Köln – Ungeniert winkt der ganz in schwarz gekleidete Mann die Frau mit der verschmutzten grünen Jogginghose heran, die mit suchendem Blick über den Neumarkt läuft. „Hier, hier“, ruft er. Und holt, direkt neben einem Wartehäuschen der Straßenbahn, ein Kügelchen aus seiner Jackentasche. Zwei Geldscheine, insgesamt wohl 30 Euro, gibt die Frau ihm dafür.
Fünf Junkies kommen in den folgenden 20 Minuten, kaufen eine Kugel oder ein weißes Pulver, das der Mann ihnen in die Hand schüttet. Einige hundert Meter weiter, in der Schildergasse, sind eben nach Geschäftsschluss die Kehrmaschinen durchgedonnert. Die ersten Eingänge der Läden sind von Obdachlosen besetzt, die hier schlafen wollen. Beliebt sind vor allem Plätze mit Vordach. Der Eingang von H&M beispielsweise, Pizza Hut oder Hallhuber. Katharina, 31, liegt unter einem Vordach neben C&A, direkt gegenüber der Antoniterkirche. „Mein Stammplatz“, sagt sie. „Hier werde ich bei Regen nicht nass. Und darf meine Sachen tagsüber sogar stehen lassen.“
„Die Situation verschärft sich zusehends“
Es sind ähnliche Szenen, die sich an diesem Abend auch in anderen Teilen der Stadt abspielen. Auf dem Chlodwigplatz, neben dem Geländer zum U-Bahnabgang, liegt ein offensichtlich betrunkener Mann. Unter dem Eigelsteintor campieren sieben Personen. Über den Platz läuft, wild gestikulierend, seit etwa 15 Minuten eine offensichtlich verwirrte Frau und spricht mit sich selbst. „Die Situation verschärft sich zusehends“, sagt Burkhard Wennemar vom „Bürgerverein Kölner Eigelstein“. Die Obdachlosen-Szene werde immer jünger, internationaler, aggressiver, auch da immer stärkere Drogen konsumiert würden.
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Da das Problem nicht punktuell, sondern in zahlreichen Bereichen der Innenstadt bestehe, wollen sich jetzt elf Bürgerinitiativen und Interessensgemeinschaften zusammenschließen. Von Deutz über die Südstadt, den Neumarkt oder den Alter Markt sind Geschäftsleute und Anwohner nahezu aller Bereiche der City vertreten (siehe Infokasten). Am Donnerstagabend gab es bei einem Treffen den ersten Informationsausaustausch. „Das Ziel ist eine enge Zusammenarbeit, ein Bündnis, um als ein gemeinsamer Ansprechpartner für die Stadtverwaltung Anregungen und Hilfestellungen anzubieten“, so Wennemar.
Bündnis will sich auch um Stadtplanung kümmern
Obdachlose und Drogenabhängige seien ein erstes Thema, bei dem man sich einbringen könne. Auf der Agenda des geplanten Bündnisses jedoch würden beispielsweise auch Themen wie Stadtplanung, Sicherheit, Sauberkeit oder blockierte Straßen durch so genannte „Partypeople“ stehen. „Wir haben alle dieselben Probleme, deshalb wollen wir von Politik und Stadtverwaltung auch gehört werden“, ergänzt Markus Vogt vom Verein „Kwartier Latäng“.
Bebauungspläne beispielsweise, in denen über die Zukunft ganzer Viertel entschieden werde, seien „in der Vergangenheit gerne mal an den Interessensgruppen vor Ort vorbei geschleust worden“, sagt der Gastwirt. „Da wollen wir mit an den Tisch. Nicht nur zur öffentlichen Anhörung, von der oft keiner was weiß, sondern auch in die Arbeitsgruppen, die an den Projekten beteiligt sind.“
„Komatrinker, die sich hemmungslos volllaufen lassen“
Innenstadt-Bürgermeister Andreas Hupke (Grüne) jedenfalls hat Verständnis für solche Angebote. „Das sind Menschen, denen die Innenstadt was bedeutet. Die leben oder arbeiten hier, die kriegen die Probleme hautnah mit“, sagt Hupke. Was das Obdachlosenproblem angehe, da sei „das Fass am Überlaufen“.
Die Situation verschärft hätten beispielsweise Personen aus osteuropäischen EU-Ländern, die sich abends Schlafplätze sicherten, um tags darauf die besten Bettelplätze zu haben. „Oder die Komatrinker, die sich so hemmungslos volllaufen lassen, dass sie alles unter sich lassen.“
Angsträume in der Innenstadt
Manche Nachbarn würden Bereiche in ihrem Umfeld längst meiden, stimmt Guido Köhler von der „Bürgerinitiative Zukunft Neumarkt“ zu. „Aber es kann doch auch nicht sein, dass wir einen Menschen sich selbst überlassen, wenn er betrunken und hilflos auf dem Boden liegt“, so Köhler. Wenn Ordnungsamt oder die Polizei dann etwa Platzsperren aussprechen würden, werde das Problem nur in ein anderes Viertel verschoben.
„Es braucht ein ganzheitliches Konzept für die ganze Stadt“, fordert auch Alice Baker von der Aktionsgemeinschaft „ABC Südstadt. „Ich glaube, wir haben das alles zu lange sehenden Auges toleriert.“ Jetzt aber sei die Situation so angeheizt, „dass sich auf allen Seiten Aggression breit“ mache.
Forderungen an das Kölner Sozialdezernat
Vor einigen Wochen bereits hatten einige der Initiativen der Stadtverwaltung konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Situation gemacht. Zusätzliche niederschwellige Hilfsangebote für die Obdachlosen zum Beispiel sowie kein Alkoholverbot in Unterkünften oder eine ämterübergreifende Projektgruppe zu dem Thema. Die Kommunikation mit dem Sozialdezernat jedoch sei "gelinde gesagt, schwierig bis unmöglich“, heißt es übereinstimmend.
Der Wunsch „nach deutlicher und auch zügiger Verbesserung“ sei „nachvollziehbar“, sagte der städtische Sozialdezernent Harald Rau. „Schicksale obdachloser Menschen sind schlimm, und jedes einzelne Schicksal berührt und erschüttert mich unmittelbar.“ Schätzungen zufolge würden derzeit rund 300 Menschen in Köln auf der Straße leben. Aufgrund der „vielen Berichte unterschiedlicher Akteure“ gehe auch er davon aus, dass es mehr geworden sind, räumte der Beigeordnete ein
Trinkhallen für Obdachlose
„Als Stadt und Verwaltung mit begrenzten Ressourcen wollen und müssen wir Lösungen im Zusammenwirken mit den Akteuren vor Ort und den Trägern der Wohnungslosenhilfe finden, die nicht nur an einem von vielen Plätzen funktionieren, sondern die in der gesamten Stadt anwendbar sein können“, ergänzte Rau, ohne konkret zu werden.
Aktuell habe er „eine Recherche zu Lösungsbausteinen anderer Großstädte“ in Auftrag gegeben. Beispielsweise sei die Einrichtung von Trinkhallen vorgeschlagen geworden. „Wir beschäftigen uns aktuell mit dieser Idee und bewerten Vor- und Nachteile solcher Lösungen.“