Über 40 Mottolieder hat Marie-Luise Nikuta geschrieben, meistens direkt am Veilchendienstag, wenn das neue Karnevalsmotto präsentiert wurde.
Nun ist die Motto-Queen genau an diesem Tag – Veilchendienstag 2020 – im Alter von 81 Jahren gestorben.
Bewegende Momente, eine „Bühnen-Granate“, ein Veedel in Trümmern. Unsere Redakteure und Kölsche Weggefährten erinnern sich. Ein Nachruf.
Köln – Karnevalsdienstag war viele Jahre lang auch Marie-Luise-Nikuta-Tag. Denn bis 2016 begann der letzte Tag der Session traditionell mit dem von Gürzenich-Gastronom Jochen Blatzheim ausgerichteten Prinzenfrühstück, in dessen Rahmen auch das Motto für die nächste Session bekanntgegeben wurde. Irgendeiner im Saal rief dann bei „Marlies“ an und gab ihr die Slogans wie „Et kütt wie et kütt“ (1992), „Janz Kölle es e Poppespill“ (2002) oder „Mer spingkse wat kütt“ (2014) durch, welche die Nikuta umgehend in ein Lied umsetzte. Über 40 dieser Mottolieder hat sie verfasst, spätestens nachmittags war der Song fertig. Am Nachmittag des Karnevalsdienstags 2020 ist die Motto-Queen im Alter von 81 Jahren gestorben(hier lesen Sie mehr).
„Marie-Luise Nikuta hat über Jahrzehnte den Kölner Karneval geprägt“, sagt Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn, der den Tod der Sängerin beim Sessionsabschied am Dienstagabend im Sartory-Saal bekanntmachte und ihrer mit einer Schweigeminute gedenken ließ. „Das gilt nicht nur für die vielen, vielen Mottolieder. Sie hat den Karneval – in einer Zeit, als das nicht selbstverständlich war – weiblicher gemacht. Sie hat die Bühnen der Stadt gegen manch damalige männliche Widerstände erobert und wird für immer in den Herzen der Kölschen sein.“
Auch Kabarettist Jürgen Becker, der kurz vor der Nubbelverbrennung im Brauhaus Sion vom Tode Nikutas erfuhr, würdigte sie: „Sie war die erste der traditionellen Karnevalskünstler, die bei der Rosa Sitzung auftrat und dort gefeiert wurde. Marie-Luise Nikuta hatte zu Schwulen und Lesben keine Berührungsängste. Sie war einfach eine Bühnen-Granate. Das Lied von der »Stroßebahn« singen wir doch immer noch gerne.“
Marie-Luise Nikuta ist in den Trümmern ihres Veedels aufgewachsen
Marie-Luise Nikuta wurde am 25. Juli 1938 in Nippes geboren. Aufgewachsen in den Trümmern ihres Veedels, hatte sie die Angst noch gut in Erinnerung, die sie während des Kriegs in dem großen Luftschutzkeller in ihrem Elternhaus in der Florastraße spürte: „Das war schrecklich.“ Aber die Familie hatte Glück: Ihr Haus blieb als Einziges stehen. In Nippes lernte sie auch ihren späteren, 2008 verstorbenen Ehemann Willi kennen. Weil sie ihr Erdbeereis fallen ließ – und er lachte. „Da gibt’s nichts zu lachen“, habe sie gefaucht. „Und dann hat er mir ein neues gekauft.“ Damals war Nikuta 22 und ihr Haar kastanienbraun. Sie war 13 Jahre alt, als sie mit dem Kölner Kinderchor ihren ersten Hit sang: „Mer fiere Fastelovend“. Doch dann stoppten Schule, Beruf und ihre Familie erst einmal die Karriere.
Erst 1968, nach der Geburt von Tochter Andrea, verwandelte sich die Versicherungskauffrau in eine professionelle Stimmungssängerin. Ihr Markenzeichen waren ein blaues Köbes-Outfit und die leuchtend rot gefärbten Haare. Ihre Friseurinnen aus Mauenheim haben bei einem gemeinsamen Veedelsspaziergang für diese Zeitung vor Jahren das Geheimnis der Farbe gelüftet: „Indian Fire hieß sie früher.
