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Missbrauchsprozess in KölnPriester soll Pflegetochter geschwängert haben

Lesezeit 7 Minuten
Priester Köln Ue

Der angeklagte katholische Priester Hans Ue. (M.) beim Prozess in Köln

Köln/Oberbergischer Kreis – Im Prozess gegen den katholischen Priester Hans Ue. wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen haben sich die Vorwürfe gegen den Angeklagten massiv ausgeweitet.

Die beiden Pflegekinder des Angeklagten belasteten den 70-Jährigen als Zeugen vor dem Kölner Landgericht am Freitag auf das Schwerste. In der Verhandlung berichtete die heute 55 Jahre alte Pflegetochter, die Ue. als Kind zusammen mit einem zwei Jahre älteren Jungen Ende der 70er Jahre aus einem Bonner Kinderheim geholt und in seiner Kaplanswohnung aufgenommen hatte, dass es bei ihr ab dem Alter von etwa zwölf Jahren zunächst zu Berührungen an den Geschlechtsteilen gekommen sei, später auch zur Penetration mit Gegenständen, zu Oralsex, vaginalem Geschlechtsverkehr und in einem Fall zu Analverkehr.

Zeugin soll durch Priester schwanger geworden sein

Die Zeugin schilderte überdies, dass sie zweimal von Ue. schwanger geworden sei, einmal als 15- bis 16-Jährige und dann noch einmal als 18-Jährige. Im ersten Fall sei sich der Schwangerschaft nicht bewusst gewesen. Ue. habe sie zu einem Frauenarzt gebracht mit der Erklärung, es solle über Verhütungsmethoden gesprochen werden. Erst sehr viel später sei ihr klar geworden, dass die an ihr vorgenommene „Untersuchung“ eine Ausschabung gewesen sein müsse. Bei der zweiten Schwangerschaft habe sie Ue. erklärt, dass sie das Kind abtreiben lassen wolle. Das habe Ue. „traurig gefunden“, ihr jedoch die Entscheidung überlassen.

Vorwürfe waren bisher nicht bekannt

Sämtliche Vorwürfe waren bisher nicht bekannt. Der Pflegebruder der Zeugin berichtete, seine Pflegeschwester habe sich auch ihm gegenüber erst vor wenigen Wochen – im Zuge des Prozesstermins – offenbart. Er selbst habe es seinerzeit merkwürdig gefunden, dass seine Schwester – anders als er – von Ue. im verschlossenen Badezimmer gebadet worden sei und sie ihr Bett in Ue.s Zimmer gehabt habe, während er in der Dienstwohnung des damaligen Kaplans im Wohnzimmer geschlafen habe.

Damals habe er sich schlecht behandelt und zurückgesetzt gefühlt. „Sie hat er geliebt, ich lief nebenher“. Erst in den vergangenen Wochen seien ihm „viele Sachen aufgegangen“, die damals für ihn „schwierig zu erklären waren“.

Über die Verwendung von Tampons aufgeklärt

Die Pflegetochter schilderte, dass Ue. sie auch aufgeklärt und ihr gezeigt habe, wie man Tampons in die Scheide einführt. In Wetten sei es unter darum gegangen, ob sie eine Flasche Cointreau trinken könne, oder ob es ihr gelinge, ihn zehnmal mit der Hand zu befriedigen. Als Wetteinsatz habe Ue. ihr 1000 Mark angeboten.

Nach weltlichem Recht sind die Geschehnisse verjährt, die sich nach Darstellung der Zeugen Ende der 1970er und in den 1980er Jahren zugetragen haben.

Hinweise auf weitere mögliche Opfer

Aus den Befragungen durch den Vorsitzenden Richter Christoph Kaufmann wurde deutlich, dass dem Gericht Hinweise auf eine ganze Reihe weiterer möglicher Opfer – allesamt Mädchen – vorliegen müssen. Nach den ersten Verhandlungstagen wurde die Prozessdauer von 20 auf 25 Termine verlängert. Das Urteil soll jetzt am 17. Februar verkündet werden.

Ue., der wie seit Jahrzehnten keine Priesterkleidung, sondern offenes Hemd und Pullover trug, ließ während der gesamten Vernehmung kaum Regungen erkennen. Sein Verteidiger verzichtete auf Nachfragen zu den Vorwürfen der Pflegekinder.

Dem Angeklagten bis zu 15 Jahre Haft

In dem Strafverfahren vor der 2. großen Strafkammer geht es um den sexuellen Missbrauch von drei Nichten des Angeklagten. Dieser soll sich in den 1990er Jahren in Gummersbach 31 Mal an den Mädchen vergangen haben. In drei Fällen steht der Vorwurf schweren Missbrauchs im Raum, der mit einer Freiheitsstrafe von zwei bis 15 Jahren geahndet wird.

Eine der Nichten hatte 2010 Anzeige erstattet, diese aber – offenbar auf Drängen der Familie – zurückgezogen. Es soll damals auch eine Art Schweigegeld geflossen sein. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren 2011 ein. Das Erzbistum Köln sah damit keinen Anlass mehr für eine eigene kirchliche Untersuchung. Auch eine Meldung nach Rom unterblieb. Der damalige Erzbischof, Kardinal Joachim Meisner, hob die Suspendierung des Geistlichen auf und setzte ihn Ende 2011 wieder als Krankenhausseelsorger in Wuppertal ein. Umstritten ist die Rolle des früheren Personalchefs Stefan Heße, der 2010/11 mit dem Fall betraut war. Der heutige Hamburger Erzbischof soll im Januar als Zeuge aussagen.

