Köln – Stephan Behrendt hätte leichtes Spiel, wenn er es drauf anlegen wollte. Hunderte Fahrräder stehen auf dem Albertus-Magnus-Platz vor dem Uni-Hauptgebäude. Und gefühlt jedes zweite ist keineswegs so abgeschlossen, dass ein Profi entnervt das Handtuch werfen würde.
Stephan Behrendt kennt sich aus mit der Sicherung von Fahrrädern, beim Bundesverband des „Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs“ (ADFC) leitet der Kölner den Fachausschuss Technik. Aus seinem Rucksack zieht der 67-Jährige einen kleinen Bolzenschneider und ein 60 Zentimeter langes Exemplar – gängige Werkzeuge für Fahrrad-Diebe.
Wäre Behrendt ein böser Bube, könnte er sofort eines der vielen billigen und falsch angebrachten Schlösser knacken und davonradeln. Die meisten Räder scheinen zwar nicht der Mühe wert zu sein, manche aber schon. Das rund 1500 Euro teure Klapprad mit dem für Diebe sehr günstig angebrachten Gliederschloss zum Falten zum Beispiel wäre ein Kinderspiel für Besitzer von Bolzenschneidern. Aber natürlich ist Behrendt kein böser Bube. Er will nur demonstrieren, wie Diebe arbeiten und wie leicht es ihnen oft gemacht wird.
„100-prozentige Sicherheit gibt es nicht“, sagt Behrendt. „Aber man sollte ein Schloss haben, das mindestens drei Minuten standhält, dann geben die Diebe meistens auf.“ Oftmals reicht es, sein Rad besser zu sichern als das nebenan. Schließlich wollen die Täter so schnell wie möglich ihre Arbeit beenden. Schon die Höhe des Schlosses kann den Unterschied machen.
Je tiefer es sich befindet, desto besser kann der Dieb die Kraft seines Bolzenschneiders entfalten (weitere Tipps im Info-Kasten). Selbst wer diese Regel kennt, kann sie an der Uni kaum umsetzen: Die Abstellanlagen mit hochliegenden Anschluss-Möglichkeiten reichen bei Weitem nicht aus, stattdessen gibt es vor allem tiefe Ständer für das Vorderrad. Manche sind deutlich veraltet.
Etliche Räder sind gar nicht angeschlossen, höchstens abgeschlossen. „Die könnte ich einfach wegtragen und in einen Lieferwagen schaffen“, sagt Behrendt.
In Köln ist das Risiko groß
Das Risiko, in Köln seinen Drahtesel zu verlieren, ist vergleichsweise groß. Die Generali-Versicherung hat 2015 ihre Kunden-Daten ausgewertet. Demnach wird jeder elfte Kölner innerhalb von zehn Jahren Opfer eines Fahrrad-Diebstahls – das Risiko sei damit mehr als doppelt so hoch wie im bundesweiten Durchschnitt.
In Nordrhein-Westfalen führt Köln die Diebstahl-Statistik an. 8015 gestohlene Räder wurden 2016 der Polizei gemeldet, auf Platz zwei und drei folgen Münster mit 5337 Fahrrad-Diebstählen und Düsseldorf mit 3612 Fällen. In Bezug auf die Einwohnerzahlen ergibt sich ein etwas anderes Bild.
Mit 1721 Diebstählen pro 100 000 Einwohner liegt die Radfahrerstadt Münster weit vorn, Köln kommt auf „nur“ 756 Fälle und Düsseldorf auf 590 geklaute Räder. Laut Behrendt dürfte die Dunkelziffer jedoch überall etwa doppelt so hoch liegen. „Viele melden den Diebstahl nicht“, sagt er: „Vor allem, wenn sie keine Versicherung haben.“
Thema wird unterschätzt
Der ADFC-Experte ist sich sicher, dass das Thema Fahrrad-Diebstahl allgemein unterschätzt wird – nicht nur von den Radlern, sondern auch von der Polizei. Die Aufklärungsquote ist in der Tat gering. 2015 wurden in Köln lediglich 392 Diebstähle aufgeklärt, das entsprach einer Quote von 4,88 Prozent. 2016 stieg die Quote nur leicht – von 8015 Diebstählen wurden 440 Fälle aufgeklärt (5,49 Prozent).
„Je mehr Personal, desto höher die Aufklärungsquote“, sagt Polizeisprecher Christoph Schulte. Und derzeit stehe der Fahrrad-Diebstahl eben nicht ganz oben auf der Prioritäten-Liste. „Oft fehlt auch der Ermittlungsansatz“, sagt Schulte. Denn der Eigentümer müsse nachweisen, dass ein wieder aufgetauchtes Rad auch ihm gehört. Ohne Rechnung und Rahmennummer sei dies unmöglich.
Wenn das Diebesgut ins Ausland wandert, hat der Eigentümer erst recht keine Chancen auf ein Wiedersehen. Zwar existiere eine bundesweite Fahndungsdatei für gestohlene Räder, sagt Schulte, eine internationale wie für gestohlene Autos gebe es jedoch nicht. Dass viele geklaute Räder über die Grenzen gehen, vor allem in Richtung Osten, gilt als wahrscheinlich.
