Der Moscheeverband Ditib hat einen neuen Vorstand gewählt. Bei dem Vorgehen nehmen Funktionäre aus Ankara eine zentrale Rolle ein.
Imam in Köln-EhrenfeldNeuer Chef der umstrittenen Ditib fühlt sich „nicht beeinflusst von Ankara“
Der Ditib-Bundesverband hat einen neuen Vorsitzenden: Seit Ende Februar steht Muharrem Kuzey an der Spitze des größten deutschen Moscheeverbandes und folgt damit auf Kazim Türkmen. Ein Bericht des Bundestages stellt fest, dass die türkischen Behörden den Vorsitz des Verbandes maßgeblich mitbestimmen, Kuzey bestreitet dies.
Muharrem Kuzey zog 2010 mit seiner Frau und seinen drei Kindern nach Deutschland und arbeitete als Imam in der Ditib-Moschee in Köln-Ehrenfeld. „Köln ist eine lebendige und vielfältige Stadt“, sagt der 43-Jährige beim Gespräch in der Bibliothek der Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld.
Neben dem Fußballverein Fenerbahçe in Istanbul sei er heute Fan des 1. FC Köln, genau wie sein 14-jähriger Sohn. „Ich fühle mich in Köln wohl.“ 2012 promovierte er in Islamwissenschaften an der Universität Tübingen, sechs Jahre später kehrte die Familie nach Köln zurück. Seit 2018 war Kuzey Vorsitzender des religiösen Beirates des Regionalverbandes Köln.
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Ditib will Wohltätigkeitsverband gründen
Als neuer Ditib-Vorsitzender möchte Muharrem Kuzey ein Ziel vorantreiben, das die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion schon seit Jahren verfolgt: „Wir möchten als Religionsgemeinschaft und Körperschaft des öffentlichen Rechtes anerkannt werden“, sagt Kuzey. Diese Anerkennung ist Ländersache, der Bundesverband werde deshalb die einzelnen Landesverbände finanziell und strukturell unterstützen. Regionale Ditib-Vertreter sollen mit den Landesregierungen in den Dialog treten und „ihren Austausch vertiefen“, sagt Kuzey.
Noch in diesem Jahr plant die Ditib zudem die Gründung eines eigenen Wohlfahrtsverbands. „Dafür müssen wir uns noch professioneller aufstellen, brauchen aber auch die strukturelle Integration und die Würdigung unserer Leistungen durch Staat und Gesellschaft.“ Der Verband solle eng mit anderen Wohltätigkeitsorganisationen in Deutschland verbunden sein. Ein weiteres Ziel ist die Einbindung der Ditib-Jugend in die Landesjugendringe.
In den vergangenen Jahren kam die Ditib kaum voran in ihren Bestrebungen, als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden. In Nordrhein-Westfalen ging die Landesregierung 2016 auf Distanz zur Ditib, nachdem die türkische Religionsbehörde Diyanet in einem Comic den Märtyrertod verherrlicht hatte. Zuletzt schienen sich Land und Ditib wieder anzunähren: Die Ditib erhielt einen Sitz im Gremium zum islamischen Religionsunterricht an Schulen.
Diyanet-Funktionäre können auf Ditib Einfluss nehmen
Die Ditib gilt wegen ihrer Verflechtung mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet als umstritten. Laut der Satzung sei der Verband an die türkische Religionsbehörde Diyanet gebunden, schreibt der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einer Ausarbeitung zum rechtlichen Status der Ditib. Die Diyanet wiederum ist dem türkischen Ministerpräsidialamt angegliedert. „Die enge Anbindung an Diyanet und der dadurch gewährleistete Einfluss des türkischen Staats auf die Ditib lässt sich unter anderem daran erkennen, dass die für die Ditib tätigen Imame in der Türkei ausgebildet und von Diyanet über Ditib in Deutschland eingesetzt werden“, steht in der Ausarbeitung.
