Das Clifahdd-Syndrom betrifft weltweit etwa 100 Menschen – Henry ist einer. Seine Mutter sagt: „Ich würde mein Kind nie gegen ein anderes eintauschen wollen.“
„Henry ist ein Sonnenschein“Kind mit Clifahdd-Syndrom – Kölner Mutter erzählt aus ihrem Alltag

Eva Karbaumer ist Mutter eines Kindes mit einem extrem seltenen Gen-Defekt, den weltweit nur etwa 100m Menschen haben. Foto: Susanne Hengesbach
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Urlaub ist ein Wort, das fast jeder von uns mit schönen Erinnerungen oder Träumen verbindet. Bei Eva Karbaumer ist das anders. Jede schulfreie Woche, jeder schulfreie Tag bedeutet für die Kölnerin eine besondere Herausforderung, denn sie ist Mutter eines schwerst mehrfach behinderten Kindes.
Starke Entwicklungsverzögerung
Henry, ihr Sohn, habe einen extrem seltenen Gen-Defekt, von dem weltweit nur rund 100 Menschen betroffen seien, erklärt die 48-Jährige. Kennzeichnend für dieses sogenannte Clifahdd-Syndrom sei eine starke Entwicklungsverzögerung, die den heute Neunjährigen körperlich wie auch geistig auf dem Stand eines Anderthalbjährigen bleiben lässt.
„Er kann ein wenig laufen, aber nicht sprechen. Er hat überhaupt kein Gefahrenbewusstsein, man muss ihn also jede Minute im Auge behalten“, erklärt die Kölnerin, als wir uns beim Cappuccino gegenübersitzen.
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Ich begegne Eva Karbaumer vor der Boulangerie Épi auf der Dürener Straße, wo sie sich hin und wieder ein Himbeertörtchen gönnt – allerdings ohne sich ins Café zu setzen. Wie viele andere Schüler hat Henry um 15.30 Uhr Unterrichtsschluss, aber er wird nie ein Kind sein, dem man den Schlüssel mitgibt und sagt: „Mach‘ dir zu Hause schon mal ein Brot, ich komm‘ später.“
Henry besucht LVR-Förderschule in Junkersdorf
Der Neunjährige besucht die LVR Förderschule Belvedere in Junkersdorf. Dass es Einrichtungen wie diese überhaupt gibt, ist für Henrys Eltern ein Segen. Aber sie stehen, wie die meisten anderen Eltern der dortigen Kinder, vor dem großen Problem der fehlenden Ferienbetreuung. In ganz NRW fehle dafür die Finanzierung, was damit zusammenhänge, dass Kinder wie Henry eine wesentlich intensivere Betreuung benötigten, betont Karbaumer. Ihr Sohn müsse an- und ausgezogen und gewickelt werden, und diese Hilfe werde er genauso als 15-Jähriger brauchen.
„Oje“, sage ich, an meine Zeit als Kleinkind-Mutter zurückdenkend, als man an manchen Tagen gewisse Entwicklungsschritte geradezu herbeigesehnt hat. Dann sehe ich das Strahlen in den Augen der Frau mir gegenüber, die versichert: „Ich würde mein Kind nie gegen ein anderes eintauschen wollen. Henry ist ein Sonnenschein, er ist ein total lebensfroher, lustiger, charismatischer kleiner Junge und in der Lage, alle um den Finger zu wickeln.“
Stille bei großem Organ-Screening
Ich frage sie, wann sie von der Behinderung des Jungen erfahren habe, und sie erzählt von jenem für sie schrecklichen Junitag vor zehn Jahren, als der Termin zum großen Organ-Screening anstand und der untersuchende Arzt so bedrückend still wurde. Wenig später erfuhren die werdenden Eltern, dass mit ihrem Kind etwas nicht stimmt, jedoch noch nicht genau was. Das Ehepaar, das lange versucht hatte, ein Baby zu bekommen, musste sich also von der 21. Schwangerschaftswoche an auf alles – auch auf das Schlimmste – einstellen.
Dass sie ihr Kind austragen würde, stand für Eva Karbaumer indes nie in Frage. Gleichwohl habe ihr die Nachricht damals erstmal „den Boden unter den Füßen weggezogen“.
Ich frage Eva Karbaumer, was sie mit ihrem Kind unternehmen kann und was nicht, und schnell wird klar, wie klein der Spielraum für die Familie ist. Um nicht gelangweilt zu sein, was Henry auch nonverbal gut artikulieren könne, brauche er Action. Der Junge hätte am liebsten täglich Rosenmontag oder Konzerte einer kölschen Band, mit Meerblick jedoch könne er wenig anfangen. Strand sei ohnehin schwierig mit Rollstuhl. Genauso wie Spielplätze keine Option darstellten – wegen des Sandes. Das schließe den Kontakt mit anderen Kindern aus. Henry habe in den Ferien praktisch kein soziales Umfeld, sondern nur Mama und Papa, was die Sache manchmal sehr, sehr anstrengend mache.
Pflegenden Eltern fehlt oft die Kraft
Eigentlich müsse man für mehr Betreuungsangebote und für Ferienbetreuungen in der Förderschule auf die Barrikaden gehen! „Und weshalb tut man das nicht?“, frage ich. „Weil pflegende Eltern meist keine Kraft dafür haben“, sagt die Betriebswirtin Karbauer. Sie selber habe ihren Job in der Automobilbranche kündigen müssen, weil der mit behindertem Kind nicht möglich war. Heute versucht sie, über „Belve“, den Förderverein der Schule, Spenden für Ferienbetreuung zu generieren.
„Um zwölf Kinder wie Henry eine Woche zu betreuen, bräuchte man 10.000 Euro.“ Solche Mittel stelle das Land nicht zur Verfügung. „Unser Traum wäre, dass uns eine wohlhabende Person oder ein Unternehmen unterstützt“, sagt die Kölnerin.
Ihr gehe es aber nicht nur um Betreuung, sondern auch um die Bereitstellung von Forschungsgeldern, um mehr über dieses erst im Jahr 2015 entdeckte Clifahdd-Syndrom zu erfahren. Karbaumer engagiert sich dafür, dass es bald auch einen europäischen Ableger der in den USA für Kinder wie Henry gegründeten Stiftung namens Channeling Hope Foundation geben wird.