Im Alter von 13 Jahren gelang Kurt Marx die Flucht aus Köln. Zurück in seiner Geburtsstadt trug er sich in das Gästebuch der Stadt ein.
„Ich hatte großes Glück“85 Jahre nach seiner Flucht wird Kurt Marx im Kölner Rathaus geehrt
85 Jahre ist es her, dass der damals 13-Jährige Kurt Marx seine Geburtsstadt Köln verlassen musste. Als Jude hatten sich seine Lebensbedingungen im nationalsozialistischen Deutschland seit der Machtübernahme Adolf Hitlers im Januar 1933 stetig verschlechtert.
Schließlich war die Reichspogromnacht im November 1938 der entscheidende Auslöser, der Kurt Marx zur Flucht veranlasste: „„Unser Schuldirektor Erich Klibansky meinte, dass wir Juden es hier nicht mehr aushalten können.“ Klibansky hatte einen Kindertransport organisieren können: 20 Mädchen und 20 Jungen der Unterstufe kamen Anfang 1939 nach England. „Am liebsten hätte er die ganze Schule nach England geschickt“, erinnerte sich Kurt Marx im Muschelsaal des Historischen Rathauses am Alten Markt.
Anlässlich seines 99. Geburtstages hatte Oberbürgermeisterin Henriette Reker ihn dorthin eingeladen, um im Gästebuch der Stadt zu unterschreiben. Während seines Aufenthalts in Köln wird Kurt Marx außerdem Vorträge im Friedrich-Wilhelm-Gymnasium und der Gedenkstätte Jawne halten.
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Köln: Kurt Marx trägt sich ins Gästebuch der Stadt Köln ein
„Ich finde es sehr wichtig, dass auch die junge Generation die Chance hat, sich mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen“, sagte Reker. Daher bedankte sich die Oberbürgermeisterin bei Kurt Marx und seinen ihn begleitenden Familienmitgliedern, Sohn Michael sowie Schwiegertochter Frances, für ihren Aufenthalt und lud ein, „im nächsten Jahr unbedingt wieder Köln zu besuchen“.
Lachend und mitunter zuversichtlich ging der 99-Jährige auf das Angebot ein: „Ich hoffe, dass ich das dann noch kann.“ Längere Reisen würden ihm Schwierigkeiten bereiten, berichtete er. „Ich bin in Klettenberg aufgewachsen und hatte Onkel und Tanten in der ganzen Stadt, aber ich war nie ein kölscher Jung‘“, erinnerte sich Kurt Marx. Entscheidend dafür war, dass der 1925 Geborene den Großteil seines Lebens in Deutschland ausschließlich als Ausgegrenzter erfahren hatte: „Die ersten zwei Jahre war ich in Sülz zur Schule gegangen, dann kamen die Hitler-Gesetze und ich musste in die Juden-Schule.“
Die „Juden-Schule“, das war das ehemalige jüdische Reform-Realgymnasium Jawne, in dem sich heute die aktive Gedenkstätte befindet. Marx: „Ich hatte großes Glück, dass ich auf diese Schule gekommen bin. Ohne meinen Schuldirektor wäre ich wahrscheinlich nicht aus Deutschland herausgekommen und wie meine Eltern verendet.“ Im Juni 1942 waren diese in das weißrussische Vernichtungslager Maly Trostinez deportiert worden und dort umgekommen. „Es ist unfassbar, dass niemand etwas von Maly Trostinez weiß, obwohl es das größte Vernichtungslager in ganz Belarus war“, so Marx. Auch er selbst habe erst 1999 von dem Schicksal seiner Eltern erfahren. Seitdem hat er das ehemalige Lager wiederholt aufgesucht.
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im September desselben Jahres kam Marx zu einer englischen Familie auf dem Land. „Das war eine gewaltige Umstellung. Ich kam aus gutem Milieu, wir hatten eine Zentralheizung. Die Arbeiterhäuser in England waren dagegen kalt wie ein Eisschrank. Aber ich gewöhnte mich daran, und die Menschen in England waren hochanständig.“ Marx fand in dem Land auch sein privates Glück, heiratete 1947 und wurde Vater.
Der Gang durch die Kölner Altstadt bei seiner Rückkehr überraschte ihn: „Die Stadt hat sich nicht viel verändert. Ich wusste noch aus meiner Kindheit, wie ich vom Neumarkt zur Jawne komme. Auch die Synagoge ist wieder aufgebaut worden. In der Kristallnacht war sie wie die anderen vollkommen zerstört worden. Damals stieg der Rauch aus den Synagogen auf und die jüdischen Geschäfte waren verwüstet.“
Allerdings gebe es global betrachtet, so Kurt Marx, noch ein andere erschreckende Parallele zu seinen letzten Jugendtagen in Köln: „Ich habe immer gehofft“, berichtete der 99-Jährige, „dass sich etwas grundlegend ändert – aber dem ist nicht so. Der Hass, die Gewalt, der Krieg: Das alles kommt wieder, und zwar überall auf der Welt. Ich kann nur hoffen, dass die jungen Menschen es besser machen. Aber, um ehrlich zu sein, ich glaube nicht daran.“