Inzwischen hat sie die Marke gewechselt. Das Rot trägt nur noch eine schnöde Nummer: 7744 von Wella.“ Das Outfit wurde immer wieder persifliert, egal ob in der Stunksitzung, im Theater von Wally Bockmeier oder im klassischen Karneval.
Frauenfußball-Nationalmannschaft als elf Nikutas auf der Bühne
Unvergessen der Auftritt der Frauenfußball-Nationalmannschaft bei der Proklamation 2006, die plötzlich als elf Nikutas auf der Bühne im Gürzenich standen – und mit der echten Nikuta „E Fastelovendsfußballspell“ grölten. In Merheim gibt es sogar einen Karnevalsverein mit ihrem Namen: die Nikuten – samt Reiterkorps mit Plüschpferden – nehmen Jahr für Jahr am dortigen Veedelszoch teil.
Auch wenn sich die Jecken in Nikuta-Fans und solche, die sie gar nicht mochten, aufteilten: In der Männerdomäne Karneval hat sie sich durchgesetzt. Mit viel Fleiß, viel Wärme – unvergessen ihre CD-Präsentationen zu Hause bei sich in Mauenheim, wo sie es sich nicht nehmen ließ, für die Gäste eigenhändig Rievkooche zu braten –, aber auch mit einer Hartnäckigkeit, die ihresgleichen suchte. Altmeister Ludwig Sebus (94) sagt: „Sie war eine sehr ehrgeizige Frau, die das Gefühl hatte, sie müsse sich in der von Männern geprägten Karnevals-Szene immer noch beweisen. Dabei ist sie als erste und bis heute einzige Frau mit der goldenen Ostermann-Medaille ausgezeichnet worden.“
Marie-Luise Nikuta hat in ihrer Karriere rund 175 Lieder geschrieben
Rund 175 Lieder hat sie im Laufe ihrer Karriere geschrieben, die sich zumeist um erlebte Geschichten und witzige Anekdoten aus dem Alltag drehten. Viele davon sind als Evergreens fest im kölschen Liedgut verwurzelt – von „E paar Jrosche för Ies“, bis „Weißte wat, mer fahre met d’r Stroßebahn noh Hus“. In späteren Jahren verknüpfte sie die Stücke zu einem Medley, dessen Höhepunkte der Hüpfer nach „Weißte wat“ war.
Eine Marktlücke eröffnete sich für Nikuta, als sie 1977 erstmals ein Lied zum Sessionsmotto schrieb und sang. Ludwig Sebus: „Ich habe ihre Karriere im Kölner Karneval von Anfang an begleitet. Ich weiß noch, wie sie 1977 hochschwanger war und ihr erstes Lied „Kölsch, Kölsch, Kölsch“ gesungen hat. Ich muss zugeben, dass ich ihre Mottolieder weniger mochte, dafür umso mehr ihre Lieder, die das kölsche Gemüt etwas tiefer behandelt haben.“ Aber mit den Mottoliedern war sie Stammgast bei Prinzenproklamationen und Fernsehsitzungen, der Sessionseröffnung und der „Lachenden Kölnarena“.
Ende der Karriere nach Hirnblutung und Notoperation
Mit dem Abschied von den Bühnen 2014 hörte Nikuta – nach Hirnblutung, Notoperation und mehrmonatigem Reha-Aufenthalt – auf den Rat ihrer Ärzte. „Der liebe Gott hat ja gesagt, ich will die Ahl noch nit. Daher werde ich mehr auf meine Gesundheit achten“, sagte die Sängerin, die mittlerweile in der Senioren-Residenz am Dom lebte, damals. „Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Diesen Schritt habe ich mir sehr genau überlegt. Ich habe ja in meinem Leben so viel Erfolg gehabt, so viel Anerkennung erhalten.“
Ganz konnte sie es nach so vielen Jahren auf der Bühne dann doch nicht lassen. Aber mit der Auswahl derer, die ihre Lieder jetzt vortragen sollten, war sie nicht immer gut beraten, Erfolge blieben aus. Sie schrieb, trotz des Veedelslieds der Bläck Fööss, noch für diese Session ein neues Mottolied: „Et Hätz schleiht em Veedel“. Jetzt hat das Herz der Motto-Queen für immer aufgehört zu schlagen.