- Nachdem der Termin für die Räumung des von Obdachlosen besetzten Hauses in Köln-Raderthal durchgesickert war, regte sich Widerstand.
- Rund 100 Unterstützer der Bewohner haben sich am Donnerstag auf den Weg gemacht und am Morgen gegen die Räumung protestiert.
- Parallel wurde Henriette Reker politisch unter Druck gesetzt. Die Räumung ist kurzfristig abgesagt worden.
Köln – Im letzten Moment hat die Stadtverwaltung am Donnerstagmorgen die geplante Räumung eines von Obdachlosen bewohnten leerstehendenden Gebäudes am Großmarkt in Raderthal abgesagt. Der Termin für die Aktion war am Abend zuvor durchgesickert, daraufhin hatten sich ungefähr 100 Unterstützer der Bewohner auf den Weg gemacht und am Morgen gegen die Räumung protestiert. Auch Aktivisten aus dem Hambacher Forst sollen vor Ort oder unterwegs dorthin gewesen sein. Die Stadt spricht von „verschiedenen Gruppierungen und polizeibekannten Einzelpersonen“ aus ganz Deutschland.
Die Polizei stand mit Mannschaftswagen bereit, griff aber nicht ein. Einer Stadtsprecherin zufolge hätten Personen im Gebäude Vorkehrungen gegen eine Zwangsräumung getroffen, beispielsweise Steine auf den Fensterbänken platziert. Man habe den Vertretern der Stadt „die Lage dargestellt und auf die Risiken einer Räumung hingewiesen“, sagte ein Polizeisprecher. Aus Gründen der Deeskalation entschied sich die Stadt schließlich, auf die Räumung zu verzichten – vorerst jedenfalls. Denn die Stadtsprecherin betonte, dass sich an der grundsätzlichen Notwendigkeit der Räumung und des Gebäudeabbruchs nichts geändert habe. Die Besetzung sei illegal. Der bauliche Zustand und der fehlende Brandschutz seien weiterhin eklatant und hätten sich während der Besetzung noch verschlechtert. Die Stadt als Eigentümerin stehe in der Haftung, dass den Bewohnern nichts zustoße.
„Menschenverachtende Rechtsberatung aus konservativem Lager“
Tatsächlich dürften jedoch auch andere Beweggründe bei der Absage der Räumung eine Rolle gespielt haben. Mit scharfer Kritik an der Stadtspitze hatten in der Nacht zum Beispiel Südstadt-Pfarrer Hans Mörtter, der Autor Martin Stankowski und die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim über Mails, SMS und Einträge in den sozialen Medien ihre Netzwerke aktiviert, um die Räumung zu verhindern. Die Stadt zerstöre „ein Modell selbstverwalteten Wohnens“; „das Recht auf ein Zuhause und die Würde des Menschen wird mit der Räumungsverfügung der OB mit Füßen getreten“, so Mörtter.
Reker folge einer „menschenverachtenden, schlechten Rechtsberatung aus sehr konservativem Lager“. Stankowski nannte das Vorgehen der Stadt „asozial“ und mutmaßte, dass Reker „Stimmung in Vorwahlzeiten“ bei der „Law and order“-Fraktion in der Stadt machen wolle. Die Grünen wurden aufgefordert, das Bündnis mit der CDU aufzukündigen, falls es zur Räumung kommt. Wie zu hören ist, soll mit einer massiven Wahlkampagne gegen Reker gedroht worden sein.
Über die Frage, wie viel Einfluss diese spontane Mobilmachung auf die stadtinternen Entscheidungsprozesse hatte, lässt sich nur spekulieren. Dass die kommende Kommunalwahl den obdachlosen Besetzern geholfen hat, dürfte jedoch unbestritten sein. Die Südstadt gilt als Hochburg der Grünen, die bei der OB-Wahl Henriette Reker unterstützen.
Grüne forderten Reker zum Abbruch auf
Der erste Protest am Mittwochabend führte dazu, dass die Grünen noch in der Nacht eine Pressemeldung verschickten, mit der sie Reker aufforderten, die Polizeiaktion abzublasen. Eine Räumung vor dem Ende der Corona-Pandemie sei falsch. Sollten rechtliche Gründe zur Räumung zwingen, müsste die Stadt einen Ersatz zur Verfügung stellen.
Der ehemalige Fraktionsgeschäftsführer der Kölner Grünen, Rolf Stärck, ging noch weiter. Er forderte Reker – trotz ausgesetzter Räumung - am Donnerstagnachmittag in einem offenen Brief auf, ihr Amt niederzulegen. Die versuchte Räumung sei „eine nie dagewesene politische Verfehlung“ und „moralisch unter jedem aussprechbaren Niveau“. Am Vortag hatte sich SPD-Oberbürgermeisterkandidat Andreas Kossiski das Haus zeigen lassen und anschließend zu „konsensfähigen Lösungen“ aufgefordert. „Diese engagierte Gruppe darf nicht wieder in der Obdachlosigkeit untergehen.“
Bewohner wollen nicht ausziehen
Seit Anfang März haben sich in der Marktstraße 10 knapp 30 Menschen eingerichtet, die keine andere Bleibe haben. Auch angesichts der Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus wollen die Bewohner lieber dort bleiben als in eine Obdachlosenunterkunft zu ziehen, wo die hygienischen Bedingungen ihrer Überzeugung nach schlechter sind.
Die Stadt hat dies bislang geduldet, will es aber im Zuge der Lockerungen der Corona-Beschränkungen nicht länger tun.In dem besetzten Gebäude hat jeder ein eigenes Zimmer mit eigener Einrichtung – meist aus Sperrmüll gesammelt. Das fünfstöckige Haus und der gesamte Komplex stehen auf dem Baugelände der zukünftigen Parkstadt Süd. Die Abbrucharbeiten sollen laut Stadt „kurzfristig“ beginnen.