Der Beirat, der über grundlegende Fragen des Verbandes entscheidet, besteht demnach ausschließlich aus Diyanet-Funktionären. Dadurch haben Diyanet-Vertreter ein größeres Stimmengewicht als die Vertreter der Ditib-Ortsgemeinden. In der Satzung der Ditib heißt es, dass sich nur vom „vom Beirat vorgeschlagene Personen“ zur Wahl zum Vorsitzenden stellen dürfen. „Eine solche Struktur, die auf politische Kontrolle des türkischen Staats ausgerichtet ist, widerspricht diametral dem Anspruch der Ditib, eine Religionsgemeinschaft sein zu wollen“, sagt Eren Güvercin, Mitgründer der liberalen Alhambra-Gesellschaft, die sich kritisch mit dem politischen Islam auseinandersetzt.
Ditib-Chef Kuzey fühlt sich „nicht beeinflusst von Ankara“
Muharrem Kuzey widerspricht dem: Es stimme nicht, dass die Ditib-Vorsitzenden maßgeblich aus Ankara bestimmt würden. Er kenne den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht persönlich und fühle sich „nicht beeinflusst von Ankara“. Die Ditib sei eine Religionsgemeinschaft und habe religiöse Ziele. „Wir sind überparteilich. Eine Moschee ist ein Haus Gottes und damit offen für alle“, sagt Kuzey. „Besuche von Politikern – ob nun deutsche oder türkische – können insofern nicht untersagt werden. Politische Veranstaltungen jedoch sind nicht gestattet. Den Satz will ich unterstreichen.“ Die Mitglieder der Moscheegemeinden hätten unterschiedliche Weltanschauungen. Diese Vielfalt gelte es zu wahren. Gleichzeitig schließt er einen Einfluss der türkischen Religionsbehörde nicht klar aus.
Kuzey widerspricht auch den Vorwürfen, dass allein Politiker der von Erdogans Partei AKP in Ditib-Gemeinden empfangen würden und hier Wahlkampfauftritte absolvieren. „In den letzten zwei, drei Monaten habe ich viele oppositionelle Politiker persönlich empfangen“, so Kuzey. Vor zwei Monaten sei Muharrem Ince in der Zentralmoschee zu Besuch gewesen. Der Präsidentschaftskandidat Ince gilt als Populist; Er tritt neben dem aussichtsreichsten Erdogan-Herausforderer Kemal Kilicdaroglu an und könnte dadurch das Oppositionslager spalten und so indirekt Erdogan zum Sieg verhelfen.
Kuzey möchte sich mit Kölner OB Reker treffen
Er komme aus der Wissenschaft, betont Kuzey, nicht aus der Politik. „Bildung und Erziehung ist mir sehr wichtig. Ich wünsche mir mehr Wissenschaft und Forschung an den Moscheegemeinden.“ Mittlerweile lebe in Deutschland die vierte Generation türkischstämmiger Muslime. „Unsere jungen Muslime wollen nichts mehr von Integration hören. Sie wollen Teilhabe in der Gesellschaft“, sagt Kuzey. Die Ditib werde in diesem Sinne arbeiten. Sorge, dass die Ditib die Jugend verliere, weil diese weniger gläubig sei, habe er nicht: „Seit der Corona-Pandemie sind wir sogar mehr geworden.“ Rund 220 000 Familien seien Mitglied der Ditib-Gemeinde.
Das Verhältnis zwischen Zentralmoschee und der Stadt Köln gilt seit der Eröffnungsfeier der Moschee als entfremdet. Damals war zwar der türkische Präsident Erdogan eingeladen, nicht aber deutsche Spitzenpolitiker oder die Kölner Oberbürgermeisterin. Kuzey möchte das nicht direkt kommentieren: Die Ditib habe noch immer gute Kontakte zu der Stadt Köln, sagt er. Erst eine Woche zuvor habe er den Bezirksbürgermeister Volker Spelthann besucht, nun hofft der neue Ditib-Chef auf einen Besuch bei Oberbürgermeisterin Henriette Reker.