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Kommentar

Kölner Politik
Mittelmaß darf nicht länger ein Synonym für Köln sein

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Lesezeit 3 Minuten
Ein Passant geht an einer Bettlerin vorüber.

Baustelle und Bettlerin in der Kölner Innenstadt

Oberbürgermeisterin Henriette Reker spricht von einer zunehmenden Verwahrlosung der Stadt. Das zu ändern, wäre ihre Aufgabe.

Es ist die Liebe der Kölner zu ihrer Stadt, dieses Köln-Gefühl, das die Menschen zusammenhält und sie gerne hier leben lässt. Obwohl an vielen Stellen, nicht nur gefühlt, Stillstand herrscht – auch im Rathaus. Gerade hier.

Köln wisse nicht genau, ob es Millionenstadt oder Veedelsdorf sein soll, hat Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gesagt. „Ich bin da auch so ein bisschen schizophren.“ Und so schwankt diese Stadt inklusive ihres Oberhaupts zwischen Brauchtum und Bedeutung, zwischen Büdchen und Weltstadt, zwischen Mittelmaß und hochfliegenden Plänen, die oft wieder im Mittelmaß enden oder ganz versanden.

Rekers Aussagen sind bei allen Schwierigkeiten ein Offenbarungseid

Eine Stadt von der Größe Kölns sei mit ehrenamtlichen Politikern nicht zu steuern, sagt Reker zum Ende ihrer zehnjährigen Amtszeit mit Blick auf den Rat. Als OB habe sie ohnehin weniger Einfluss, als die Menschen dächten. Mag stimmen. Da ist eine oftmals frei drehende Verwaltung, da sind eigenständige städtische Tochtergesellschaften wie die KVB. Dazu ein schwachbrüstiges, inhaltlich zerstrittenes Ratsbündnis, in dem Ideologien, die parteipolitischen und persönlichen Animositäten größer erscheinen als der Gestaltungswille.

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Aber müsste eine Oberbürgermeisterin nicht gerade deshalb entschlossener führen? Mit Überzeugungskraft und Visionen, mit dem unbedingten Willen, eigene Pläne und Vorstellungen – auch gegen Widerstände – zu verwirklichen?

Dieses Eingeständnis sollte alle Kölnerinnen und Kölner aufschrecken

Wenn Reker sagt: „Ja, ich sehe eine zunehmende Verwahrlosung der Stadt.“ Aber: Etwas dagegen unternehmen könne sie nicht. Wenn sie sagt: „Mir fehlt die Ordnung.“ Aber: Diese Ordnung herstellen könne sie nicht. Dann ist das bei allen Schwierigkeiten ein Offenbarungseid.

Dieses Eingeständnis ihrer Oberbürgermeisterin sollte alle Kölnerinnen und Kölner aufschrecken. Sie haben sich an Zustände gewöhnen müssen, die so nicht sein dürften: An Rolltreppen, die nie laufen. An Baustellen, die einfach nicht weggehen. An eine KVB, die nur als Running Gag funktioniert. An eine Innenstadt, die zusehends an Strahlkraft verliert. An Verkehrsversuche, die wegen des in Teilen dysfunktionalen ÖPNV an den Bedürfnissen vieler Menschen vorbeigeplant sind. Dazu die Vermüllung des öffentlichen Raums, in dem viele Menschen sich zunehmend unwohl und unsicher fühlen.

Diese Missstände gilt es anzupacken und zu überwinden. Damit in Köln nichts ins Rutschen kommt, wovor Henriette Reker zum Ende ihrer Amtszeit hin Angst hat – auch aus Sorge um die Schwachen, die Minderheiten, die Menschen, die gerade diese Stadt doch in ihre Mitte nehmen will.

Mittelmaß darf nicht länger ein Synonym für Köln sein. Dafür braucht es den Einsatz vieler. Und es braucht ein Stadtoberhaupt, das so viel Herz hat wie Henriette Reker, genau so viel Liebe zu dieser Stadt und ihren Menschen. Dazu endlich wieder eine gestaltungsfähige und -willige politische Mehrheit. Aber es braucht eben auch einen Oberbürgermeister, eine Oberbürgermeisterin, der oder die wirklich führt.

Köln ist ein Gefühl. Doch irgendwann ist es aufgebraucht – auch wenn es keine Stadt der Welt gibt, die so viel davon hat.