Folkwang Museum registrierte von Jahr zu Jahr sinkende Besucherzahlen. Seit 2015 lockt der freie Eintritt  fünf Mal so viele  Kinder und Jugendliche wie zuvor. Für jüngere Besucher sei der freie Eintritt besuchsentscheidend. Finanziert werden die Ausfälle von der Krupp-Stiftung mit   300000 Euro.  2021 läuft die Förderung aus. Dann muss die Stadt die Ausfälle begleichen. 

Als Trendsetter in NRW gilt das Essener Folkwang Museum, nach eigenen Angaben das größte deutsche Kunstmuseum, das seit 2015 freien Eintritt in die ständige Sammlung gewährt. Düsseldorf ist zurückhaltender. Seit 2019 ist dort der Sonntag in vielen städtischen Museen frei. Im selben Jahr erhöhte sich dort die Besucherzahl um circa 20 Prozent, sonntags von 16 466 (2018) auf 37 554 (2019).

Auch in München, Stuttgart oder Berlin gibt es solche Gratis-Angebote. Genauso wie über die deutschen Grenzen hinaus. Ob England, Frankreich oder die USA – überall wird eine positive Bilanz gezogen: mehr Besucher, ein sozial breiteres, jüngeres, diverseres Publikum, dazu der Imagegewinn der Museen.

Was sagt die Wissenschaft?

Da überrascht das Fazit der Besucherforschung. Professor Tibor Kliment, Forschungsleiter im Bereich Kultur- und Medienmarketing an der Rheinischen Fachhochschule Köln, sagt: „Ja, der freie Eintritt erhöht das Besucher-Aufkommen stark, aber nur zeitweilig und nur bei großen und bekannten Häusern. Die soziale Öffnung des Museums wird jedoch nur selten erreicht.“

Der Ansturm, so Kliment, ebbe nach einiger Zeit wieder ab – was Marcus Dekiert, Direktor des Wallraf-Richartz-Museum (WRM), bestätigen kann. Am Todestag von Rembrandt habe das WRM im Jahr 2019 freien Eintritt gewährt. „Es kamen mehr als 1200 Besucher, was für unser Haus an einem Brückentag außerhalb von großen Ausstellungen eine sehr gute Marke ist. Aber man darf sich nichts vormachen. Solche Peaks lassen sich nicht dauerhaft erreichen. Besucherzahlen werden wieder sukzessive abnehmen, wenn der freie Eintritt die Regel ist.“

Die statistischen Peaks verdankten sich vor allem dem vermehrten Besuch des klassisch-bildungsbürgerlichen Stammpublikums, meist aus der Stadt und Region, so Kliment. Das mache circa 80 bis 90 Prozent aller Besucher aus. Die Anteile von Schülern, Studierenden, Menschen mit ausländischer Nationalität oder ethnischer Minderheit steigere sich durch den Gratis-Eintritt nur minimal, so das Ergebnis zahlreicher, auch internationaler Studien. Die zeigten unisono, dass unter vielen möglichen Hindernissen zum Museumsbesuch – keine Informationen, Zeitmangel, fehlendes Interesse am Angebot – der Eintrittspreis ganz hinten rangiere. Die Mehrzahl der Besucher würde auch den normalen Eintrittspreis bezahlen. Nur für eine kleine Gruppe sei der Gratiseintritt wirklich besuchsentscheidend. „Für das junge Publikum macht es schon einen Unterschied, ob es zehn Euro bezahlt oder eben nichts“, erklärt Kliment.

Jüdisches Museum Frankfurt

Frankfurt am Main bietet seit 2017 für alle Kinder, Jugendliche, Studierende in der Stadt kostenfreien Eintritt in alle 16 städtischen Museen. Deren Besuche haben sich von 2017 auf 2019 verdoppelt. Seit  Juni gibt es das Ticket „Kufti“ für alle Kinder und Jugendlichen. Damit können sie mehr als  35 Museen der Stadt und den Zoo gratis besuchen.  Außerdem ist der letzte Samstag im Monat für alle Besucher frei.

Aber da ist auch ein ideeller Gewinn für die Museen: „Unsere Untersuchungen zeigen auch, dass sich durch den freien Eintritt die Beziehung der Besucher zum Museum ändert. Der Museumsbesuch wird ein selbstverständlicherer Teil der Freizeitgestaltung, die Beziehung der Besucher zum Museum und zur Kunst intensiviert sich, und auch für die weniger Kulturinteressierten wird das Museum zum Ort des Verweilens.“

Und das ist es, was für einige Kölner Kulturpolitiker zählt. Klaus Schäfer (SPD): „Freier Eintritt bedeutet: Barrieren abbauen, zuerst die im Kopf. Er wird nicht von heute auf morgen das Publikum sozial diversifizieren. Und gratis allein funktioniert nicht. Es gehören viele flankierende Maßnahmen dazu, unter anderem dass die Museen von Schulen aus allen Veedeln besucht werden.“ FDP-Kulturpolitiker Ulrich Wackerhagen hingegen gibt zu bedenken: „Man könnte dann genauso sagen, es müsse freien Eintritt auch für Theater, Oper und Konzerte geben. Wo sind dann die Grenzen?“