Organisierte Banden
„Es gibt Hinweise auf organisierte Kriminalität“, so der Polizeisprecher. Im September 2013 kam die Polizei in Meschenich einer Fahrrad-Hehlerbande auf die Spur, die von Drahtziehern aus der Ukraine gesteuert wurde. Sie hatten Drogenabhängige zum Diebstahl angestiftet und ihnen die geklauten Räder für 25 bis 50 Euro abgekauft. Danach wurden die Räder in Kölner Wohnungen zerlegt und in die Ukraine befördert, wo sie über das Internet angeboten wurden.
Damals hatte die Polizei eine eigene Ermittlungsgruppe „Trekking“ auf den Fall angesetzt, am Ende gingen 21 Bandenmitglieder in Haft, etwa 60 Fahrräder in einem Gesamtwert von 25 000 Euro wurden sichergestellt. Die Gruppe „Trekking“ wurde schon Ende Oktober 2013 wieder aufgelöst: „Eine Ermittlungsgruppe ist sehr personalintensiv, deswegen wird so etwas immer nur zeitweilig gemacht“, so Christoph Schulte.
Derzeit gehörten Fahrrad-Diebstähle zum laufenden Geschäft der Polizei-Inspektionen. Dabei steigen die Fallzahlen stetig. 2010 registrierte die Polizei „nur“ 6172 Fahrrad-Diebstähle – rund 2000 weniger als 2016.
Den letzten größeren Erfolg meldete die Polizei im November 2016. In Höhenberg hatten Beamte einen 36-jährigen überrascht, als der in einer Wohnung das Schloss eines gestohlenen E-Bikes bearbeitete. Der Treffer war reiner Zufall: Ein Zeuge hatte beobachtet, wie der Mann zehn verschlossene Räder aus einem Lieferwagen lud.
Einer Auswertung der Generali-Versicherung von 2015 zufolge liegt der durchschnittliche Schaden in Köln bei einem Fahrradklau bei 454 Euro und damit etwas über dem bundesweiten Durchschnitt von 438 Euro. Die teuersten Räder (im Schnitt 749 Euro) erbeuteten die Diebe in Brauns-feld und Müngersdorf. Das Risiko, Opfer von Fahrrad-Dieben zu werden, ist im Stadtteil Neustadt-Süd am höchsten. Hier wurden 16,8 Prozent der Versicherten binnen zehn Jahren bestohlen, in Nippes waren es 15,6 Prozent. Auch in Marienburg (14,4 Prozent), Sülz (13,1 Prozent), Klettenberg (13,4 Prozent) oder Lindenthal (13,5 Prozent) ist das Risiko groß.
Stabiles Schloss und Personen-Codes – So sichern Sie Ihr Fahrrad
Tipps vom ADFC-Experten:
– Das Rad immer an einem stabilen Gegenstand anschließen, sonst wird es einfach weggetragen
– Nicht das Schloss am Rad anbringen, sondern immer am Rahmen
– Schlösser immer so hoch wie möglich anbringen, damit ein langer Bolzenschneider nicht seine volle Kraft entfalten kann.
– Wer auf Nummer sicher gehen will und zwei Schlösser nutzen möchte, sollte unterschiedliche Modelle verwenden.
Je schwerer ein Schloss, desto schwerer ist es zu knacken. Gute Schlösser kosten etwa 50 Euro je Kilo, sehr gute etwa ab 80 Euro.
GPS-Tracker, mit denen Räder geortet werden können, sieht der ADFC kritisch. „In Tiefgaragen oder Transportern fällt das Signal aus, irgendwann ist auch die Batterie leer. Und wenn man das Glück hat, das Rad in einem Haus oder in einer Garage zu orten, reicht das leider in der Praxis nicht für einen Durchsuchungsbefehl.“
Wer täglich sein Rad für längere Zeit unbeaufsichtigt lässt, sollte ein billiges gebrauchtes Zweitrad als „Bahnhofsgurke“ nehmen.
Zur Identifizierung von gestohlenen Fahrrädern benötigt die Polizei die Rahmennummer, auch die Rechnung ist zum Eigentümer-Nachweis nötig.
Sicherer als die Rahmennummer ist laut ADFC die Codierung des Rads. Eine Graviermaschine verewigt auf dem Rahmen des Fahrrads einen verschlüsselten personenbezogenen Code, der aus einer individuellen Ziffern- und Buchstabenkombination besteht. Sie setzt sich unter anderem zusammen aus dem Autokennzeichen und Gemeindecode des Orts und den Eigentümer-Initialen. „Die Codierung zeigt sofort, wer der Eigentümer des Rads ist“, so der ADFC: „Sie erschwert den Weiterverkauf, insbesondere den über Flohmärkte oder via Internet.“ Codierungen bieten der ADFC, aber auch der ADAC und Fahrradhändler an. (cht)