2018 Fall neu aufgerollt

Erst 2018 kam der Fall erneut ins Rollen, nachdem der Interventionsbeauftragte des Erzbistums Köln darauf aufmerksam und tätig geworden war. Die Nichten erneuerten ihre Beschuldigungen. Die Staatsanwaltschaft Köln nahm die Ermittlungen wieder auf und erhob 2020 Anklage. Kardinal Rainer Woelki untersagte Ue. die Ausübung priesterlicher Funktionen und entließ ihn aus den Diensten des Erzbistums.

2011, etwa um die Zeit, als das erste Ermittlungsverfahren beendet wurde, soll Ue. in Wuppertal erneut ein damals elf3 Jahre altes Mädchen schwer missbraucht haben. Hier erhob die Staatsanwaltschaft erst vor wenigen Wochen Anklage. Beide Fälle werden zusammen verhandelt.

„Ich wollte erst einmal die Verhandlung abwarten“

Die beiden Pflegekinder, die am Freitag mehrere Stunden lang aussagten, hatten nach eigenen Angaben auch in der Zeit vor dem Prozessbeginn Kontakt mit Ue. Dieser habe ihnen angeboten, ihnen eine in seinem Besitz befindliche Immobilie zu überschreiben. Begründung: Er gehe davon aus, dass er ins Gefängnis müsse und sei besorgt, danach mittellos dazustehen.

Sein Pflegesohn sagte aus, er habe den Plan der Besitzübertragung aber nicht verfolgt. „Ich wollte erst einmal die Verhandlung abwarten.“ Seinem Eindruck nach wollte Ue. mit der Hilfe seiner Pflegekinder eigenes Vermögen vor möglichen Ansprüchen anderer Geschädigter schützen. Die Pflegetochter sagte, Ue. habe erklärt, wenn er das Haus nicht in Sicherheit bringe, werde die Kirche es sich holen, um damit Entschädigungen zu finanzieren.

Stadt-Anzeiger-Bericht von 1988: „Die Kinder des Kaplans“

Ausführlich kam in den Vernehmungen ein Bericht des „Kölner Stadt-Anzeiger“ über „Die Kinder des Kaplans“ vom Dezember 1988 zur Sprache. Darin wurde fast euphorisch die „bistumsweit einmalige“ Konstellation beschrieben, dass ein Kaplan wie ein Vater mit zwei Kindern zusammenlebt und diese großzieht.

Der frühere Kardinal Joseph Höffner hatte Ue. für die Pflegevaterschaft Ende der 1970er Jahre nach einer Befragung beider Kinder eine Ausnahmegenehmigung erteilt. Der Pflegesohn schilderte die Begegnung mit dem Erzbischof als eine Art Verhör, seine Pflegeschwester gab einen positiveren Eindruck wieder. Der Kardinal habe sie gefragt, ob es ihr Wunsch und Wille sei, künftig mit Ue. zusammen zu leben. Einzige Bedingung des Kardinals im Anschluss: Das Mädchen musste noch getauft werden.

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In der Verhandlung berichteten die Pflegekinder übereinstimmend, dass Ue. die erstmals 2010 laut gewordenen Missbrauchsvorwürfe seiner Nichten als unwahr und haltlos hingestellt, ja sie nach den Worten des Pflegesohns „fast ins Lächerliche gezogen“ habe. Das sei alles „Blödsinn“, habe Ue. noch kurz vor Prozessbeginn gesagt und erklärt, zwei der Nichten seien nur auf die Geschichten aufgesprungen, die ihre Schwester über ihn erzählt habe. Als mögliches Motiv für die angeblichen Falschbeschuldigungen legte Ue. ein finanzielles Interesse nahe.

Geständnis angekündigt

Die Pflegetochter berichtete allerdings auch von einer Unterredung wenige Wochen vor Prozessbeginn, in der sie Ue. zur Rede gestellt und ihn aufgefordert habe, er solle „dazu stehen“. Sie werde jedenfalls über ihre eigenen Erlebnisse vor Gericht nicht lügen. „Ich mache das nicht, das geht nicht.“ In diesem Gespräch, so die Pflegetochter weiter, habe Ue. ein Geständnis angekündigt.

Mit erkennbarer Bewegung sagte der Pflegesohn, aus heutiger Sicht komme er sich über Jahrzehnte hinweg hintergangen und benutzt vor – als eine Art Alibi für Ue.s Vergehen an seiner Pflegeschwester. Diese sagte, sie habe Ue. trotz allem als fürsorglich erlebt. Wie einen Vater, der möchte, „dass aus seinen Kindern mal was wird".

Die Vergangenheit mit ins Grab nehmen

Sie habe über die Jahrzehnte hinweg nur einem einzigen Menschen, dem Vater ihres Sohnes, von den Vergehen ihres Pflegevaters an ihr erzählt, weil sie mit der Vergangenheit abschließen und die Geschehnisse „mit ins Grab nehmen“ wollte. Auf die Vorladung als Zeugin hin sei ihr aber klar gewesen, dass sie jetzt reden müsse.

Zwar habe ihr Pflegevater „etwas getan, was er nicht hätte tun dürfen“. Und dennoch: „Er hat unser Leben bereichert.“ Sie sehe das „vom Glauben her: Er ist doch ein Mensch.“ Es verhalte sich wie mit eigenen Kindern: „Denen stehen wir auch zur Seite, wenn sie Dummheiten machen. So ist das auch hier – nur anders herum.“