Ein erster Prozess vor dem Jugendgericht beschäftigte sich nun mit einer Attacke auf zwei Polizeibeamte in Köln.
Opfer weint im ZeugenstandNach brutalem Angriff auf Kölner Polizisten – milde Sanktion für Geschwistertrio
Die Szenen sind so verstörend, dass die betroffenen Polizeibeamten die Videoaufnahmen aus der eigenen Bodycam am Dienstag beim Prozess im Kölner Amtsgericht nicht sehen wollten und den Saal verließen. Sie dokumentieren einen brutalen Angriff vor einer Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Holweide, für den sich zwei Jugendliche (15 und 17 Jahre alt) und eine zweifache Mutter (20) verantworten mussten. Das Geschwistertrio kam am Ende aber mit milden Sanktionen davon.
Köln: Harmloser Polizeieinsatz vor Flüchtlingsunterkunft eskalierte
Völlig harmlos hatte der Polizeieinsatz an jenem Nachmittag im August vergangenen Jahres begonnen. Die beiden Beamten kontrollierten Fahrzeuge vor der Unterkunft, witterten Verstöße gegen das Pflichtversicherungsgesetz. Als sie ein Fahrzeug entsiegeln wollten, tauchten plötzlich zwei junge Männer auf. Augenscheinlich gingen sie zum Auto, drehten beim Erblicken der Polizisten aber plötzlich wieder ab. Das machte sie verdächtig, woraufhin eine Personenkontrolle erfolgen sollte.
Respektlos und abwehrend habe sich einer der jungen Männer verhalten, woraufhin der Polizist ihn festgehalten habe – auch, um ihn an einer möglichen Flucht zu halten. Mit einem nach hinten ausgeführten Ellbogenschlag habe der 17-jährige Verdächtige sich dann lösen wollen und somit Verletzungen des Polizisten billigend in Kauf genommen, so heißt es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Der Beamte versuchte mit aller Kraft, den Teenager am Boden zu fixieren.
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Köln: Familienangehörige mischen sich in Einsatz ein
Ein 19-Jähriger soll daraufhin versucht haben, seinen Bruder zu „befreien“. Die Videos zeigen, wie der Mann im himmelblauen Trainingsanzug völlig hemmungslos immer und immer wieder mit geballten Fäusten in Richtung des Polizisten schlägt, danach triumphierende Schattenboxergesten macht. Eine Kollegin des Beamten griff danach ein, sie nutzte einen Taser gegen einen der Angreifer und Pfefferspray. Auch sie bekam Schläge ins Gesicht ab, dazu wurde ihr in den Unterleib getreten.
Die Mutter und Schwester der Angreifer, die ebenfalls in der Flüchtlingsunterkunft lebten, stürmten herbei und mischten sich ebenfalls in das Geschehen ein. Sie hatten die Beamten bedrängt, ein weiterer Bruder filmte das Geschehen mit seinem iPhone. Das Handy wurde später beschlagnahmt und das Video sichergestellt. Es zeigt einen im Gesicht und an den Armen blutverschmierten Beamten. „Meine Nase ist gebrochen“, hatte der 34-Jährige zuvor an seine Kollegen gefunkt.
Kölner Polizist wollte Entschuldigung nicht hören
Es dauerte ein paar Minuten, bis Verstärkung eingetroffen war. Der Tumult löste sich auf. Der verletzte Polizist kam in eine Klinik. Ihm wurde die Nase gebrochen, dazu rissen ihm ein Brustmuskel und das Kreuzband. Im Gericht wollten sich zwei der Beteiligten – der 19-jährige Haupttäter befindet sich derzeit in Frankreich in Haft – entschuldigen. „Das wäre nicht glaubhaft“, winkte der Beamte ab. Bei späteren Einsätzen hätten sich die Jugendlichen noch mit ihren Taten gebrüstet. Auch während der Verhandlung wurde mehrfach gegrinst und gekichert.
Psychisch leidet vor allem die junge Kollegin des Beamten noch unter dem Vorfall. Mehrfach weinte sie bei ihrer Vernehmung im Gericht, berichtete von einer posttraumatischen Belastungsstörung. Warum man sich denn nicht einfach zurückgezogen und im Streifenwagen auf Verstärkung gewartet habe, wollte Verteidiger Ingmar Rosentreter wissen. „Das wäre eine Möglichkeit gewesen“, sagte die Beamtin. Sie sei damals aber erst sehr kurz im Dienst gewesen und habe diese Option nicht gesehen.
Kölner Rechtsanwalt sorgt für Kopfschütteln bei Opfer
Ein ungläubiges Kopfschütteln erntete der Verteidiger von der 26-jährigen Polizistin, als dieser im Plädoyer von einem gewissen Berufsrisiko für Polizeibeamte sprach, das diese in Kauf nehmen müssten. „Ich schwebe als Polizist doch nicht 45 Berufsjahre auf einer rosaroten Wolke und gehe dann ohne irgendwelche Vorfälle in Pension“, sagte Rosentreter. Überhaupt sei der Einsatz ja nicht so gravierend gewesen, dass man davon psychische Folgen davontragen könnte, meinte der Anwalt.
Dass sich hier zwei Polizeibeamte offenbar einer Todesgefahr ausgesetzt sahen, das stellte am Ende die Richterin klar. „Auf den Videos hat man die Panik in den Stimmen der Beamten deutlich gehört“, sagte sie und sprach von einem brutalen Angriff. Strafen verhängte die Richterin gegen die Angeklagten aber nicht. Zwei von ihnen wurden nach Jugendstrafrecht verwarnt, der 17-Jährige erhielt einen sogenannten Schuldspruch.
Er muss sich nun zwei Jahre bewähren, Sozialstunden ableisten und ein Anti-Aggressions-Training absolvieren. Eine Gefängnisstrafe wäre nur bei der Feststellung von schädlichen Neigungen möglich gewesen. Die sah das Gericht nicht. Anders könnte das bei dem zunächst flüchtigen Haupttäter aussehen, der bald aus Frankreich ausgeliefert werden soll. Ein Prozess gegen den 19-Jährigen könnte noch in diesem Jahr starten.