Mehr als 300 Polizeikräfte haben in der Nacht zu Sonntag Hunderte Besucher in den Kölner Ausgehvierteln kontrolliert. Auch Herbert Reul war dabei.
Großkontrollen auf Kölner Ringen„Da bleiben keine Kratzer übrig, sondern Tote“ – Reul geht gegen Waffenbesitzer vor
Der junge Mann in der Jogginghose macht nicht den Eindruck, als sei ihm der prominente Gast bekannt, der da im Anzug über die Kölner Ringe spaziert. Dass er in Duftnähe zu Herbert Reul mit einem Kumpel zudem einen Joint raucht, liegt vielleicht auch daran, dass er die Gruppe von Polizeibeamten nicht oder zu spät gesehen hat, die den Landesinnenminister in dieser Nacht begleiten. „Waaas?! Was ist los, Alter?!“, ruft der Jugendliche wenig später, als er von den Einsatzkräften gefilzt wird.
Was los ist, merken von Samstag auf Sonntag zahlreiche Besucherinnen und Besucher in den Kölner Ausgehvierteln. Mehr als 300 Polizistinnen und Polizisten sind im Einsatz, um verbotene Gegenstände, allen voran Messer, aufzufinden und sicherzustellen.
Party-Hotspots in Köln: Polizei stellt Messer sicher
Besonders die „Brennpunkte“ im Kölner Nachtleben stehen dabei im Fokus, wie es Polizeipräsident Falk Schnabel formuliert, der den Minister begleitet. Dazu zählen neben dem Bereich rund um den Aachener Weiher vor allem die Ringe und die Zülpicher Straße, die beide seit Ende 2021 Waffenverbotszonen sind. Heißt: Neben allen Arten von Schuss- und Schreckschusswaffen dürfen auch Messer mit feststehender oder feststellbarer Klinge über vier Zentimeter nicht mitgeführt werden.
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Nötig geworden sind Schwerpunktkontrollen aus Sicht des Innenministers, nachdem es am Feiertagswochenende vom 28. April bis 1. Mai 2023 in acht NRW-Städten zu Angriffen mit Messern gekommen war, in Leverkusen kam ein 35-Jähriger ums Leben. Am darauf folgenden Wochenende wurde am Kölner Kaiser-Wilhelm-Ring ein 17-Jähriger durch mehrere Stiche lebensgefährlich verletzt. So sind Samstagnacht parallel zu den Kölner Kontrollen auch in Dortmund im Hauptbahnhof sowie in der Düsseldorfer Altstadt mehrere hundert Einsatzkräfte unterwegs.
Nahezu jede oder jeder, der in dieser Nacht in den Kölner Party-Hotspots unterwegs ist und sich auffällig verhält, muss damit rechnen, überprüft zu werden. So auch etliche Fahrradfahrende oder Jugendliche, die nach Mitternacht zu zweit auf einem E-Scooter direkt in die Kontrolle am Rudolfplatz fahren. Als einer der beiden fast eine Minute braucht, bis er seinen Personalausweis aus seinem Portemonnaie gezogen hat, und dabei mehr als undeutlich spricht, macht das die Sache für ihn nicht besser: Eine Waffe hat er nicht dabei, dafür reichlich Alkohol intus.
Bis zum Morgen werden in Köln 652 Personen kontrolliert, acht Messer sichergestellt, in ganz NRW sind es 46, darunter ein Messer mit einer Klingenlänge von 17 Zentimetern. Zudem kommt es in Köln zu mehreren Festnahmen. Zeitgleich sind Einsatzkräfte der Bundespolizei an den Hauptbahnhöfen Aachen, Bonn, Dortmund, Düsseldorf, Köln und Münster anlässlich des Mitführverbotes von Waffen unterwegs, das für das Wochenende per Allgemeinverfügung erlassen worden war. 25 verbotene Gegenstände werden sichergestellt, 40 Straftaten zur Anzeige gebracht und sechs Personen in Gewahrsam genommen.