Die CDU und die Grünen, die den Oppositionsantrag auf freien Eintritt 2018 noch ablehnten, unterstützen Reker jetzt: „Wir wollen, dass die Menschen in unsere Museen gehen“, so die CDU. „Das ist das gemeinsame Ziel mit der Oberbürgermeisterin. Wenn wir das durch freie Eintritte erreichen können, unterstützen wir dieses Vorhaben sehr gerne.“ Die Grüne Brigitta von Bülow sagt: „Im Rahmen der Budgets sollte der freie Eintritt mitgeplant werden, gegebenenfalls durch Sonderzuwendungen, durch Subventionen im Rahmen von kultureller Bildung, auch die Erhebung freiwilliger Spenden finde ich wichtig.“

Das Nein kommt von der FDP. Ulrich Wackerhagen: „Wir sprechen uns zum jetzigen Zeitpunkt gegen den freien Eintritt aus. Was wir brauchen, ist ein wirksames Konzept, wie wir bildungsferne Schichten in die Museen bringen.“ Landtag und Bundestag hätten sich mit der Frage ausführlich beschäftigt, mit dem Ergebnis, den freien Eintritt nicht empfehlen zu können. Außer einem ersten Effekt werde keine nachhaltige Öffnung des Publikums erreicht. Dazu komme die Frage: „Wie finanzieren wir die Einnahmeausfälle?“

Was kostet freier Eintritt?

Im Oktober 2019 berechnete die Stadtverwaltung, welche finanziellen Auswirkungen der vollständig freie Eintritt in alle städtischen Museen habe. Für die Jahre 2020 und 2021 müssten Ausfälle von jährlich mindestens 4,3 Millionen Euro verbucht werden, wobei große Sonderausstellungen das Minus noch erhöhen würden.

Sonderausstellungen können ohne Einnahmen aus Eintritten nicht finanziert werden, erklärt WRM-Direktor Marcus Dekiert. Leihgaben wie für die am 5. März 2021 startende Ausstellung „Bon Voyage, Signac!“ aus der ganzen Welt nach Köln zu holen sei für das WRM mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden. „Entweder gebe ich den Euro dafür aus, um den Besuchern freien Eintritt zu gewähren oder um damit Ausstellungen zu finanzieren. Das ist eine Grundsatzabwägung.“

Die Kosten allein für die Freistellung der Ständigen Ausstellungen, so die Fraktion der Linken, lägen schätzungsweise bei 3,2 Mio. Euro. Die SPD geht von vier Millionen für 2021 aus. Beide wollen diesen Fehlbetrag zumindest für eine Übergangszeit mit Einnahmen aus der Kulturförderabgabe ausgleichen, die seit 2015 von Übernachtungsgästen in Kölner Hotels und Pensionen erhoben wird. Seit 2019 werden aus diesem Topf bereits die 600000 Euro genommen, um die Einnahmeausfälle für den freien Museumsbesuch der Unter-18-Jährigen oder der Köln-Pass-Inhaber zu finanzieren.

Schlüterhof

Das  Berliner Humboldt Forum im Stadtschloss sollte testweise für drei Jahre eintrittsfrei sein, so der Wunsch von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Der Berliner Senat lehnte das jetzt ab.  Der freie Eintritt gehe  auf Kosten zentraler kulturpolitischer Vorhaben des Landes Berlin, etwa bei den Kinder- und Jugendtheatern, den Aktivitäten der Freien Szene oder der Bezirkskultur.

Klaus Schäfer (SPD) schrecken diese Millionenausfälle nicht ab. „Bei einem Fünf-Milliarden-Haushalt müssen solche Beträge drin sein“, sagt er. Möglicherweise würden die Kosten des freien Eintritts noch durch Personaleinsparungen reduziert. Grundsätzlich gelte: „Die ständigen Ausstellungen sind durch öffentliche Gelder finanziert. Sie gehören der Stadt und damit den Bürgern.“

So sieht es auch Marcus Dekiert: „Ich war immer schon der Überzeugung, dass es richtig ist, die ständige Sammlung freizugeben, auch wenn das Museum dadurch Einnahmen verliert, die kompensiert werden müssen. Das hat nichts mit der Erwartung an höhere Besucherzahlen zu tun. Es ist eine grundsätzliche Überlegung. Eine Sammlung, die sich wie in Köln ganz wesentlich aus Schenkungen und Stiftungen von Bürgern zusammensetzt, sollte der Bürgerschaft auch kostenfrei zugänglich sein.“ Soll also ein bessergestelltes, bildungsbürgerliches Publikum entlastet werden, während es gleichzeitig an Geld für Schulrenovierungen oder Jugendzentren mangelt? „Ich würde beides nicht gegeneinander ausspielen“, erklärt Klaus Schäfer (SPD). Beides sei wichtig „und es ist ja nicht so, dass die Stadt Köln kein Geld hat. Es ist eine Frage der Umverteilung der Mittel.“

Andere Öffnungszeiten?

Der kostenfreie Eintritt am KölnTag, an dem die Museen zudem bis 22 Uhr geöffnet sind, gilt als Publikumserfolg. Im ersten Halbjahr 2019 gab es im Vergleich zum Vorjahr eine Besuchersteigerung um 45 Prozent. Locken längere Öffnungszeiten junge Menschen? WRM-Direktor Dekiert ist da skeptisch. „Als ich hierher kam, hatten wir noch an vier Donnerstagen des Monats bis 22 Uhr auf. Die Besucherzahlen waren ernüchternd. Ich finde es viel wichtiger, schon morgens um 10 Uhr aufzuhaben, statt jeden Abend erst um 21 Uhr zu schließen. Es gibt viel mehr Menschen, die das frühe Angebot mehr schätzen als das späte: Schulklassen, Studenten.“

Längere Öffnungszeiten bringen nicht mehr Besucher und längere Verweildauern als im Normalbetrieb, so Dekiert. Eine Ausnahme seien die großen Sonderausstellungen wie Rembrandt. Museen werden gut besucht, „wenn man ein entsprechendes Angebot dazu macht, Führungen, Podiumsgespräche. Dann kommen die Leute und bleiben auch länger.“

British Museum

Großbritannien gilt als das Land des freien Eintritts par excellence. Das Londoner British Museum, die National Gallery und die ständige Sammlung der Tate Gallery sind seit den 1980er Jahren entgeltfrei.  Die Besucherzahlen stiegen deutlich, ein Zuwachs von zirka 150 Prozent, fast doppelt so viele Angehörige ethnischer Minderheiten und 26 Prozent mehr Menschen aus bildungsfernen Schichten.

So sieht es auch Prof. Kliment: „Längere und spätere Öffnungszeiten bringen nicht viel. Wenn man wirklich neues Publikum erschließen will, dann gibt es andere und bessere Maßnahmen. Dann sollte man das Geld in Vermittlung investieren, in Kommunikation, rausgehen in die Stadt, die Fußgängerzonen, in die Veedel und den Menschen die Schwellenangst nehmen.“ WRM-Direktor Dekiert ergänzt: „Junge Leute wollen speziell adressiert werden durch ein Programm, das sie anspricht.“ Ulrich Wackerhagen (FDP) mahnt vor allem ein verstärktes Köln-Marketing an, aber auch gezielte Preisaktionen und kluge Museumsprogramme für junge Leute.

Museen als Event-Location?

Eine Besucherbefragung in der Tate Modern London ergab, dass rund die Hälfte der Gäste nicht aus Interesse an der Kunst kam, sondern um sich an einem als interessant und angenehm empfundenen Ort mit Freunden zu treffen. Sollten Museen also ein hipper Ort für eine urbane After-work-Gesellschaft sein, eine ständige „Museumsnacht“?

Museen haben einen Kernauftrag, sagt Marcus Dekiert: „Wir wollen keine Party-Location sein, sondern ein Ort, der zur Kunst hinführt. Das Wort Event hört man als Museumsmensch nicht so ganz gerne. Der Event braucht einen anderen Ort. Im Museum steht die Kunst im Zentrum, nicht die Unterhaltung vor der Kunst als Kulisse.“

Louvre_Museum

Der Louvre

Für zielgruppenspezifische Ansprache und Kunstvermittlung ist in Köln der Museumsdienst zuständig. Soll er mehr Programme anbieten, braucht er dafür mehr Mitarbeiter und mehr Geld – was bei freiem Eintritt nicht aus Eintrittseinnahmen finanziert werden könnte. Es gibt noch andere Stellschrauben, die mit wenig Aufwand ähnliche Effekte bringen könnten, so Prof. Kliment. „Warum folgt man nicht dem französischen Vorbild und befreit alle Besucher unter 26 Jahren?“

Die Ursachen des Rückgangs

Der Rückgang der Besucherzahlen in Kölner Museen – 2017 und 2018 waren es noch jeweils über eine Million Besucher – hat andere Ursachen als zu hohe Eintrittspreise oder unattraktive Programme: Museumschließungen wegen Renovierung. Und natürlich hat Corona alles verändert. FDP-Mann Ulrich Wackerhagen mahnt: Die Freie Szene braucht finanzielle Hilfe. „Ich finde nicht, dass wir auf der einen Seite ein Publikum entlasten sollten, das sich den Eintritt leisten kann und will, um dann denen, die dringend Hilfe benötigen zu sagen, wir können das leider nicht stemmen.“