Innenminister Herbert Reul zieht bereits in der Nacht zuvor ein positives Fazit: „Wir haben erst einmal eine hohe Aufmerksamkeit erreicht. Wir wollen den Leuten eigentlich ja gar nicht die Messer wegnehmen, wir wollen vielmehr, dass sie erst gar nicht mit so einem rumlaufen.“ Durch die Waffenverbotszonen sei eine rechtliche Grundlage geschaffen worden, um besser und gezielt kontrollieren zu können. Aber: „Wir haben das Problem längst noch nicht gelöst. Es ist brandgefährlich, denn an ein Messer kommt jeder ran und in der Regel bleiben da keine Kratzer übrig, sondern Tote. Deswegen müssen wir schauen, mit welchen Methoden wir weiter kommen.“
Dass dies nicht nur durch Polizeikontrollen erreicht werden kann, haben zuletzt erneut Streetworker und Sozialarbeiter betont. Dem schließt sich Polizeipräsident Falk Schnabel an: „Wir sollten alles möglich machen, um die überwiegend jungen Menschen in den Ausgehvierteln dazu zu bringen, dass sie Messer und andere Waffen zu Hause lassen.“ Die Polizeikontrollen sollten einerseits abschrecken, aber „natürlich gehört Prävention dazu“, so Schnabel. „Da sind andere Kräfte eher berufen, als wir von der Polizei.“
Schnabel kann sich zudem eine deutliche Verschärfung der Auflagen für den Waffenbesitz vorstellen. Dies könnte demnächst auch für Bus und Bahn gelten: Wie am Sonntag bekannt wurde, will Bundesinnenministerin Nancy Faeser bei den Ländern ein Messerverbot in Zügen und Bussen anregen. Sie wolle nächste Woche bei der Innenministerkonferenz ein generelles Messerverbot in Zügen und im gesamten öffentlichen Nahverkehr vorschlagen.
Reul hält dies für eine grundsätzlich gute Idee. Es gehe aber darum, ob ein solches Verbot auch umsetzbar sei: „Verbotszonen machen nur Sinn, wenn sie auch kontrolliert werden.“ Dies sei eine gigantische Aufgabe.
Seit 2020 erfasst die Polizeiliche Kriminalstatistik, wie oft bei einer Straftat ein Messer eingesetzt wird. In den ersten drei Monaten dieses Jahres war das in Köln 77 Mal der Fall – im selben Zeitraum voriges Jahr gab es 104 Fälle, und 2021 waren es 99. Im gesamten Vorjahr setzten Straftäter in Köln 470 Mal ein Messer ein, 2021 geschah dies 360 Mal, 2020 insgesamt 462 Mal. Fünf Menschen starben voriges Jahr durch Messerangriffe, drei 2021 und fünf im Jahr 2020.
Doch was genau sich hinter jedem einzelnen Fall verbirgt, sagt diese Statistik nicht – es kann auch ein Diebstahl sein, bei dem der Täter die Plane eines geparkten Lkw mit einem Messer aufgeschlitzt hat. Oder auch allein die Drohung mit einem Messer. Es sind also bei weitem nicht alles überfallartige Messerangriffe auf offener Straße, schon gar nicht auf unbeteiligte Passanten. Letzteres ist sogar die absolute Ausnahme.
Etwas aussagekräftiger ist womöglich die Zahl der Körperverletzungen, bei denen ein Messer eingesetzt wurde. 34 Körperverletzungen durch Messer gab es demnach bis Ende März dieses Jahr, 172 im gesamten Vorjahr, 108 im Jahr 2021, und 185 waren es noch 2020.
„Die Zahl der Messerangriffe ist zwar statistisch gesehen rückläufig“, sagt Polizeipräsident Falk Schnabel. Aber die schwerwiegenden Einzeltaten machten den Menschen Angst. „Die Strategische Fahndung gibt uns die rechtlichen Möglichkeiten, mit denen wir fortan sichtbare Zeichen setzen werden“, sagte Schnabel.
Mit der „Strategischen Fahndung“ darf die Polizei in bestimmten Fällen Menschen auch ohne konkreten Tatverdacht kontrollieren – aber auch das nur dann, wenn es einen konkreten Anlass dafür gibt: zum Beispiel die Personen- und Taschenkontrolle in einer Waffenverbotszone. Schwerpunktaktionen wie am Wochenende auf den Ringen soll es künftig häufiger geben.